Barack Obama darf weitermachen. Das Votum der Bürger fiel überraschend deutlich aus. Mindestens 303 Wahlmänner-Stimmen konnte der Amtsinhaber auf sich vereinen. Er siegte in fast allen "Swing States" und darf seine vier Jahre lang Arbeit fortsetzen. Einen leichten Job hat er nicht vor sich. Obama muss in seiner zweiten Amtszeit die Eiszeit zwischen Demokraten und Republikanern beenden und überfällige Reformen durchsetzen. Er muss den Staatshaushalt sanieren, ohne das Land in die nächste Rezession zu stürzen.
Denn Fakt ist: Auch wenn die US-Wirtschaft im dritten Quartal überraschend deutlich um – auf das Jahr hochgerechnete – zwei Prozent gewachsen ist, kämpft die größte Volkswirtschaft der Welt mit massiven Problemen. Millionen Amerikaner sind auf Essensmarken angewiesen, die Kluft zwischen Arm und Reich geht immer stärker auseinander, das Gesundheitssystem ist ineffizient und teuer. Es fehlen Jobs, es mangelt an qualifizierten Fachkräften. Doch es gibt auch Zeichen der Hoffnung: Vielerorts kehrt die Industrie zu alter Stärke zurück, neu entdeckte Gas- und Ölreserven beflügeln die Wirtschaft, sogar der Immobilienmarkt erholt sich langsam. WirtschaftsWoche-Korrespondentin Angela Hennersdorf ist durch ein Land der Gegensätze gereist.
New York
Obamas umkämpfte Gesundheitsreform hat wenig geändert: Das US-Gesundheitssystem ist ineffizient und für viele Menschen unerschwinglich
Die Zahnarztpraxis von Dr. Robert Rosenkranz liegt im Souterrain eines Wohnhauses im bürgerlichen Viertel Park Slope in Brooklyn. Der Eingangsbereich ist gleichzeitig Wartezimmer und Empfang, mehr als fünf Stühle für die hoffenden Patienten gibt es nicht. Ein Fernseher an der Wand plärrt vor sich hin. Die Wände sind gelb gestrichen, die fünf Behandlungsräume sind fensterlos. Statt Türen gibt es Vorhänge.
Hier liegen Romney und Obama Kopf an Kopf
In mindestens 41 Staaten steht quasi bereits fest, wer in der Gunst der Wähler vorne liegen wird. Obama kann etwa mit einer deutlichen Mehrheit in Kalifornien und seiner Heimat Illinois rechnen, Texas und der gesamte Süden sind traditionell an die Republikaner vergeben. Jene neun Staaten, in denen der Ausgang offen ist, werden als "Swing States" bezeichnet.
Aus keinem Bundesstaat der USA stammen mehr US-Präsidenten als aus Virginia. Acht ehemalige Staatsmänner sind in Virginia, dem 8-Millionen-Einwohner-Staat an der Ostküste, geboren. Mit dieser Zahl kann nur Ohio mithalten, das ebenfalls Heimat von acht US-Präsidenten ist.
Bis heute spielt Virginia bei den US-Wahlen eine wichtige Rolle. Zwar galt der Bundesstaat seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg lange Zeit als anti-republikanisch, doch von 1952 bis heute haben die Bürger des „Old-Dominion“-States nur noch 1964 mit Lyndon B. Johnson und erst wieder 2008 mit Barack Obama für einen demokratischen Präsidentschaftsbewerber gestimmt.
Virginia entsendet 2012 13 Wahlmänner ins "Electoral College", das den Präsidenten und den Vizepräsidenten wählt. Laut Umfragen wollen derzeit 48 Prozent der Wähler für Romney stimmen, 47 Prozent würden derzeit für Obama votieren.
18 Wahlmänner stehen in Ohio auf dem Spiel. Gewinnt Obama hier, braucht er – neben den erwarteten Siegen – nur noch einen der kleinen "Swing States" holen (etwa Iowa), um eine zweite Amtszeit im Weißen Haus antreten zu können.
