Herr Braml, die Mehrheit der Deutschen wünscht sich einen Sieg von US-Präsident Barack Obama bei den Präsidentschaftswahlen im November. Sie sich auch?
Josef Braml: Die US-Wahlen werden überbewertet. Es ist mittlerweile egal, wer US-Präsident ist oder wird. Entscheidender ist die wirtschaftliche und soziale Lage in den USA. Und die ist derart schlecht, dass jeder US-Präsident – ob Demokrat oder Republikaner – kaum Handlungsspielräume hat.
Einspruch: Die USA sind die größte Volkswirtschaft der Welt und nach wie vor einzigartig, wenn es darum geht, neue Trends und Produkte zu entwickeln.
Das bringt aber keine Jobs im großen Stil. Der Industriesektor wurde jahrzehntelang vernachlässigt, erst jetzt hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die USA wieder mehr produzieren müssen. Doch drei Punkte verhindern das: Die Infrastruktur ist in großen Teilen marode, die Arbeiter schlecht qualifiziert und die Wirtschaft sowie Gesellschaft zu abhängig vom Öl
Zuletzt besserten sich doch die Wirtschaftsdaten der USA, auch die Arbeitsmarktdaten waren hoffnungsvoll?
Ich sehe keine substanziellen Verbesserungen. Die Arbeitslosigkeit ist für US-Verhältnisse nach wie vor dramatisch hoch. Und das, obwohl viele Unternehmen Arbeitnehmer suchen. Sie finden aber keine ausreichend qualifizierte Kräfte! Die Statistik ist geschönt, da viele Bürger gar nicht mehr auf Jobsuche sind, sie haben bereits aufgegeben. Für die US-Wirtschaft ist eine hohe Arbeitslosigkeit Gift, da sie immer vom Konsum der Bürger profitierte.
Ein Konsum, der in weiten Teilen kreditfinanziert war.
Das stimmt. Der Konsum wurde hauptsächlich auf Pump finanziert. Es war ein „geborgter Aufschwung“ wie Joseph Stiglitz richtig sagt. Die Subprimekrise hat das Problem offenkundig gemacht. Gelöst aber, ist es noch längst nicht. Im Gegenteil: Inzwischen sind nicht mehr nur Kredite an Kreditnehmer mit schlechter Bonität, sondern auch „normale“ Kredite schwer belastet. Das Volumen der ausstehenden Kredite in den USA ist im Dezember laut US-Notenbank um mehr als 19 Milliarden auf 2,5 Billionen US-Dollar gestiegen. Das ist nur noch knapp unter dem Rekordhoch aus dem Sommer 2008. Die Erkenntnis, dass notleidende Kredite in großer Zahl das Finanzsystem und in der Folge die Realwirtschaft in ihren Grundfesten erschüttern können, wird ignoriert.
Nicht nur die Bürger, auch der Staat ist dramatisch verschuldet. Die Schulden betragen mehr als 15 Billionen US-Dollar. Was hat das für Auswirkungen?
Es führt dazu, dass die politische Führung handlungsunfähig ist. Für Strukturreformen ist kein Geld vorhanden. Weder kurz- noch langfristig. Denn die Schulden sind nur noch durch eine höhere Inflation abzubauen, was eine kalte Enteignung der Sparer bedeutet. Viel schlimmer noch: Ausländische Investoren werden verprellt, allen voran China und Japan. Sie legen nicht mehr all ihr Geld und Vertrauen in den US-Dollar. Die Stellung des „Greenback“ als Leitwährung ist in Gefahr.
Lasten auf die Partner abwälzen
Noch können sich die USA an den Kapitalmärkten aber zu überraschend niedrigen Zinsen Geld leihen.
Das hat zwei Gründe: Die Notenbank um Ben Bernanke kauft langfristige Staatsanleihen auf und wirft kurzfristige Papiere auf den Markt. Das mindert zwischenzeitlich den Zinsdruck.
Zudem profitieren die USA von der Rolle des Dollar als Weltreservewährung. China und Japan als größte Gläubiger können nicht auf einmal all ihr Geld abziehen, das wäre entgegen ihrer Interessen. Es ist aber bereits jetzt deutlich, dass sie diversifizieren. Die beiden asiatischen Länder haben Ende Dezember in einem ernstzunehmenden Vorgang begonnen, gegenseitig in das jeweils andere Land zu investieren. Das ist ein deutliches Zeichen, dass das Vertrauen in die USA schwindet.
FAQ US-Vorwahlen
Den Spitzenkandidaten einer Partei bestimmt deren Basis während der Parteitage. Diese "national conventions" gibt es seit 1832. Dort kommen Tausende Delegierte zusammen, die bei den Vorwahlen in den einzelnen Bundesstaaten ernannt wurden und sich verpflichtet haben, für einen bestimmten Kandidaten zu stimmen.
