Lässt sich daraus aber auch schließen, in welche Richtung ein Mormone im Weißen Haus die von wirtschaftlichen Strukturproblemen geplagte amerikanische Nation steuern würde, falls Barack Obama die Wiederwahl nicht schafft? Was angesichts der Wirtschaftsbilanz des amtierenden Präsidenten fast schon wahrscheinlich wirkt: Die Arbeitslosenquote liegt unverändert hoch bei 8,2 Prozent, der überschuldete Staatshaushalt ist nicht saniert, mit dem Abbau des Defizits ist nicht einmal begonnen worden. Die weiteren Aussichten sind schlecht wegen der schwachen Weltwirtschaft und der Krise in Europa. US-Notenbank-Chef Ben Bernanke flutet den Markt mit Geld, und die Konjunktur springt trotzdem nicht an. Entsprechend schlecht ist die Stimmung: Mehr als die Hälfte der Amerikaner glauben, ihr Land sei auf dem falschen Weg.
„Romney ist überzeugt davon, dass die Werte der Mormonen mit ihrem Fokus auf Glaube, Familie und harte Arbeit Amerika wieder auf Vordermann bringen können“, sagt Douglas Anderson, Dekan an der Business School der Utah State University und Freund von Romney. „Amerika ist für ihn das gelobte Land, ganz so, wie es Joseph Smith lehrte, der Begründer der Kirche. Dieses Land erfolgreich zu führen, so glaubt er, sei eine Pflicht und Verantwortung vor Gott.“
Missionarsarbeit in Frankreich
Romney stammt sozusagen aus mormonischem Hochadel. Ein Ururgroßvater war führender Mitstreiter des Propheten Smith, der Großvater ein Pionier der mormonischen Auslandsmission in Mexiko, und sein Vater George brachte es nicht nur als Automanager weit nach oben, sondern auch als Gouverneur des Bundesstaates Michigan. Mitt Romney selber war als Student von der frommen Uni in Utah ans hoch angesehene Harvard gewechselt, blieb aber dem Glauben treu, für den er schon vor dem Studium zweieinhalb Jahre ausgerechnet in Südfrankreich missioniert hatte, also einem Landstrich, wo eine den Alkoholgenuss verdammende Religion nicht die allerbesten Chancen hat.
Solcher Frust mag eine gute Schule fürs Leben sein. „Die Mission ist der härteste Verkaufsjob, den es gibt, und macht dich zu einer besseren Führungskraft“, sagt Clayton Christensen, Management-Guru, Professor an der Harvard Business School und ebenfalls Mormone. Mormonen sollen eben immer vor allem das Beste aus ihrem Leben machen, um auf diese Weise gottesgleich zu werden. Auf diesem Weg, könnte man sagen, hat es Mitt Romney als Präsidentschaftskandidat jetzt weiter gebracht als alle seine Glaubensgenossen.
Zumindest für andersgläubige Amerikaner ist Romney viel wichtiger als die zwölf Mormonen-Apostel und der Kirchenpräsident Thomas Monson, deren Fotografien die Wände des Gemeindehauses am Bonneview Drive zieren. Diese Herren haben das Sagen in der streng patriarchalisch organisierten Kirche. Frauen gibt es keine an der Spitze, und das Tagesgeschäft in den Gemeinden erledigen unbezahlte Laien wie Familienvater Kirkpatrick, der von Beruf Pilot ist, Gemeindebischof Strong, der sein Geld als Autohändler verdient, oder Politiker wie Romney, der neben seinem Job als Gouverneur von Massachusetts in Boston zehn Jahre lang sogar „stake president“ war – eine Art Chef mehrerer Bischöfe in einer Region. Da hat er Taufen organisiert, Gottesdienste gehalten, Familien bei Alltagsproblemen geholfen, Gemeindefinanzen verwaltet.
Beruf und kirchliches Amt
So wie jetzt Autohändler Blake Strong in Bonneville. „Meine wichtigste Aufgabe ist es, die Familien zusammenzuhalten“, sagt der 51-Jährige. Strong, dessen Familie schon in der dritten Generation Autos der Marken Volkswagen und Audi in Salt Lake City verkauft, kümmert sich ehrenamtlich um rund 150 Familien in der Gemeinde. Sonntags ist er der einzige Autohändler der Stadt, dessen Geschäft nicht geöffnet ist. „Würde ich amerikanische Modelle verkaufen, wäre das vielleicht nicht so einfach, aber die Deutschen haben ja selbst sonntags ihre Geschäfte geschlossen“, sagt er lachend. Mit 19 Jahren war er 1980 als Missionar in Düsseldorf auf Station gewesen.