Ohio ist ein klassischer Arbeiterstaat, die Industrie stellt einen großen Teil der Jobs. Viele Jobs sind konjunkturabhängig, schwächelt die Wirtschaft, ist Ohio meist besonders betroffen. Der Bundesstaat ist traditionell ein "Swing State". Demokratische Hochburgen befinden sich im Nordosten Ohios, etwa um die Städte Cleveland und Youngstown. Im Südwesten votieren viele Bürger hingegen für die Republikanische Partei. Derzeit liegt Obama in der Wählergunst vorne. 47,6 Prozent der Bürger wollen für ihn stimmen, 45,7 Prozent für Romney.
Der Staat im Westen der USA ist landwirtschaftlich geprägt. Neben der Viehwirtschaft trägt auch der Bergbau entscheidend zum Bruttoinlandsprodukt bei. Nevada wäre aufgrund seiner Struktur klassisches republikanisches Gebiet – wäre da nicht Las Vegas. Die größte Stadt des 2,7-Millionen-Staates ist liberal und Hoheitsgebiet der Demokraten. Insgesamt ist Nevada ein klassischer "swing state": Mal gewinnen hier die Demokraten (wie bei der letzten Wahl 2008), mal die Republikaner (wie 2004 unter George W. Bush).
In dem siebtgrößten Bundesstaat geht es 2012 um sechs Wahlmänner. Obama liegt den Umfragen zufolge mit 49,0 zu 46,0 Prozent vorne.
Bis 2008 konnten die Demokraten seit dem Ende des zweiten Weltkriegs nur drei Mal die Mehrheit in Colorado holen (1948 unter Harry S. Trumann, 1964 unter Lyndon B. Johnson und 1992 unter Bill Clinton).
Dennoch gilt der Rocky-Mountains-Staat inzwischen als "Swing State". Grund ist vor allem die Urbanisierung der Hauptstadt Denver. Im Großraum der Universitätsstadt lebt knapp die Hälfte des 5-Millionen-Staates. Sie wählen zumeist demokratisch.
So auch 2008, als Barack Obama als vierter Demokrat seit 1945 den Staat für seine Partei gewinnen konnte. 2012 geht es um neun Wahlmänner, Romney liegt in den Umfragen mit 47,8 Prozent zu 47,6 Prozent derzeit knapp vorne.
Die größte Stadt Iowas, Des Moines, hat gerade einmal gut 200.000 Einwohner, die Wirtschaft setzt auf den Verkauf von Maschinen, Elektronik, Schweine, Mais und Kartoffeln. Iowa wird in den USA wenig beachtet – es sei denn, es ist Wahlkampf.
Traditionell ist Iowa der Staat, in dem die ersten Vorwahlen der Parteien abgehalten werden. Und die haben eine besondere Bedeutung, denn seit 1972 hat fast kein Kandidat mehr die Nominierung seiner Partei gewonnen, wenn er nicht zuvor im Agrarstaat gewonnen hat. Anders 2012. Mitt Romney unterlag denkbar knapp seinem Herausforderer Rick Santorum. Dennoch musste der gläubige Christ im April passen und dem ungeliebten Romney den Vortritt überlassen.
In den Umfragen liegt Obama derzeit mit 2,0 Prozentpunkten in der Wählergunst vor Romney.
Der Mini-Staat an der Nordost-Küste der USA ist der konservativste Staat der Region. Während alle anderen Staaten an der Nordost-Küste traditionell demokratisch wählen, wechseln die Mehrheitsverhältnisse in New Hampshire oft.
Obama wird es – trotz einer Führung in den Umfragen von 1,2 Prozentpunkten – schwer haben, die vier Wahlmänner hier zu gewinnen. Denn die Bürger sind nicht nur launisch, sondern auch sehr liberal. Sie leben das Staatsmotto, das lautet: "Live free or die" – "Lebe frei oder stirb".
Zu viel Macht des Staates lehnen sie ab. Steuererhöhungen ebenso. In New Hampshire, das vom Bergbau, der Elektro- und Papierindustrie lebt, gibt es keine allgemeinen Mehrwert- oder Einkommensteuern.
