Vereinte Nationen Die Uno kann die größten Probleme der Welt nicht lösen

Weniger Flüchtlinge, weniger Armut, weniger Klimaschäden: Die Welt will bis 2030 das Elend besiegen. Solche Pläne gab es schon, sie scheiterten: die Millenniumsziele. Die traurige Bilanz einer mutigen Idee.

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Arbeiter in Bangladesch Quelle: Laif

Was mit heißer Luft beginnt, kann wohl nur mit heißer Luft enden. „Die nächste Deklaration, die nächste aus der keine Konsequenzen gezogen werden“, erinnert sich Jan Vandemoortele an die Stimmung in New York im Herbst 2000. Hinter dem damaligen Leiter des Welternährungsprogramms lag ein UN-Entwicklungsgipfel, am Ende stand eine Einigung auf ein Dutzend hehre Ziele – so wie bei allen vergleichbaren Gipfeln in den Jahren davor. „Kaum waren die Staatschefs abgereist, war von den Vereinbarungen nur noch das Papier übrig, auf das man sie geschrieben hatte“, sagt Vandemoortele. Doch in der Organisation rumorte es.

Immer mehr UN-Mitarbeiter stellten die eigene Arbeit infrage. Der Ruf litt. Und so fassten sich ein paar Mitarbeiter aus dem Stab des damaligen Generalsekretärs Kofi Annan ein Herz, an ihrer Spitze Vandemoortele. In wenigen Monaten entwickelten sie etwas, was die Entscheidungsträger in der Welt der warmen Worte bis dahin nicht gekannt hatten: konkrete Ziele, die „Millennium Development Goals“. Acht Aufgaben, zu erreichen innerhalb von 15 Jahren. Armut halbieren. Bildung für alle. Den Planeten retten. So was eben.

Die Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen für das Jahr 2015

Größen, an denen man sich messen kann. Gründe, warum heute an mancher Stelle nur noch ungern über die Ziele gesprochen wird.

Dabei wäre das sinnvoll. Denn dieses Jahr ist wieder Weltenrettungsjahr. Kanzlerin Angela Merkel hat den G7-Staaten schon eine „Dekarbonisierung“ bis 2100 aufgenötigt. In Paris will man demnächst das Weltklima retten. Und im September wird die UN neue „Sustainable Development Goals“ beschließen, einzulösen bis 2030. Völlig ungeachtet der Tatsache, dass die Welt schon an den bisherigen Zielen gescheitert ist. Denn wenn man sich Vandemoorteles acht Ziele anschaut, die die Welt bis 2015 erreichen wollte, dann offenbaren sich statt Erfolgen die Grundsatzprobleme der weltweiten Entwicklungspolitik. Mit all den Folgen, die wir heute täglich beobachten können: Klimawandel, Anstieg der internationalen Konflikte, rekordverdächtige Flüchtlingsströme. Folgen, die eigentlich berücksichtigt gehörten, wenn in diesen Wochen die neuen Entwicklungsziele der Weltgemeinschaft für die nächsten 15 Jahre beraten werden. Bisher aber schweigt die Politik darüber hinweg.

Wahnsinniger Aufwand, wenig Ergebnis

Etwa als die WirtschaftsWoche beim UN-Bevölkerungsfonds den amerikanischen Statistiker Howard Friedman für ein Interview anfragt: Friedman sei kein „benannter Sprecher“, ein Interview daher unmöglich. Dabei hätte Friedman etwas zu sagen. Vor knapp zwei Jahren ging er in einer Studie der Frage nach, ob die Millenniumsziele zu einer Beschleunigung der Entwicklung in diesen Bereichen geführt hätten. Die Ergebnisse waren so überraschend wie unangenehm für die UN. „Insgesamt ist es bei den Millenniumszielen nach dem Jahr 2000 zu keiner statistisch signifikanten Beschleunigung gekommen.“

Wahnsinniger Aufwand, wenig Ergebnis – woran liegt das? Zeit, mit jenen zu sprechen, die im Getriebe der Weltpolitik an einer besseren Erde arbeiten. Wenn man sie denn ließe.

