Verbraucherschutz China kämpft mit Lebensmittelskandalen

Fast täglich kommt es im Reich der Mitte zu einem neuen Skandal in der Lebensmittelbranche. Die Ursachen sitzen tief - Profitgier ist nur einer von vielen Faktoren.

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Es ist eine Zumutung, wenn Reste von Pferdefleisch in einer Lasagne auftauchen, die nicht als Pferdefleisch-Lasagne deklariert ist. Und natürlich ist es kein Trost oder gar eine Entschuldigung, wenn die Hersteller der Produkte das nicht willentlich getan haben, sondern es irgendwo in der Produktkette zu einem Fehler gekommen ist. Nun stellen Sie sich einmal vor, es gäbe ständig solche Skandale. Jeden Tag würde irgendwo in Europa ein Lebensmittelskandal bekannt werden, ekliger, aber vor allem gefährlicher als ein paar Gramm Pferd. Schwer vorstellbar?

Genau das aber ist die Situation in China.

Letzte Woche zum Beispiel: Da schwammen mehrere tausend (zunächst war von 2000, dann 6000, später sogar 10.000 die Rede) tote Schweine durch den Huangpu. Das ist der Fluss, der durch Shanghai fließt, und an dem auch ein Teil der Wasserversorgung von 23 Millionen Menschen hängt. Bauern flussaufwärts hatten die toten Tiere dort hineingeschmissen. Was genau passiert ist, weiß noch niemand.

Eine Vermutung: Die Tiere waren krank und sollten illegal an einen Geschäftsmann verkauft werden. Der aber saß bereits wegen eines anderen Vergehens im Gefängnis und konnte die kontaminierte Ware nicht annehmen. Um Geld für die Entsorgung zu sparen, warf der Verkäufer die Schweine eben in dem Fluss. Genau aber weiß man nicht einmal das, denn Informationen werden von den Behörden nur stückchenweise herausgegeben.

"Man kann das auch positiv sehen", sagt Wu Heng. "Wären die Schweine nicht im Fluss gelandet, hätte irgendjemand das vergiftete Fleisch gegessen." Der 27-jährige Wu ist ein Zyniker. Wäre er keiner, würde er wahrscheinlich verzweifeln. Er hat die Website ins Netz www.zccw.info gestellt, die Lebensmittelskandale in China dokumentiert. "In China passiert täglich ein Lebensmittelskandal. Manchmal sind es auch mehrere an einem Tag."