Im "Sunshine State" wird sich die US-Wahl 2012 entscheiden. Wenn Mitt Romney eine Chance auf den Einzug ins Weiße Haus haben will, muss er Florida gewinnen. Verliert er, gehen die Stimmen von 29 Wahlmännern an Barack Obama, der dann auch ohne den Gewinn eines weiteren "Swing States" deutlich vorne liegen würde.
Derzeit sieht es gut für Romney aus. 48,4 Prozent der Wähler aus Florida wollen für den Republikaner stimmen, nur 46,6 Prozent für Obama.
Der Ostküstenstaat, rund zehn Autostunden von der Hauptstadt Washington D.C. entfernt, wählte in den letzten vier Jahrzehnten fast immer für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Ausnahme: Jimmy Carter, 1976, und Barack Obama, 2008.
In diesem Jahr deutet Vieles darauf hin, dass die Republikaner den Staat und damit alle 15 Wahlmänner-Stimmen gewinnen werden. Mitt Romney führt in den Umfragen mit 50,3 Prozent zu 44,7 Prozent.
Der "Dachs-Staat" im Norden ist geprägt von ländlich-konservativen und großstädtisch-liberalen Regionen. 2004 und 2008 konnten die Demokraten in Wisconsin gewinnen. Auch in diesem Jahr liegt Obama in den Umfragen vorne. 49,8 Prozent tendieren derzeit dazu, Obama zu wählen, 47,0 Prozent wollen für Romney stimmen.
Das Ambiente ist arg bescheiden, doch zählt Rosenkranz zu den Top-Zahnärzten in Amerika, ausgezeichnet von der Verbraucherorganisation Consumer Research Council of America in Washington. Auch beim New Yorker Kunden-Portal „Talk of the Town“ bekommt der Zahnarzt Bestnoten von Patienten. Die Praxis ist mit den neuesten Geräten ausgestattet, Rosenkranz arbeitet eng mit Spezialisten zusammen, die bei Bedarf zu ihm kommen.
Das Problem ist nur: Nicht jeder vom Zahnschmerz gepeinigte New Yorker kann sich die Dienste von Dr. Rosenkranz leisten. Eine Zahnreinigung kostet bei ihm rund 300 Dollar, für eine Wurzelbehandlung beim Spezialisten sind mindestens 1.000 Dollar fällig. Bei einem Durchschnittsverdienst von 45.500 Dollar im Jahr ist das für viele New Yorker unerschwinglich. Die Arbeitslosenquote in der City liegt mit 9,5 Prozent über dem nationalen Durchschnitt von derzeit knapp unter acht Prozent.
Natürlich gibt es auch günstigere Zahnarztdienste in der Stadt als die von Rosenkranz. In ärmeren Vierteln, in der Bronx und in Queens, tingeln einfache mobile Zahnarztpraxen in Lastwagen von Schule zu Schule, um Löcher zu stopfen und Zähne zu ziehen. Doch das ändert nichts an einem zentralen sozialpolitischen Problem der USA: Das Land hat hervorragende Ärzte und Spitzenkliniken – nur können sich deren Dienste Millionen Amerikaner nicht leisten, weil sie keine Krankenversicherung haben.
46 Millionen Unversicherte
Das Paradoxe daran: Obwohl rund 46 Millionen Amerikaner unversichert sind, gibt kaum ein Land der Welt so viel Geld für die Gesundheitsversorgung aus wie Amerika. Jährlich belaufen sich die Gesamtausgaben auf rund 2,6 Billionen Dollar. Die Pro-Kopf-Ausgaben in den USA sind damit fast doppelt so hoch wie in Deutschland. Derzeit machen die Kosten im Gesundheitswesen fast 18 Prozent des Bruttoinlandproduktes aus – Tendenz steigend. In Deutschland sind es 11,6 Prozent.