An oberste Stelle platzierten die Erfinder das grundlegendste Zeichen gesellschaftlicher Entwicklung: Armut und Hunger. Wo Menschen sich jeden Abend sorgen, ob sie am nächsten Tag genug Essbares zum Überleben finden, braucht man mit dem Bau von Schnellzugstrecken oder Fabriken gar nicht anzufangen. „Es war zudem das Ziel, zu dem sich die Staatschefs am eindeutigsten bekannt hatten“, erinnert sich Vandemoortele. Der Anteil der Menschen, die von weniger als einem Dollar pro Tag leben, sollte im Vergleich zu 1990 weltweit um die Hälfte gesenkt werden, genau wie die Zahl hungernder Menschen.

Einzelne Erfolge überdecken Probleme

Auf den ersten Blick sieht die Bilanz ziemlich beeindruckend aus. So lebten laut Weltbank 1990 gut 36 Prozent der Weltbevölkerung von weniger als einem Dollar am Tag. 2010 waren es – zu entsprechend inflationierten Preisen – nur noch 18 Prozent. Auch der Hunger ist demnach massiv zurückgegangen. Statt 24 Prozent Anfang der Neunzigerjahre waren 2013 nur noch 14 Prozent unterernährt.

Entwicklungspolitik mit dem Bulldozer

Doch: China verzerrt die Daten. So lebten 1990 mehr als 60 Prozent der chinesischen Bevölkerung von weniger als „einem“ Dollar pro Tag, 2010 waren es nur noch 12 Prozent. Allein dort gab es 2010 also rund 500 Millionen arme Menschen weniger als 1990. In den afrikanischen Ländern südlich der Sahara dagegen sank die Armut im gleichen Zeitraum nur um acht Prozentpunkte. „Die Entwicklung Chinas sorgt dafür, dass die Bilanz der Millenniumsziele deutlich besser aussieht, als sie tatsächlich ist“, sagt Markus Loewe vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. Nach China ist in den vergangenen Jahren kaum noch Entwicklungshilfe geflossen. Wer das Land daher als Gradmesser für den Erfolg der internationalen Entwicklungshilfe verwendet, schummelt.

Was Flüchtlinge dürfen

Man wird ja wohl noch träumen dürfen. Bis 2015 sollte „jedes Kind, egal, ob Mädchen oder Junge, die Möglichkeit haben, eine vollständige Grundschulausbildung zu durchlaufen“. Zwischen 1990 und 2012 hat sich die Zahl der Kinder in Schulen denn auch offiziell deutlich verbessert: In den Staaten, die nach UN-Definition als Entwicklungsländer gelten, gingen 90 Prozent aller Kinder im entsprechenden Alter zur Schule, vor allem das Afrika südlich der Sahara weist besonders schöne Zahlen auf.

Gute Zahlen sind nicht gute Ergebnisse

Doch genau diese großen Erfolge lassen stutzen. Stephan Klasen, Volkswirt an der Universität Göttingen, sagt: „Hier wird nur die Bildungsbeteiligung, nicht aber der Bildungserfolg gemessen.“ In Liberia etwa stieg die Zahl der eingeschulten Kinder in den vergangenen Jahren von 67 auf 87 Prozent. Bloß: Die Alphabetisierungsrate der 15- bis 24-Jährigen sank von 60 Prozent im Jahr 1994 auf zuletzt 49 Prozent. Ob das UN-Ziel aber wirklich erreicht ist, wenn mehr Kinder zur Schule gehen, dort dann aber weniger lernen? Eine Ausnahme? Eine Weltbank-Studie in Uganda ergab, dass 27 Prozent der Lehrer in den dortigen Schulen gar nicht anwesend waren. Von den anderen befand sich die Hälfte zum Zeitpunkt des vorgesehenen Unterrichts nicht im Klassenraum. Einschulungsrate laut UN: 95,6 Prozent.

