Texas Das Bayern Amerikas

Traditionspflege und Hightechhilfe, straffe Verwaltung und Sinn für Wirtschaft: Der konservative Staat Texas boomt. Besuch bei einem Erfolgsmodell.

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Die Bilder des Wahlkampf-Endspurts
Hillary Clinton (ca. 1,65 Meter) an der Seite von Basketball-Superstar Lebron James (2,03 Meter) bei einem Auftritt am Sonntag in Cleveland, Ohio. Quelle: REUTERS
Wenige Stunden zuvor: Clinton besucht eine Kirche im Bundesstaat Pennsylvania. Quelle: REUTERS
Donald Trump bei einem Stopp in Minneapolis, Minnesota, am Sonntag. Quelle: REUTERS
Am Samstag moderierte Melania Trump ihren Ehemann bei einer Veranstaltung in Wilmington, North Carolina, an. Danach gab es Küsschen. Quelle: AP
In Berwyn, Pennsylvania, hatte Melania Trump vergangene Woche eine Rede gehalten – recht hölzern vom Teleprompter abgelesen. Sie sprach sich für einen besseren Umgangston in sozialen Netzwerken aus. Es war ihr zweiter bedeutender Auftritt im Wahlkampf ihres Mannes. Quelle: AP
Am Samstag gab der Popstar ein Konzert und präsentierte einen Mantel: „Ich unterstütze Madam President.“ Quelle: REUTERS
Der Song „Roar“ der 32-Jährigen wird regelmäßig auf Clinton-Wahlkampfveranstaltungen gespielt. Quelle: REUTERS

Robert Wise legt nicht viel Wert darauf, was andere über ihn denken. Der Gründer von Hydrogen-XT, einem Start-up, das die USA mit Wasserstofftankstellen ausstatten will, trägt zum Geschäftstermin Khakishorts und weites T-Shirt. Und auch seine Meinung mag Wise nicht irgendwelchen Konventionen anpassen. „Der Klimawandel ist real. Wir müssen uns vom Öl langfristig verabschieden“, lautet Wises Mantra. In Texas, dem Ölstaat schlechthin, sind solche Worte noch immer eine Provokation.

Wise hat früher für den Ölgiganten BP gearbeitet. Doch das ist Vergangenheit, im doppelten Sinne. Er ist sich mittlerweile einfach sicher, dass Autos mit Benzinmotoren keine Zukunft haben. Hier in Houston lasse sich das doch am besten erkennen, sagt der Zwei-Meter-Mann und tritt ans Fenster seines Büros. „Die Skyline wäre besser zu sehen, wenn wir nicht so viel Smog hätten.“

„Klima-Spinner“ nennen ihn seine Landsleute gerne. Doch Wise ist mit seiner 2010 gegründeten Firma wild entschlossen, eigene Zapfsäulen an Tankstellen zu betreiben und die Menschen per App dorthin zu lotsen. 500 Stück sollen es in den kommenden Jahren werden. Er versteht sich als Partner der großen Energiekonzerne, deren Erdgas er braucht – nicht als ihr Feind. „Der niedrige Ölpreis ist doch eine riesige Chance für Texas“, sagt Wise. „Der Bundesstaat könnte beweisen, dass er ohne Öl kann.“

Noch ist die Abhängigkeit spürbar. Seit Mitte 2014 der Ölpreis um mehr als die Hälfte einzubrechen begann, haben die in Houston ansässigen Multis allein in Texas 99.000 Jobs gestrichen. Der Staat schüttelte sich, ging aber nicht in die Knie. Die Wirtschaft wächst weiter, und die Arbeitslosenquote liegt immer noch unter fünf Prozent und damit unter dem US-Durchschnitt.

Aber diese Robustheit hat das Land eben nicht dem schwarzen Gold zu verdanken. Texas ist längst nicht mehr nur Ölland, genauso wenig wie Bayern noch eine deutsche Agraridylle ist. Wie der deutsche Freistaat ist auch das Cowboyland peinlichst auf seine Unabhängigkeit bedacht und hat sich still und leise modernisiert und diversifiziert. Mit einem Mix aus niedrigen Kosten, geringer Regulierung, effizienter Verwaltung und mehr Investitionen in die Infrastruktur hat die Politik ein Umfeld geschaffen, das Konzerne aus aller Welt anzieht – von IT-Größen bis zu Start-ups, von Maschinenbauern bis zu Pharmaunternehmen. Sozusagen Laptop und Rodeo.

„In Texas wird die Wirtschaft als Partner gesehen“, lobt Unternehmer Wise. „Die Behörden unterstützen uns; in anderen Bundesstaaten wie etwa Kalifornien bremsen sie uns.“ So habe es in dem Westküstenstaat neun Monate gedauert, um drei Mitarbeiter anzumelden. „Hier geht es ruck, zuck.“ Ein Dienstfahrzeug zu registrieren koste um die 60 US-Dollar, in Kalifornien über 400. Eine eigene Einkommensteuer – neben der Bundessteuer können Kommunen und Bundesstaaten in den USA einen zusätzlichen Aufschlag verlangen – gibt es hier nicht.