Das System sei ineffizient, zu teuer und zu bürokratisch, rügt Mark Smith, Chef der regierungsunabhängigen Organisation HealthCare Foundation. Auch ein Bericht des wissenschaftlichen Institute of Medicine in Washington zieht eine verheerende Bilanz. Danach verschwenden Ärzte und Kliniken jährlich rund 210 Milliarden Dollar für unnötige Behandlungen, 190 Milliarden Dollar an überflüssigen Ausgaben gehen auf das Konto des Verwaltungsapparats, 75 Milliarden Dollar gehen durch Betrug verloren.
Das amerikanische Gesundheitssystem ist eine Mischung aus privater und öffentlicher Vorsorge. Es gibt mehr als 1.000 private Krankenversicherungen; dort sind viele Arbeitnehmer über ihren Betrieb versichert. Wer aber seinen Job verliert, hat auch keine Krankenversicherung mehr.
Die zweite Säule sind die staatlichen Krankenversicherungen Medicare und Medicaid. Rentner ab 65 Jahren wechseln nach der Pensionierung in die staatliche Versicherung Medicare. Sozial Schwache sind auf die Basisversorgung Medicaid angewiesen. Die Zahl der Versicherten in beiden Gruppen steigt stetig. Die Reserven der staatlichen Krankenversicherung für Rentner sind nach Schätzungen der US-Regierung 2024 komplett erschöpft, wenn nicht die Beiträge angehoben oder Leistungen zusammengestrichen werden.
Verschuldete Krankenhäuser durch unversicherte Patienten
Milliardenkosten verursachen auch die unversicherten Amerikaner. Denn im Notfall müssen die Ambulanzen der Krankenhäuser auch unversicherte Patienten behandeln. Können die ihre Rechnungen nicht begleichen, bleiben die Kliniken auf den Kosten sitzen. Die Folgen sind vielfach verheerend: Im New Yorker Stadtteil Manhattan musste vor zwei Jahren das traditionsreiche Krankenhaus St. Vincent’s schließen. Der Andrang der unbezahlten Notfälle war so groß, dass das Krankenhaus am Ende mit einem zweistelligen Millionenbetrag verschuldet war.
Etliche Politiker haben versucht, das System zu reformieren und zu sanieren – ohne Erfolg. Die umstrittene Reform von Präsident Obama, die er gegen massiven Widerstand der Opposition durchsetzte, versucht nun, den Versicherungsschutz auszudehnen, um so die Kosten besser zu verteilen. Doch die Hälfte der Amerikaner lehnt eine solche Zwangsversicherung ab. Präsidentschaftskandidat Romney will Obamas Reform wieder rückgängig machen, sollte er die Wahl gewinnen. Wie er das marode System sanieren will, verrät er nicht.
Am Grundsystem ändert Obamas Rezept ohnehin nichts, und auch die Finanzierung steht noch in den Sternen. Im Kern sieht die Reform vor, dass Versicherungsunternehmen Kunden mit Vorerkrankungen nicht mehr ablehnen dürfen und junge Leute bis 26 Jahre über die Eltern versichert bleiben. Zweitens muss jeder Amerikaner ab 2014 eine Grundversicherung abschließen – wer sich keine leisten kann, bekommt einen staatlichen Zuschuss.
Bei Zahnarzt Rosenkranz in Brooklyn könnte das die Geschäfte weiter ankurbeln. Bis dahin setzt er auf Selbsthilfe, um finanzschwachen Kunden das Bohren erträglicher zu machen – Unversicherten vermittelt er einen zinslosen Kredit über eine Bank. Ansonsten gilt das, was auf dem großen Schild am Empfang steht: „Bitte bezahlen Sie am Tag Ihrer Behandlung. Wir nehmen alle Kreditkarten.“
Comeback der Industrie
Charleston, South Carolina
Für einen nachhaltigen Aufschwung braucht Amerika ein Comeback der Industrie, die sich derzeit mit Investitionen zurückhält. Vor allem Green Tech soll nun neue Jobs schaffen.