Die Länder mit der höchsten Akademikerquote
Platz 10: IrlandBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 39,7 ProzentIm Jahr 2012 haben knapp 40 Prozent der Iren zwischen 25 und 64 Jahren eine universitäre Ausbildung. Das resümiert die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (kurz: OECD) in ihrem Bildungsbericht 2014. Deutschland hingegen schafft es nicht unter die Top Ten: Nur 28 Prozent haben einen Tertiärabschluss – also ein abgeschlossenes Studium oder einen Meister. Der OECD-Durchschnitt liegt dagegen bei knapp 33 Prozent. Quelle: AP
Platz 9: NeuseelandBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 40,6 ProzentDie weltweite Finanzkrise hat sich in Neuseeland nicht wirklich bemerkbar gemacht: Während die Zahl der Studenten in vielen Industriestaaten zwischen 2008 und 2011 zurückgegangen ist, steigt sie in Neuseeland weiter an und liegt bei knapp 41 Prozent. Im Jahr 2011 investieren neuseeländische Studenten im Durchschnitt knapp 11.000 US-Dollar in ihre Hochschulausbildung. Quelle: dpa
Platz 8: GroßbritannienBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 41,0 ProzentA-Level-Studentin Tabitha Jackson (r.) freut sich mit ihren Kommilitoninnen über ihren Abschluss am Brighton College. 41 Prozent der britischen Bevölkerung hat einen Hochschulabschluss. Ein Studienjahr in Großbritannien kostet rund 16.000 US-Dollar. Quelle: REUTERS
Platz 7: AustralienBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 41,3 ProzentEin Surfer springt mit seinem Brett in die Wellen vor Sydney. Auch „Down Under“ hat eine gut qualifizierte Bevölkerung, die deutlich über dem OECD-Durchschnitt liegt: 41,3 Prozent der Erwachsenen haben einen Universitätsabschluss. Pro Jahr muss ein australischer Student etwa 16.000 US-Dollar für seine Ausbildung zahlen. Quelle: AP
Platz 6: KoreaBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 41,7 ProzentJunge koreanische Studentinnen feiern ihren Abschluss an der privaten Sookmyung Universität in Seoul. In Korea haben 41,7 Prozent der erwachsenen Bürger einen Hochschulabschluss. Ein Studienjahr kostet knapp 10.000 US-Dollar. Quelle: dpa
Platz 5: USABevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 43,1 ProzentVon allen 30 untersuchten Staaten ist ein Studium in den USA am teuersten: Rund 26.000 US-Dollar muss ein Student dort pro Jahr an einer Universität zahlen. Dennoch kann fast jeder zweite Erwachsene einen Hochschulabschluss vorweisen. Auf diesem Foto ist der Campus der Georgetown University in Washington zu sehen. Quelle: AP
Platz 4: IsraelBevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss: 46,4 ProzentDieses Bild zeigt die israelische Universität Beerscheva, die auch als Ben-Gurion University of the Negev bekannt ist. Auch Israels Bevölkerung ist mit einem Anteil von 46,4 Prozent Hochschulabsolventen überdurchschnittlich gut ausgebildet. Pro Jahr investiert ein israelischer Student im Durchschnitt knapp 12.000 US-Dollar in seine Ausbildung. Quelle: dpa

Ähnlich paradoxe Ergebnisse gab es auch auf anderen Feldern. So soll ein Indikator messen, ob sich die Zahl der Menschen verringert, die in Slums leben. Die Regierung von Vietnam pries schon nach wenigen Jahren in einem Fortschrittsbericht, sie habe „in 2000 Städten temporäre Behausungen eliminiert“ um den Millenniumszielen näher zu kommen. Entwicklungspolitik mit dem Bulldozer.

Erfolge auf Nebenpfaden werden überholt

Aus Sicht der Vereinten Nationen ist der Siegeszug der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen kaum noch aufzuhalten. Auf diesem Feld habe die Welt in den vergangenen Jahren „substanzielle Erfolge erzielt“, heißt es im jüngsten Fortschrittsbericht des Generalsekretärs Ban Ki-Moon. Doch was wurde hier gemessen? Die Einschulungsraten von Mädchen und Jungen und die Zahl weiblicher Parlamentsabgeordneter.