Insgesamt 2286 Delegierte vertreten 50 US-Bundesstaaten - inklusive Washington, Puerto Rico, Guam, Amerikanisch Samoa, Virgin Islands und die Nördlichen Marianen.
Es gibt zwei Wege, einen Kandidaten zu wählen: Caucus und Primary. Bei der Primary gehen die Wähler in ein Wahllokal und wählen ihren Kandidaten. Bei der offenen Primary können alle Wähler für jeden beliebigen Kandidaten stimmen. Bei der geschlossenen Vorwahl wählen die eingetragenen Parteimitglieder strikt nach Parteizugehörigkeit.
Bei der Caucus wählen eingetragene Parteimitglieder - schriftlich oder offen - jeweils ihren Kandidaten. Dem voran gehen Debatten und Reden, das Verfahren ist recht zeitaufwändig.
Die Präsidentschaftskandidaten können in 56 Vorwahlen um die Stimmen der Delegierten buhlen. Los geht es am 03. Januar in Iowa, der letzte Vorwahlkampf findet am 26. Juni in Utah statt.
Damit die Republikaner einen Gegenkandidaten für Barack Obama ins Rennen schicken können, muss er bei den Vorwahlen 1144 Delegiertenstimmen bekommen haben.
Welche Auswirkungen haben die hohe Arbeitslosigkeit und die Schuldenlast auf die Außenpolitik der USA?
Amerika kann die Ressourcen nicht mehr bereitstellen, die nötig sind, um Ordnungs- und Sicherheitsmacht zu sein. Das heißt: Ein US-Präsident muss mehr denn je Lasten auf die Partner abwälzen. Der Amtsinhaber Barack Obama hat das bereits gemacht. Im Libyen-Krieg hat er die Führungsrolle verweigert. Richtig. Und das war nur ein Vorgeschmack. Insbesondere die NATO ist ein beliebtes Instrument, um Lasten abzuwälzen. Die USA werden mehr denn je abwägen, wo sie sich engagieren und wo nicht.
Was passiert, wenn Europa und die NATO nicht bereit sind, mehr Verantwortung zu tragen?
Wenn Europa nicht willens oder in der Lage ist, den USA unter die Arme zu greifen, werden für die USA Sicherheitspartner in Asien umso interessanter. Barack Obama hat ja schon angekündigt, zunehmend im pazifischen Raum präsent sein zu wollen. Aus militär-strategischen Gründen, aber auch um Rohstoffinteressen zu wahren.
Für die Army-Stützpunkte auf deutschem Boden ist das keine gute Nachricht.
Nein, wir müssen davon ausgehen, dass die USA einen Großteil ihrer Truppen abziehen. Deutschland verliert sicherheitspolitisch zunehmend an Bedeutung für Amerika. Das würde sich auch unter einem Republikaner nicht ändern. Europa ist heute kein sicherheitspolitisches Problem mehr; es bleibt nur noch interessant, wenn es zur Lösung von Problemen in anderen Weltregionen beitragen kann. Der Blick geht gen Asien, Afrika und zum Nahen und Mittleren Osten – um Amerikas vitale Energieinteressen zu wahren.
Weltordnung nach amerikanischen Interessen
Aber die Gesellschaft ist doch kriegsmüde. Der Ruf, die Truppen heimzuholen, wird immer lauter.
Das stimmt, ist aber kein Widerspruch. Um die innenpolitischen und finanziellen Kosten von Auslandseinsätzen zu verringern, wird die Weltmacht den „militärischen Fußabdruck“ verkleinern und geostrategisch wichtige Gebiete etwa durch eine Drohnen-Flotte und mitsamt den dafür weltweit nötigen Basen kontrollieren. Diese unbemannten Luftfahrzeuge dienen der Aufklärung und Überwachung. Mit Raketen bestückt können diese Luftfahrzeuge bei Bedarf auch in Kampfeinsätzen Verwendung finden. Nach der Amtsübernahme Obamas wurden diese Einsätze – insbesondere auch über dem Staatsgebiet Pakistans – forciert. Nicht zuletzt ist Pakistans Führung für viele US-Politiker und Berater längst kein Freund mehr, sondern Feind. Es gibt Pläne, das Militärregime einzudämmen. Darüber hinaus wurden die Überwachungs- und Kampfeinsätze im weltweiten „Kampf“ gegen den Terrorismus auf andere Gebiete ausgeweitet, etwa auf den Jemen und Somalia.