Am Hafen von Charleston steht John Kelly mit einem bunten Blatt Papier in der Hand inmitten einer riesigen Baustelle. „Sehen Sie, hier, die Windturbinen können direkt an den Hafen geliefert und in unsere neue Halle geschafft werden“, schwärmt der Mann und tippt mit dem Zeigefinger auf der Computeranimation auf dem Papier herum. Noch ist von der neuen Halle nicht viel zu sehen, doch bis Mai 2013 soll auf dem Hafenareal, einem alten Warenlager der Marine, das größte und modernste Testzentrum für Windkraftturbinen der Welt entstehen. Kelly ist Direktor für ökonomische Entwicklung am Clemson University Restoration Institute in Charleston, wo das Projekt angesiedelt ist. Die US-Regierung pumpt 45 Millionen Dollar in das Testzentrum, weitere 53 Millionen Dollar schießt der Bundesstaat South Carolina zu. Rund 800 direkte und indirekte Jobs soll das Projekt schaffen, wenn hier bald Konzerne wie GE und Siemens neue Turbinen testen.
Ausgerechnet der tief republikanische Süden Amerikas profitiert damit von Präsident Obamas grüner Innovationsoffensive. Nicht nur die Förderung konventioneller Ressourcen wie Gas und Öl hat Obama in den vergangenen vier Jahren vorangetrieben, sondern auch Investitionen in alternative Energien. Bis 2020, so das Ziel, soll die Windenergie rund 20 Prozent der Energieerzeugung in den USA ausmachen – und nachhaltige Arbeitsplätze schaffen.
Die größten Pleitekandidaten der USA
Kaliforniens Haushaltsloch brachte schon Ex-Gouverneur Arnold Schwarzenegger zur Verzweiflung. Weder die Schließung von Gefängnissen noch die Sperrung von Nationalparks konnten die Finanzkrise des Landes lösen. In diesem Jahr wird im bevölkerungsreichsten US-Staat wohl eine Lücke im Haushalt von 25,4 Milliarden Dollar klaffen. Zur Einordnung: Das ist fast ein Drittel (29,3 Prozent) des Gesamtetats von 2011. Nun wird überall gespart – außer bei der Filmförderung für Hollywood.
Der fünftgrößte US-Staat war jahrelang die Heimat von US-Präsident Barack Obama. Er arbeitete in Chicago und ist noch heute in der „windy city“ äußert beliebt. Die Finanzlage des Landes ist besorgniserregend. Für 2012 erwartet Illinois ein Haushaltsloch von 15 Milliarden Dollar (44,9 Prozent des aktuellen Budgets). Die Bonität des Staates gilt schon jetzt als gering. Investoren leihen Illinois nur für hohe Zinsen ihr Geld. Die Schuldenspirale dreht sich damit immer weiter.
Der Bundesstaat an der Grenze zu Kanada hat nicht nur viele Gewässer ("Land der tausend Seen"), sondern auch viele Schulden. Für das Gesamtjahr 2012 gehen die Behörden von einem Haushaltsloch von knapp vier Milliarden US-Dollar aus. Schon im Juli 2011 war Minnesota zeitweise zahlungsunfähig. Zoos und Nationalparks wurden geschlossen, Bauarbeiten an Straßen wurden eingestellt und 22.000 staatliche Bedienstete in den unbezahlten Urlaub geschickt.
Der kleine Ostküstenstaat zwischen New York und Rhode Island steckt ebenfalls in der schwersten Finanzkrise seiner Geschichte. Im Haushalt 2012 fehlen 3,7 Milliarden Dollar (20,8 Prozent des 2011er-Etats). Selbst die private Elite-Uni Yale in Connecticut bleibt von der Krise nicht verschont. In ihrem Uni-Budget für 2011/12 fehlen 68 Millionen Dollar.
Der Südstaat musste in den vergangenen Jahren viele Tiefschläge verkrafte. Erst wütete Hurrikan „Katrina“ über das Land, dann folgte eine schmerzhafte Rezession und 2010 schließlich noch die Ölkatastrophe. Der Haushalt ist vollkommen überlastet. Es klafft 2012 ein Loch von 1,7 Milliarden US-Dollar (22 Prozent des 2011er-Etats).