Lebensmittelskandale sind Chinas größtes Problem

Pferd, Hai, Meerschweinchen - welche Tiere gegessen werden
PferdEin traditionelles Pferdefleischgericht ist der Rheinische Sauerbraten. Da der deutsche Pferdefleischkonsum rückläufig ist, greifen Köche dabei als Ersatz oft auch zu Rindfleisch. Quelle: dpa
SchneckenIn Frankreich gelten gratinierte Weinbergschnecken im eigenen Gehäuse und mit einer speziellen Kräuterbutter als Vorspeise. In Italien werden sie aus ihren Häusern gezogen, in Baumöl getaucht und mit Salz und Pfeffer gewürzt. In Deutschland servieren Köche die Tiere entweder als „Badische Schneckensuppe“ oder als Salat mit Essig, Öl, Salz und Pfeffer. Quelle: AP
HaiIn China erfreut sich Haifischflossensuppe wachsender Beliebtheit. Die aus der Region um Hong Kong stammende Suppe wird vor allem für ihre Konsistenz geschätzt. Grundlage bildet die knorpelige Substanz der Haiflossen. Diese werden solange in Hühnerbrühe gekocht, bis sie sich in ihre Bestandteile auflösen. Eine isländische Spezialität ist Hákarl, das aus fermentiertem Hai besteht. Geschmack und Geruch dieses Gerichts sind sehr intensiv – nur aufgrund seiner Fermentierung wird es überhaupt erst genießbar. Grund ist die Harnstoffansammlung im Hai, die nur langsam abgebaut wird. Quelle: REUTERS
MeerschweinchenIn Deutschland ein Haustier, in Peru ein Masttier: Das Fleisch von Meerschweinchen gehört zu den traditionellen peruanischen Hochzeitsgerichten. Quelle: RK from The Netherlands, Creative Commons: CC BY-SA 3.0
InsektenAußer in westlichen Kulturen gehören Insekten fast überall auf der Welt auf den Speiseplan. Ob verschiedene in Sand und Asche gegarte Larvenarten bei den australischen Ureinwohnern, mit Schokolade überzogene Heuschrecken in Mexiko oder gekochte Wespenlarven in Japan. Teils gelten Insekten als Delikatessen. So werden „Escamoles“ – mit Öl und Knoblauch gemischte Larven zu Tortillas – als mexikanischer Kaviar bezeichnet. Quelle: Takoradee, Creative Commons: CC BY-SA 3.0
KatzeWie Hunde- so wird auch Katzenfleisch vor allem in China, Korea und Vietnam gegessen. Das Fleisch wird dabei häufig zu Fleischbällchen verarbeitet. In Peru wird Katzenfleisch während des Santa-Efigenia-Festivals zubereitet. Quelle: dpa
KänguruKänguru-Fleisch kommt aus Australien, wird dort jedoch vor allem exportiert – davon gehen 80 Prozent nach Europa. Das Fleisch gehört zu den traditionellen Nahrungsmitteln der Aborigines, den australischen Ureinwohnern. Generell hat es im Land den Ruf eines minderwertigen „Bush Foods“. Kängurus leben in Australien vor allem in freier Wildbahn und vermehren sich dort sehr schnell, da sie keine natürlichen Feinde haben. Deshalb wird jährlich auf Antrag von Farmern eine bestimmte Anzahl von Kängurus durch staatlich zugelassene Jäger erlegt – deren Fleisch dann auch auf deutschen Tellern landet. Quelle: REUTERS

Nur die größten erreichen auch die internationalen Medien: 2008 kam ans Licht, dass Milchpulver für Babynahrung mit Melanin verseucht war. 2011 gingen Bilder von explodierenden Wassermelonen durch das Internet - das Obst war mit Wachstumsbeschleunigern malträtiert worden. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Ekel-Arie mit dem Speiseöl-Skandal: Findige Ölverkäufer hatten altes Speiseöl aus Abwasserkanälen abgeschöpft und wieder an Restaurants verkauft. Auch ausländische Unternehmen sind vor den Lebensmittelskandalen nicht gefeit: Im Dezember wurde heraus, dass das Hühnerfleisch bei der in China sehr erfolgreichen Fastfood-Kette "Kentucky Fried Chicken" exzessiv hohe Antibiotika aufweisen. Der Umsatz ist seitdem massiv eingebrochen: Im Januar fielen die Verkäufe um 41 Prozent.

Anfangs dachte er noch, erzählt Wu, verseuchte Babynahrung betreffe ihn nicht. Er habe ja schließlich keine Kinder. Dann aber erfuhr er, dass billiges Schweinefleisch mit einem krebserregenden Additiv versetzt und als Rindfleisch deklariert worden war. "Rindfleisch mit Reis - das war mein Lieblingsgericht", sagt Wu. "Ich habe das fast jeden Tag gegessen, über ein halbes Jahr lang." Im Juni 2011 startete Wu seine Website. "Es geht uns alle an", sagt Wu. "Ich möchte, dass wir uns wenigstens darüber informieren können." Jetzt besuchen das Projekt jeden Tag mehr als 10.000 Internet-User.

Mittlerweile ist Lebensmittelsicherheit zu einem der größten Probleme des Landes geworden. Ein ganzes Volk ist verunsichert: 41 Prozent der Chinesen sehen altes Speiseöl, schwimmende Schweinekadaver und explodierende Wassermelonen als das größte Probleme des Landes, 2008 waren das nur acht Prozent.

Weshalb es in China zu so vielen Lebensmittelskandalen kommt, hat viele Ursachen - an fehlenden Gesetzen aber liegt es nicht unbedingt. "Das Problem ist die Umsetzung", sagt Xavier Burchard, Experte für Lebensmittelsicherheit beim EU-China Handelsprojekt. Es gebe zu viele Verantwortliche mit zu wenig Verantwortungsgefühl. "Beamte müssen nicht um ihren Job fürchten, wenn sie versagen", sagt auch Wu.

