Venezuela Eine Seilbahn als Symbol für wirtschaftlichen Irrsinn

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1,30 US-Dollar für 1000 Liter Benzin

Das Land steht vor dem Ruin, fast monatlich sind milliardenschwere Auslandsschulden zu begleichen. Auch deshalb fehlt scheinbar Geld zum Beispiel zur Einfuhr von Toilettenpapier. Aber auch, weil zum Beispiel das Benzin so massiv subventioniert wird, dass es um ein Vielfaches günstiger ist als Wasser. Für eine Seilbahnfahrt, die für Einheimische 6000 Bolivares kostet (nach dem Schwarzmarktkurs 1,30 US-Dollar), gibt es an der Tankstelle 1000 (!) Liter Benzin.

Ausländer, die mit ihren Devisen das sozialistische Seilbahnprojekt ans Laufen bringen sollen, müssen 50 US-Dollar pro Fahrt zahlen. Aber seit der Eröffnung im Oktober 2016 kamen gerade einmal 480 Touristen.

Das führt zum zweiten Haken: Touristen machen um Venezuela einen weiten Bogen. Es ist wegen der Krise eines der gefährlichsten Länder der Welt. Auch Einheimische sind an diesem Tag in überschaubarer Zahl unterwegs zum Gipfel, so bleiben die 360 Mitarbeiter in der Mehrheit. Pro Stunde könnten mit der Seilbahn 300 Passagiere fahren. Wohl weil das Ganze etwas aus der Zeit gefallen wirkt, hat Maduro, der sonst jede neue Busstation mit Brimborium einweiht, sich hier zur Eröffnung nicht blicken lassen. Als wäre es ihm peinlich.

Hungern und protestieren – Deswegen steht Venezuela vor dem Ruin

Die Länge beträgt 12,5 Kilometer. Es geht über fünf Stationen, von 1577 Metern auf 4765 Meter. Oben ausgestiegen, gibt es einen Weg zu einer Plattform, von der man einen großartigen Blick auf den Pico Bolívar hat (4978 Meter), den höchsten Berg Venezuelas, benannt nach dem Befreier von der spanischen Kolonialmacht. Eine weiße Marienfigur begrüßt die wenigen Gäste.

In Zeiten, in denen Menschen im Müll nach Essbarem suchen, sehen viele Venezolaner die Seilbahn als völlig irrwitziges Projekt. Damals, 2011, als es den Auftrag für Doppelmayr gab, war der Ölpreis halt noch hoch. Und die alte, von 1960 stammende Seilbahn war marode.

Chávez wollte etwas, dass das neue Venezuela symbolisiert. Statt Baracken als Zwischenstationen verspiegelte Prachthallen. In der Station Montaña (2436 Meter) gibt es eine Bar mit weißer Marmortheke und roten Designmöbeln. „Sind aus Italien eingekauft worden“, sagt ein Mann, der seinen Namen lieber nicht nennen will. Es gibt einen kleinen Konzertsaal. Eine Station höher, La Aguada (3452 Meter), kann man feinste Schokolade kosten. Man will nicht wissen, wie defizitär das hier sein muss. Und muss zwangsläufig an die vielen Schlangen vor oft leeren Supermärkten und Apotheken da unten im Land denken.

„Das ist eine Arbeit der ersten Welt, ein Stolz für Venezuela, ein revolutionäres Projekt unseres Präsidenten Maduro“, sagt trotz allem der Chef der staatlichen Seilbahngesellschaft Ventel, José Gregorio Rojas. Bald würden mehr Touristen kommen. „Wir sind dabei, Abkommen mit internationalen Airlines zu suchen.“ Doch die stellen seit 2015 reihenweise den Betrieb in das Krisenland ein. Damit trotzdem niemand schlecht über diese Rekordbahn redet, empfängt eim Konterfei mit den Augen von Hugo Chávez die Passagiere beim Ausstieg in der Talstation. Darüber der Spruch: „Aqui no se habla mal de Chávez.“ Zu Deutsch: „Hier spricht man nicht schlecht über Chávez.“

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