Der Wüstenstaat ist durch eine Stadt weltbekannt: Las Vegas. Die Spielermetropole zieht jährlich Touristen aus allen Teilen der Erde an. Der Haushalt des Bundesstaates kann davon aber nicht profitieren. 2012 wird der Haushalt eine Lücke von 1,5 Milliarden Dollar aufweisen. Allerdings: Die Summe entspricht fast der Hälfte des derzeitigen Etats Nevadas.
Der nördliche Nachbar von Kalifornien wird 2012 wohl ein Haushaltsloch von 1,8 Milliarden US-Dollar verkraften müssen. Diese Summe beträgt ein Viertel des Gesamthaushaltes von 2011. Es wird drastisch gespart: Sowohl bei Kranken und Rentnern als auch bei Schülern und Studenten.
Hohe Arbeitslosenquote
Notwendig sind diese Jobs dringend. Auch vier Jahre nach der Finanzkrise sind immer noch Millionen von Amerikanern ohne Arbeit, vor allem die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist für US-Verhältnisse extrem hoch. Im September ist die Arbeitslosenquote zwar erstmals nach vier Jahren landesweit unter die acht Prozent gerutscht, doch in vom Strukturwandel betroffenen Staaten wie South Carolina liegt sie über dem nationalen Durchschnitt.
Das Problem: Statt Stellen zu schaffen, neue Fabriken zu bauen oder Maschinen zu kaufen, geben viele US-Industriekonzerne derzeit lieber Milliardensummen für den Rückkauf eigener Aktien aus. Seit 2009 liegt der Anteil der Investitionen am Bruttoinlandsprodukt in den USA unter dem historischen Durchschnitt.
Für Nikki Haley ist das Windprojekt darum umso wichtiger. Die republikanische Gouverneurin von South Carolina lässt keine Chance ungenutzt, die Industrie in ihrem strukturschwachen Bundesstaat anzukurbeln. Ihre einfache Strategie: „Wir haben gute Arbeiter, niedrige Löhne – und vor allem keine Gewerkschaften, die unseren Unternehmen das Leben schwer machen.“
South Carolina war lange von der Landwirtschaft geprägt, dann kam die Textilindustrie – und verschwand wieder. Bis Ende der Neunzigerjahre war die Küstenstadt Charleston ein wichtiger Standort der US-Marine; als ihn die Navy dichtmachte, gingen an die 7.000 Arbeitsplätze verloren. Daher war es ein echter Coup, den Gouverneurin Haley 2011 schaffte. Der US-Flugzeughersteller Boeing entschied sich, sein neues Langstreckenflugzeug Dreamliner in dem Südstaat zu bauen. Über 3.000 neue Jobs hat das Unternehmen hier geschaffen, freilich angelockt von hohen Fördergeldern. Rund 45 Millionen Dollar spendierte der Bundesstaat für ein Aus- und Weiterbildungsprogramm, damit der Konzern die richtigen Arbeiter zum Bau seiner Flugzeuge findet – denn die fehlten. Angesichts der schlechten Arbeitsmarktlage bewarben sich Tausende auf die Stellen, kaum einer von ihnen hatte jemals zuvor mit Flugzeugen zu tun. „Da meldeten sich selbst Schiffsmechaniker und Marinesoldaten“, sagt Jim Maxon. Über zwei Jahre hinweg hat der Projektleiter mit Boeing-Ingenieuren am Trident Technical College in North-Charleston Hunderte ausgebildet, bevor sie in den Boeing-Job wechselten.
Drohende Zwangsversteigerungen
Miami, Florida
Der krisengeschüttelte US-Immobilienmarkt zeigt wieder erste Lebenszeichen. Doch noch immer droht vielen Menschen die Zwangsversteigerung ihrer Häuser.