Hoch hinaus: Die texanische Hauptstadt Austin wächst und wächst. Quelle: Laif

Auch sonst zeigt sich der Staat äußerst zurückhaltend. In Houston dürfen sich Unternehmen niederlassen, wo immer sie wollen. Auch in Wohngebieten oder neben Schulen. „Wir verteidigen die Freiheit des Einzelnen und glauben, dass wir am ehesten Wachstum und Jobs schaffen, wenn wir Bürgern und Unternehmern den Rücken freihalten“, sagt Ted Cruz, Senator von Texas.

In einem neuen Industriegebiet am Stadtrand von Houston wird überall gehämmert, geschweißt und gemalert. Gelbe Drehkräne manövrieren schwere Stahlträger durch die Luft. Neben mehreren Lieferzentren, Fabriken und Geschäften entsteht an der Interstate 10 auch eine Megatankstelle mit nicht weniger als 100 Zapfsäulen.

Schnell, schneller, Texas

Zu den Investoren gehört Thomas Bond, dessen silberner Geländewagen in Katy vor den Toren Houstons faustgroße Steine durch den Schutt schiebt. Der Manager des Mannheimer Familienunternehmens Pepperl+Fuchs will schon im Sommer hier ein neues Lieferzentrum eröffnen, 25 Millionen Dollar teuer. Seinen US-Hauptsitz hat das Unternehmen in Ohio, Texas aber wird immer wichtiger. Pepperl+Fuchs stellt Bauteile für die Automobilindustrie her, aber auch Komponenten für Chemieanlagen und Bohrinseln. Billiges Bauland, viele qualifizierte Mitarbeiter und schnelle Genehmigungsverfahren machten die Entscheidung pro Katy schließlich einfach.

Bis zu 110 Jobs wollen die Deutschen auf ihrem neuen Gelände schaffen. Die nötigen Leute zu finden werde – anders als in weiten Teilen der USA – kein Problem, wissen die Verantwortlichen aus Erfahrung. Zwei Tage nach Veröffentlichung einer Stellenanzeigen haben sie zehn Bewerbungen auf dem Tisch liegen.

Von den acht US-Städten mit dem größten Bevölkerungswachstum liegen gleich fünf in Texas. „Die Menschen ziehen dahin, wo sie die größten Chancen sehen. Das ist Texas“, sagt Jeremi Suri, Geschichtsprofessor an der University of Texas in Austin. Und schon mit ordentlicher Qualifikation und einem geregelten, durchschnittlichen Einkommen lassen sich hier – dank niedriger Abgabenlast und günstigen Grundstückspreisen – Haus und Garten kaufen, deren Größe jeden US-Großstädter vor Neid erblassen lässt. So kostet ein Eigenheim in den Metropolen Houston oder Dallas im Schnitt 340.000 bis 370.000 US-Dollar. In Boston, New York oder Los Angeles liegt der Preis schon einmal doppelt so hoch. „In Texas lebt der amerikanische Traum noch“, unterstreicht Geschichtsprofessor Suri.

von Silke Fredrich, Nora Jakob, Katharina Matheis, Nico Hornig, Jana Reiblein

Das sehen auch die US-Republikaner so. Für sie ist Texas der Beweis, dass ihre Politik funktioniert. Seit 1993 wird das Bundesland ununterbrochen republikanisch regiert. Kein Wunder, dass Senator Ted Cruz sagt: „Amerika würde es besser gehen, wenn sich Washington mehr von Texas abschauen würde.“

Bei allen wirtschaftlichen Erfolgen, in gesellschaftspolitischen Fragen hängt Texas noch hinterher. So ist es etwa völlig legal, offen eine Waffe zu tragen. Und: Der Staat vollstreckt mit Abstand die meisten Todesurteile in den USA, genau 91 seit 2010. Doch durch die Zuwanderung von außen könnte sich Texas modernisieren. „Städte wie Austin oder San Antonio sind liberale und kulturelle Hochburgen. Von dort geht auch der Wunsch nach gesellschaftlichen Veränderungen aus“, beobachtet Professor Suri. Es dauere vielleicht noch zehn Jahre, dann gäbe es auch in Texas keine Mehrheit mehr für ein Verbot von Abtreibungen oder Voten gegen die Homo-Ehe – ganz zu schweigen von der Ablehnung der Todesstrafe. „Texas“, sagt Suri, „wird von Jahr zu Jahr progressiver.“

Auf nach Texas: Einwohnerwachstum in US-Städten. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Schon bei dieser Wahl fällt auf, wie wenig öffentliche Zustimmung Donald Trump hier erfährt. Werbeaufsteller des Republikaners sind in den Vorgärten eine Ausnahme; stattdessen fahren Trucks mit Hillary-Clinton-Stickern auf Highways herum. Der Eindruck täuscht nicht: Laut einer Umfrage liegt Trump nur vier Prozentpunkte vor Clinton. Vor vier Jahren gewann der Republikaner Mitt Romney hier noch mit fast 16 Prozentpunkten Vorsprung vor Barack Obama.

Gründer Robert Wise wundert das nicht. „Trump ist weder republikanisch, noch hat er Konzepte für die Zukunft.“ Seine Energiepolitik etwa sei „ein schlechter Witz“. Auch bei politischen Fragen gilt: Was andere denken, interessiert einen texanischen Vordenker wenig.

von Simon Book, Jacqueline Goebel, Tim Rahmann, Christian Schlesiger, Gregor Peter Schmitz
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