Entsprechend entlarvend liest sich dann auch die Liste der Vorbildregionen in diesem Sektor. So war die bis 2014 „erfolgreichste“ Region in Sachen Geschlechtergerechtigkeit ausgerechnet Nordafrika. Für besonders erwähnenswert hält die UN auch Saudi-Arabien: Innerhalb eines Jahres sei der Frauenanteil im Parlament um mehr als 15 Prozentpunkte gestiegen, besser war nur die Urzeit-Diktatur in Simbabwe.

Wir wissen nicht, wie sich die Welt entwickelt

„Es ist eines der größten Verdienste der Millenniumsziele, dass wir angefangen haben, uns über die Verfügbarkeit und Bedeutung von Daten Gedanken zu machen“, sagt Ingolf Dietrich, Abteilungsleiter im Entwicklungsministerium und dort für die Kontakte zu den Vereinten Nationen verantwortlich. Was er nicht sagt: Der Erfolg dieser Gedanken ist größtenteils sehr überschaubar. Das zeigt sich besonders deutlich am fünften Ziel der Millenniumsvereinbarung, die Müttersterblichkeit zu reduzieren.

Hauptprobleme internationaler Entwicklungshilfe

Länder, in denen es keine sauber geführten Sterberegister gibt, scheiden von vornherein aus. Das sind zwar nur gut 20, aber zugleich die Länder, wo auch die Probleme am größten sind. Doch selbst wo es glaubhafte Sterbetafeln gibt, fangen die Probleme dann erst an: Wie ordnet man einen Todesfall der Geburt zu? Dazu muss zum einen verzeichnet sein, ob überhaupt eine Geburt stattgefunden hat. Zum anderen muss klar sein, ob der Tod im Zusammenhang mit dieser Geburt stand. In den meisten Entwicklungsländern ist das unmöglich. Gemacht wird es dennoch. Pi mal Daumen als Grundlage von Politik.

Länder mit der höchsten Zahl der Asylbewerber (2014)

„Die Ergebnisse bei diesem Ziel sind ein statistisches Artefakt“, sagt Elizabeth Stuart vom Overseas Development Institute in London. Sie hat in den vergangenen Jahren die Messgrößen der Entwicklungspolitik überprüft. Fazit: „Das Hauptproblem der internationalen Entwicklungshilfe ist schlechte Datenqualität.“

Wir machen es zu einfach

Noch ein Ziel, das inhaltlich über jede Kritik erhaben ist: Aids, Malaria und andere Krankheiten bekämpfen. Ein großes Ziel, das aber vor allem für kleine Ambitionen der Politik steht. Erreicht werden soll es, genau, durch eine hohe Quote an Moskitonetz-Besitzern in den entsprechenden Ländern. „Natürlich sind Moskitonetze ein wichtiger Schutz gegen viele Krankheiten“, sagt der Entwicklungsökonom Jann Lay vom Hamburger GIGA-Institut, „aber sie verraten wenig über den Zustand der Gesundheitsversorgung in einem Land.“

Der Beitrag dieser Netze zur weltweiten Gesundheit eher unbedeutend: 40 Prozent der weltweiten Malariaopfer kommen aus dem Kongo oder Nigeria. Wenn die nigerianische Regierung also die Versorgung mit Moskitonetzen verbessert, ist das eine sinnvolle Maßnahme – für die Weltgesundheit spielt es eine nebensächliche Rolle. „Die ehrlichste und unbestechliche Größe zur Beurteilung der Gesundheitsversorgung ist die Kindersterblichkeit“, sagt Ökonom Lay.

Vorwärts immer, rückwärts nimmer? Nein.

In der Entwicklungsprosa seit jeher eine beliebte Größe zur Messung der Hilfsbedürftigkeit von Menschen: die Entfernung zum nächsten Brunnen. Ist sie kurz, geht es den Menschen gut. So der fromme Wunsch.