Ist nicht die Furcht vor Terroranschlägen in den USA geringer geworden, seitdem Osama bin Laden und viele seiner Mitstreiter, nicht zuletzt auch mithilfe von Drohnen, getötet werden konnten?
Ganz sicher kann man sich nie sein. Die ursprünglich als Vorhut im weltweiten Kampf gegen den Terror eingesetzten unbemannten Aufklärungs- und Kampfflugzeuge können selbstredend auch gegen eine andere am Horizont aufziehende Gefahr in Stellung gebracht werden: gegen China, die aufstrebende Wirtschaftsmacht in Asien, die für ihr weiteres Wachstum immense Energieressourcen benötigen wird. Indem sie diese zunehmend militärisch sichert, gerät sie in Konflikt mit den so genannten vitalen Interessen der USA.
Ein Abschied der USA als Weltpolizei ist also kein Thema?
Das ist momentan nicht mehrheitsfähig. Es gibt zwar die Forderung, etwa von Repräsentanten der libertären, staatsfeindlichen Tea-Party-Bewegung, aber auch von demokratischen, gewerkschaftsnahen Kräften, dass sich Amerika in sein Schneckenhaus zurückziehen soll und seine Ordnungsfunktion aufgeben soll. Sie sagen: Was kümmert uns die Welt, wir haben doch genug eigene Probleme in unserem Land zu lösen. Aber: Vertreter des Mainstream, das sind die außenpolitischen Meinungsführer der Republikaner wie Senator John McCain und federführende Demokraten wie Vize-Präsident Joe Biden und Außenministerin Hillary Clinton, wollen die Weltordnung weiter nach amerikanischen Interessen und Werten gestalten – allerdings nicht auf eigene Faust, so wie die Neokonservativen in den Bush-Jahren das versuchten, sondern, indem multilaterale Organisationen und Partner stärker mit eingebunden werden, die so genannte Last globaler Verantwortung zu tragen.
"Es wäre wünschenswert, dass das politische Gezänk aufhört"
Die politische Klasse in den USA, sie haben es gerade skizziert, ist zerstritten. Die republikanische Mehrheit im Kongress macht Barack Obama das Leben schwer, beispielhaft war das Gezerre um ein Anheben der Schuldengrenze. Müssen wir nicht hoffen, dass ein Republikaner die Wahl gewinnt, damit durchregiert werden kann?
Es wäre wünschenswert, wenn das politische Gezänk das Land nicht länger lähmen würde. Allerdings könnte ein republikanischer Präsident selbst mit republikanischen Mehrheiten im Kongress keineswegs davon ausgehen, durchregieren zu können. Denn Partei- oder Fraktionsdisziplin wie in Deutschland gibt es in den USA nicht. Die Legislative besteht also nicht aus Parteisoldaten, sondern ist vielmehr eine Ansammlung politischer Einzelunternehmer, die nur sich selbst, Gott und den Wählern und Financiers in ihren Wahlkreisen beziehungsweise den Bundesstaaten Rechenschaft schulden. Der amerikanische Präsident muss im Kongress ständig um Zustimmung für seine Politik werben, das heißt je nach Politikinitiative unterschiedliche und zumeist parteiübergreifende Ad-hoc-Koalitionen schmieden – was ihm jedoch wegen zunehmender ideologischer Gegensätze und enger werdender finanzieller Spielräume kaum noch gelingt.
Fazit: Der US-Präsident ist aufgrund verschiedener Faktoren in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt, das Land steht vor vielen Herausforderungen. Welche Rolle spielt das Land künftig in der Welt?
Amerika abzuschreiben, wäre ein Fehler. Das Land hat schon viele Krisen abgewendet. Aber die USA müssen sich von ihrer alleinigen Vormachtsvorstellung so langsam verabschieden. Während die von Geostrategen häufig ins Feld geführte hard power, die Militärmacht Amerikas, immer öfter an finanzielle Grenzen stößt bei der Aufgabe, die nationale Energieversorgungs- und wirtschaftliche Sicherheit zu gewährleisten, hält seine smart power, also seine technologischen und hoffentlich auch politischen Fähigkeiten, vielversprechende Alternativen für den nächsten US-Präsidenten bereit. Schließlich haben die neuen Energien noch einen gewaltigen Vorteil gegenüber den fossilen Ressourcen: Sie werden nie ausgehen, denn sie sind vor allem das Resultat unbegrenzten Erfindergeistes.
Was können wir tun?
Technische Innovationsvorsprünge hierzulande stellen für deutsche und europäische Politiker gute Argumente dar, wenn sie bei amerikanischen Meinungsführern und Entscheidungsträgern für eine transatlantische Energie- und Umweltpartnerschaft werben als Grundlage für eine multilaterale, umweltverträgliche Energiesicherheitspolitik.