Steil ragen die Luxushochhäuser in Downtown Miami in den Himmel, und eines der höchsten Gebäude hier ist mit 60 Stockwerken der Opera Tower am North Bayshore Drive. „Der Verkauf der Eigentumswohnungen läuft hervorragend“, frohlockt der Immobilienmakler Mark Zilbert. Die Wohnungen im Opera Tower kosten zwar bis zu 620.000 Dollar, doch betuchte Kunden stehen derzeit Schlange – wie am gesamten südlichen Küstenstreifen Floridas. Und es sind vorwiegend Südamerikaner, die hier zugreifen. Die hohe Inflation von zehn Prozent in Argentinien etwa treibt dortige Anleger dazu, ihr Geld in ausländische Immobilien zu investieren. Manche unterzeichneten Kaufverträge in Miami, ohne sich die Wohnung angesehen zu haben, berichtet Zilbert. Bei jedem neuen Bauprojekt in der Stadt gingen derzeit etwa 50 Prozent der Eigentumswohnungen an Käufer aus Argentinien.
Doch auch die Amerikaner erfreuen sich wieder am Immobilienbesitz. Die Lage auf dem Häusermarkt verbessert sich fast landesweit. Im September stiegen die Verkäufe von Einfamilienhäusern im Vergleich zum Vorjahresmonat um 27 Prozent, nur im Mittleren Westen ist der Trend noch negativ. Auch die Häuserpreise ziehen wieder an. Der Durchschnittspreis für ein Einfamilienhaus stieg im September um rund elf Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Amerikas Immobilienblase
Von einem neuen Boom ist der Markt aber noch weit entfernt. „Die Aktivitäten im Immobilienmarkt laufen besser, liegen aber historisch immer noch auf sehr niedrigem Niveau“, sagt der JP-Morgan-Ökonom Daniel Silver. Zwischen den Jahren 1990 und 2006 lag die Zahl der Hausverkäufe pro Jahr im Schnitt bei 845 000. Im Juli 2005 hatte die Branche ihren besten Monat: Da verkauften die Immobilienhändler 1,4 Millionen neue Häuser. Nach dem Platzen der Immobilienblase 2007 erreichte die Branche 2011 ihren Tiefstand, seit der Krise sind die Preise für Eigenheime um mehr als ein Drittel abgestürzt. Von 2009 bis 2011 hat sich der Wert amerikanischer Häuser und Wohnungen um rund 590 Milliarden Dollar reduziert.
Florida traf die Häuser- und Wirtschaftskrise besonders hart. Immer noch liegt die Arbeitslosenquote mit 8,7 Prozent hier über dem nationalen Durchschnitt. Auch für Rentner ist der viel gerühmte „Sunshine State“ längst kein Paradies mehr. „Florida war einmal bekannt dafür, dass hier Rentner gut leben können. Doch diese Zeiten sind vorbei und kommen nicht so schnell wieder“, sagt Yolanda Rodriguez. Sie arbeitet bei der Non-Profit-Organisation AARP, die sich um soziale Belange der Alten kümmert. „Viele Alte sind sauer und enttäuscht von Obama“, sagt sie. Viel zu wenig hätte dessen Regierung in den vergangenen vier Jahren für Leute getan, die erst ihren Job und dann ihr Haus verloren hätten, weil sie die Hypothek nicht mehr zahlen konnten.
Hilfe für gefährdete Hausbesitzer
Sicher, die Lage auf dem Häusermarkt ist auch in Florida besser geworden. Für Hausbesitzer, die ihre Hypotheken nicht mehr zahlen können, gäbe es mehr Hilfen als früher, berichtet LeeAnn Robinson, Geschäftsführerin der Non-Profit-Organisation Neighborhood Housing Services in Südflorida. Auch seien die Banken kooperativer bei der Refinanzierung. Robinson und ihre 60 Mitarbeiter versuchen, Zwangsvollstreckungen zu verhindern, und verhandeln mit Banken, um Ratenzahlungen und Kredite neu zu berechnen.