Superministerium soll helfen

Was steckt in unserem Essen?
Gestreckter KaffeeUm mehr Geld zu verdienen kommt es immer wieder vor, dass Hersteller ihren Kaffee strecken. Dafür mischen sie laut einer NDR-Reportage den gemahlenen Bohnen zu etwa zehn Prozent den Stoff Maltodextrin bei. Dabei handelt es sich um eine Zuckerart, die in der Lebensmittelindustrie als günstiger Füllstoff eingesetzt wird. Auch Karamell wird zum Strecken verwendet. Kunden sollten im Supermarkt bei der Aufschrift "Melange" hellhörig werden. Auch im Kleingedruckten geben die Hersteller an, ob sie das Produkt gestreckt haben. Damit gibt es keine rechtlichen Konsequenzen. Quelle: dpa
Ewig frisches FleischSeit Tagen liegt das Hackfleisch im Kühlschrank und noch immer sieht es frisch aus. Die Lebensmittelindustrie macht es möglich, indem sie einfach ein Gasgemisch mit viel Sauerstoff in die Verpackung pumpt. Dadurch bleibt das Fleisch optisch frisch. Am Geschmack lässt sich das Alter dann aber doch erkennen. Das Max-Rubner-Institut hat herausgefunden, dass derartig behandelte Ware ranzig schmeckt. Außerdem soll das Gasgemisch das Wachstum bestimmter Bakterien fördern. Quelle: dpa
Gefärbte OlivenIm Handel werden sowohl schwarze als auch grüne Oliven vertrieben. Schwarze Oliven gelten dabei als besondere Delikatesse, da sie schon reif und damit vollmundiger im Geschmack sind. Die grünen Oliven sind noch sehr jung und damit eher herb und säuerlich im Geschmack. Weil sich die schwarzen Exemplare besser verkaufen lassen, sind findige Hersteller auf die Idee gekommen, grüne Oliven einfach schwarz zu färben. Rein optisch ist es sehr schwer die echten von den gefälschten schwarzen Oliven im Glas unterscheiden zu können. Wer wissen will, welche Oliven er kauft, muss einen Blick auf die Zutatenliste werfen. Sind die Stabilisatoren Eisen-2-Gluconat oder Eisen-2-Lactat aufgelistet, handelt es sich um Trickserei. Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Natürliche AromenVielen Verbrauchern ist es wichtig, dass in Produkten keine oder zumindest wenig Chemie enthalten ist. Wer aber darauf vertraut, dass in einer Erdbeermarmelade mit "natürlichen Aromen" nur Erdbeeren und Zucker enthalten sind, der kann sich täuschen. Natürliche Aromen können nämlich auch pflanzliche Öle sein, die dem Obstgeschmack nahe kommen. Quelle: dpa
PestoSo beklagt die Verbraucherorganisation Foodwatch, dass beispielsweise im Pesto Verde der Marke Bertolli (Unilever) Cashewnüsse, Pflanzenöl, Aroma und Säuerungsmittel enthalten sind. Dabei wirbt Unilever mit "original italienischer Rezeptur", "nur die besten Zutaten", "feinstes Bertolli Olivenöl" und Pinienkernen. Mehr als ein Fingerhut voll Olivenöl muss aber gar nicht drin sein und auch die teuren Pinienkernen müssen nur zu einem geringen Teil enthalten sein. Quelle: Fotolia
PuddingAuch im Pudding muss nicht drin sein, was draufsteht: So reicht es beispielsweise, wenn im Schokoladenpudding ein Prozent echtes Kakaopulver enthalten ist. Der Rest darf eine bunte Mischung aus Aromen, Zucker, Fett und Gelatine sein. Nur wenn weniger als ein Prozent Kakao - also Schokolade - im Schokopudding ist, muss das entsprechend deklariert werden. Quelle: dpa/dpaweb
FruchtsaftgetränkeAuch bei Fruchtsäften müssen Verbraucher aufmerksam sein. Nur, wenn auf der Packung "Fruchtsaft aus 100 Prozent Frucht" steht, ist tatsächlich nichts anderes drin. Die deutsche Fruchtsaftverordnung erlaubt allerdings auch die Verwendung von Fruchtsaftkonzentrat und 15 Gramm zusätzlichem Zucker pro Liter Saft. Saft aus Zitronen, Limetten, Bergamotten und schwarzen, roten oder weißen Johannisbeeren darf mehr Zucker zugesetzt werden. Beim Fruchtnektar handelt es sich dagegen um eine Mischung aus Fruchtsaft und/oder Fruchtmark, Wasser und Zucker. Der Fruchtanteil beträgt 25 bis 50 Prozent. Noch niedriger ist der Fruchtanteil bei Fruchtsaftgetränken: Bei Orangensaft liegt dieser bei sechs Prozent, bei Traubensaft und Apfelsaft bei 30 Prozent. Bei Eistees reicht es, wenn Obst auf der Packung abgebildet ist, enthalten sein muss keins. So beanstandet Foodwatch den Pfanner-Eistee "Zitrone-Physalis", in dem die Menge an Physalis ist so gering ist, dass sie nicht einmal deklariert werden muss. Im zwei-Liter-Karton sind außerdem enthalten: 44 Stück Würfelzucker, 15 Prozent gelber Tee, Aromen und E330 (Zitronensäure). Quelle: dapd

