US-Whistleblower Hilferuf von Edward Snowden

In einer Videobotschaft setzt sich Whistleblower Edward Snowden für die Fluchthelfer ein, die ihm im Sommer 2013 in Hongkong halfen. Denn ihnen droht die Abschiebung aus Hongkong.

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Der Whistleblower setzt sich für seine Beschützer ein.

Düsseldorf Als Edward Snowden Schutz brauchte, waren sie zur Stelle. Es war Sonntag, der 9. Juni 2013, als der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Snowden die Geheimnisse der US-Geheimdienste lüftete. Die Dienste, welche die Bevölkerung vor Angriffen von außen schützen sollten, überwachten in Wahrheit ihre eigenen Bürger. Und noch dazu die Bürger aller verbündeten Staaten.

Die Welt schrie auf. Doch so minutiös Snowden seine Enthüllung auch vorbereitet hatte, so dramatisch war sein Versäumnis: Er überlegte sich kein Versteck. Am Montagmorgen steckte er noch immer im Mira Hotel in Hongkong fest, von dem aus er seine Erkenntnisse öffentlich gemacht hatte. Der eilig herbeigerufene Menschenrechtsanwalt Robert Tibbo verfiel dann auf eine kühne Idee: Er wollte Snowden, den bekanntesten Flüchtling der USA, bei anderen Flüchtlingen verstecken.

Der Plan gelang. Zwei Wochen lang suchten der gesamte US-Geheimdienst, jeder Polizist in Hongkong und jeder Journalist in der Stadt nach Edward Snowden. Keiner fand ihn. Vier Menschen hatten sich seiner angenommen, die selbst in Existenznot lebten. Ihre Armut wirkte für Snowden wie ein Schutzschild. Niemand suchte den Amerikaner dort, wo seine Helfer ihr Dasein fristeten: in den dunklen Ecken der reichsten Stadt der Welt.

Sie hießen Ajith, Nadeeka, Supun und Vanessa. Alle vier hatten eine furchtbare Geschichte hinter sich. Folter, Vergewaltigung, Verfolgung durch korrupte Behörden. Alle vier warteten seit vielen Jahren auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge in Hongkong. Doch die Megastadt ließ sie im Stich. Trotzdem öffneten diese Menschen Snowden ihre Tür.

Zwei Wochen lang schlief Edward Snowden in den Betten seiner Helfer. Im Schutze der Dunkelheit wechselte er die Verstecke. Die Flüchtlinge gaben ihm zu essen, kauften ihm neue Kleidung und feierten mit Snowden seinen 30. Geburtstag. Einen Lohn für ihren Einsatz wollten sie nicht annehmen. Als Snowden ging, versteckte er ein paar Geldscheine zwischen ihren Kissen.

All das wurde erst drei Jahre später bekannt. Als das Handelsblatt Snowdens Fluchthelfer ausfindig machte und ihre Geschichte erzählte, staunte die Welt. Der kanadische Schauspieler Joseph Gordon-Levitt, der Snowden im aktuellen Film von Oliver Stone spielt, sandte eine Videobotschaft. Dann schlugen die Behörden in Hongkong zurück.

„Ich wurde vom Amt einbestellt“, erzählt Vanessa Mae Rodel. „Anfangs sprachen wir über Mittel für meine Tochter. Sie ist jetzt fünf Jahre alt. Aber plötzlich fragte mich der Beamte über Snowden aus. Ich sagte ihm, dass ich nicht darüber sprechen wollte. Dann wurden uns Strom und Wasser abgestellt.“


Asyl in Kanada als Ziel

Den anderen Flüchtlingen erging es ähnlich. Die Geschichte von Snowdens Fluchthelfern hatte weltweit Schlagzeilen gemacht. Der US-Nachrichtensender CNN schickte ein Kamerateam, die britische BBC berichtete, im April sendete das ZDF-Auslandsjournal eine Reportage. Den Behörden in Hongkong stieß dabei offenbar auf, dass die Berichte immer auch zeigten, wie übel die reichste Stadt der Welt mit den Ärmsten der Armen umging.

Und mit einem Mal, nachdem ihre Asylanträge teils zwölf Jahre lang unbearbeitet geblieben waren, erhöhte die Ausländerbehörde das Tempo. Innerhalb weniger Wochen nahm sie sich die Gesuche von Snowdens Helfern vor – und lehnte sie ab. Nun können sie jederzeit ausgewiesen werden – zurück in die Länder, aus denen sie vor Folter und Verfolgung flohen.

„Das Verhalten der Behörden ist absolut skandalös“, sagt der Anwalt der Flüchtlinge, Robert Tibbo. „Aus den Schriftsätzen lässt sich ablesen, dass sich die Beamten überhaupt nicht mit den Einzelheiten der Anträge beschäftigt haben. Die Anträge der drei Kindern, die hier betroffen sind, wurden überhaupt nicht bearbeitet.“

Tibbo will nun Berufung einlegen, doch die Umstände sind schlecht. „Mir wurde gesagt, die Polizei könne mich jederzeit auf der Straße aufgreifen und bis zur Ausweisung in eine Art Untersuchungshaft stecken“, sagt Vanessa Rodel. „Ich habe solche Angst, von meiner Tochter getrennt zu werden. Ich weiß nicht, was ich machen soll.“

Die einzige Hoffnung der Flüchtlinge ist nun eine Initiative von Menschenrechtsanwälten in Kanada. Sie gründeten die Stiftung For the Refugees und haben die kanadische Regierung aufgerufen, Snowdens Helfern dort Asyl zu gewähren. Die erste Reaktion verlief positiv, derzeit sind die Anträge in beschleunigter Bearbeitung. Doch die Entscheidung der Hongkonger Behörden, die Familien nun möglicherweise sofort auszuweisen, erhöht den Zeitdruck nun enorm.

Am Mittwoch schaltete sich deshalb auch Edward Snowden wieder ein. In einer dramatischen Videobotschaft appellierte er an die Zuschauer, seinen Helfern beizustehen. „Es ist wichtig zu verstehen, wer diese Leute sind. Zu verstehen, was wirklich vor sich geht“, sagte Snowden. „Supun, Ajith, Nadeeka, Vanessa, und ihre Kinder, das sind gute Menschen. Sie wurden durch Folter, Vergewaltigung und Krieg aus ihrer Heimat vertrieben. Anschließend lebten sie viele Jahre in Armut in Hongkong. Und jetzt haben die Behörden entschieden, sie einfach loszuwerden, egal wie.“

Snowden ruft zur Mithilfe auf. „Jede Menschenrechtsorganisation der Welt beobachtet diesen Fall. Aber das ist nicht genug“, sagte der Amerikaner. „Wenn wir diese Menschen beschützen wollen, dann brauchen wir Ihre Hilfe. Bitte rufen Sie den kanadischen Einwanderungsminister Ahmed Hussen an. Oder das kanadische Konsulat in Hongkong. Oder die Regierung in Hongkong selbst. Bitten Sie um Unterstützung für diese Menschen. Haben Sie keine Furcht. Wenn wir warten, werden wir uns bald alle fragen, warum wir nicht mehr getan haben.“

Mehr Informationen über die Hilfsorganisation für Snowdens Helfer: https://fortherefugees.com/

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