Aber viel zu lange habe sich die Obama-Regierung darauf verlassen, die Banken würden die Hypothekenraten für diejenigen senken, die ihr Haus nicht mehr abbezahlen könnten, sagt Robinson. Immerhin: Im Februar hat sich die Regierung mit fünf großen US-Banken auf Hilfen für gefährdete Hausbesitzer geeinigt. Die Finanzinstitute stellen 26 Milliarden Dollar für Hausbesitzer zur Verfügung, deren Hypothek höher ist als der Wert ihres Hauses. Sie sollen entweder eine günstigere Neufinanzierung oder einen Schuldenschnitt erhalten. Für Florida sind 300 Millionen Dollar aus diesem Topf vorgesehen.
Viele Zwangsversteigerungen
Immer noch ist Florida mit einem Wert von elf Prozent der US-Staat mit dem höchsten Anteil an Häusern, die vor der Zwangsversteigerung stehen. Dahinter folgen New Jersey, New York, Illinois und Nevada, wie Berechnungen der Unternehmensberatung Core Logic zeigen. Im Ranking der Bundesstaaten, in denen die meisten Zwangsvollstreckungen stattfinden, liegt Florida mit 92.000 auf dem zweiten Platz nach Kalifornien (100. 000). Das sind dreimal mehr als im nationalen Durchschnitt.
Die größten Infrastruktur-Mängel in den USA
Das Straßenbild der USA ist gezeichnet von Schlaglöchern und Rissen im Asphalt. 36 Prozent der Autobahnen sind durchweg überlastet.
Der Zug gilt in den USA als unzuverlässiges Fortbewegungsmittel. Reisende erreichen ihr Ziel nur bei 77 Prozent der Fahrten pünktlich. Zum Vergleich: in Europa sind es 90 Prozent. Außerdem gibt es kein gut ausgebautes Hochgeschwindigkeitsnetz. Schnellzüge fahren somit im Schnitt nur 115 Kilometer pro Stunde.
Auch bei Flügen ist in den USA mit Verspätungen zu rechnen. Die Flughäfen sind überaltert und überlastet. Drei Prozent der Start- und Landebahnen sind im schlechten Zustand.
Einige der Brücken in den USA gelten nicht nur als überaltert, sondern als gefährlich. Von rund 600.000 Brücken sind 160.000 einsturzgefährdet.
Auch die Staudämme der USA weisen Sicherheitsmängel auf. Ihr Durchschnittsalter beträgt 51 Jahre. Erschreckend sind die Wartungsverhältnisse: In Texas kommen auf 7400 Staudämme lediglich sieben überwachende Ingenieure.
Für die Sanierung von Schulgebäuden investieren die USA zu wenig. Im Jahre 2005 fand der Unterricht von 37 Prozent aller Schulen in improvisierten Klassenräumen aus Fertigbauteilen statt.
Das Stromnetz der Vereinigten Staaten ist marode. Das Risiko von Stromausfällen, verursacht durch Stürme und herabfallende Äste, ist so groß, dass Elektrizitätswerke den US-Bürgern zum Kauf eines eigenen Generators raten.
Die Wasserleitungen der USA zeichnen sich durch ihr Alter von 60 Jahren und die Defekte aus. Knapp 30 Millionen Liter Wasser versickern täglich in der Erde. Auch die Wasserwerke sind veraltet und sanierungsbedürftig.
Wer das nicht glauben mag, sollte sich ein paar Straßenzüge von Downtown Miami und den Luxushochhäusern wegbewegen. Hier liegt das überwiegend von Schwarzen und Latinos bewohnte Viertel Overtown. Die Gegend gehört zu den ärmsten in Miami, in vielen Straßenzügen sind die Häuser verlassen und verbarrikadiert. Die Kriminalität ist hoch, die Arbeitslosigkeit auch; Filmaufnahmen aus Overtown laufen bei YouTube unter der Rubrik „Ghetto Trip“. Aktivistin Rodriguez: „Hier geht es in manchen Gegenden zu wie in Lateinamerika.“
Dass es künftig in Amerika weniger Viertel wie Overtown gibt, wird eine zentrale Aufgabe für den neuen Präsidenten sein – egal, ob er Obama oder Romney heißt.