Die Regierung sieht das Problem sehr deutlich und kündigt immer wieder an, dagegen vorzugehen. So gab Peking am 10. März bekannt, eine neue Superministerium zu schaffen. Die "General Food and Drug Administration" soll "die Sicherheit der Nahrung und Medikamente der Nation verbessern", sagte der stellvertretende Minister Chen Xiaohong der chinesischen Zeitung "China Daily".

Doch das Problem sitzt noch tiefer: Chinas Landwirtschaft ist extrem fragmentiert: 200 Millionen Familien bewirtschaften jeweils eine Fläche von durchschnittlich 0,6 Hektar. Was nach Öko-Romantik klingt, kann fatale Konsequenzen haben: Die zersplitterte Struktur macht es extrem schwierig, einheitliche Qualitätsstandards durchzusetzen und zu gewährleisten. Mit diesem Problem haben auch ausländische Konzerne wie Metro, Carrefour oder eben KFC zu kämpfen. Dazu kommen rund eine halbe Million Firmen, die in der Nahrungsmittelindustrie tätig sind - die meisten davon mit weniger als zehn Mitarbeitern. Denen fehlen meist die Ressourcen, in bessere Technik und Qualität zu investieren.
"Darüber hinaus sind manche Bauern auch nicht über die komplexen Gefahren wie zum Beispiel Bakterien-Resistenzen informiert", sagt Javier Burchard. So könne es passieren, dass jahrelang Schweine oder Hühner mit viel zu hohen Mengen von Antibiotika gefüttert werden. Das liegt weniger an der Profitgier der Bauern als an Unkenntnis.

Auch die schiere Größe Chinas lässt Lebensmittelskandale so bedrohlich werden: Kein anderes Land konsumiert so viel Schweinefleisch im Jahr wie China. 2012 wurden etwa 700 Millionen Schweine gezüchtet. Bei einer normalen Krankheitsrate von drei Prozent sind das 18 Millionen tote Tiere im Jahr, schätzt das Wirtschaftsmagazin Caixin. Ein Bruchteil davon, aber eben immerhin 10.000, schwammen im Huangpu. In Jiaxing, woher die Tiere stammten, gebe es nicht genügend Kapazitäten, um notgeschlachtete Tiere zu verbrennen oder zu beerdigen, so Caixin. Außerdem fehle ein dringend nötiges Registrierungssystem.

Am Ende der Kette steht der Konsument, der Opfer des Skandals und zugleich Teil des Problems ist. "Die Leute wollen eben nicht viel Geld ausgeben", sagt Wu Heng. Darin unterscheiden sich Chinesen nicht von Deutschen.

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