Länder mit hoher Arbeitslosigkeit und Inflation
Platz 21: FinnlandEs gibt keinen Grund, in Finnland zu leben. So zumindest sieht es der Kult-Regisseur Aki Kaurismäki ("Le Havre"). Die Inflation ist mit 0,3 Prozent zwar niedrig, aber 11,5 Prozent der Bevölkerung sind arbeitslos. Finnland ist stark exportabhängig, mehr als ein Drittel des BIP werden durch Exporte bestritten. Die schwächelnde Konjunktur in Europa setzte der finnischen Wirtschaft in den vergangenen Jahren zu.Quellen: Businessinsider.com, Reuters, dpa, AP Quelle: AP
Platz 20: ChileGleichauf mit Finnland liegt Chile in Sachen Inflation und Arbeitslosigkeit. Auch hier wird die Wirtschaft stark vom Export bestimmt; er macht rund 33 Prozent des BIP aus. Die Wirtschaft wuchs zuletzt so langsam wie seit vier Jahren nicht mehr. Quelle: dpa
Platz 19: BrasilienDie Arbeitslosigkeit liegt bei nur 4,9 Prozent, aber die Inflation beträgt derzeit 6,5 Prozent. Brasilien ist im zweiten Quartal 2014 trotz der Fußball-WM in eine Rezession gefallen. Das BIP der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas lag um 0,6 Prozent unter dem Vorquartal, wie das nationale Statistikamt IBGE mitteilte. Im ersten Quartal war ein Rückgang von 0,2 Prozent verzeichnet worden. Zwei Minusquartale in Folge gelten gemeinhin als Rezession. Brasilien war zuletzt während der internationalen Finanzkrise 2008 in eine Rezession gerutscht. Quelle: dpa
Platz 18: PolenEine Skulptur in Form eines Papierboots treibt an Warschau vorbei. In Polen sind 11,5 Prozent der Bevölkerung ohne Job. Die Inflation liegt derzeit bei 0,3 Prozent. Das Land leidet vor allem unter einem komplizierten Steuersystem und einer maroden Infrastruktur, sowohl bei Straßen als auch bei Schienen. Es wird erwartet, dass Polens Wirtschaft weiter schwächelt, da das Land von Import-Verboten Russlands betroffen ist. Polen ist Europas größter Apfelproduzent mit rund 2,5 Millionen Tonnen im Jahr und sucht nun dringend nach Lösungen, um dramatische Einkommensverluste für die Anbauer zu vermeiden. Quelle: dpa
Platz 17: IrlandDie Inflation ist mit 0,3 Prozent niedrig, 11,5 Prozent der Iren sind arbeitslos. Irland hatte 2010 das größte Defizit mit 32,4 Prozent vom BIP. Inzwischen konnte das Land das Euro-Rettungsprogramm verlassen und seine Neuverschuldung dank überraschend hoher Steuereinnahmen in diesem Jahr stärker drücken als erwartet. Das Defizit werde bei rund vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen, sagte Finanzminister Michael Noonan am 3. September in Dublin. 2015 will Irland das EU-Defizitziel von drei Prozent wieder einhalten. Quelle: dpa
Platz 16: PhilippinenDie Preise auf den Philippinen steigen stark: Die Inflation lag zuletzt bei 4,9 Prozent. Zugleich sind 7 Prozent der Philippinos arbeitslos. Das Land kämpft, auch aufgrund wiederkehrender Naturkatastrophen, mit Infrastrukturproblemen. Die Weltbank hat ihre Wachstumsprognose für die Philippinen erst im August gesenkt. Für 2014 rechnet das Institut nun noch mit einem Wachstum von 6,4 Prozent, für 2015 von 6,7 Prozent. Die Weltbank machte für die Senkung die schleppende Wirtschaft im ersten Quartal 2014 nach den Zerstörungen durch den Taifun „Haiyan“ verantwortlich. Zudem seien im zweiten Quartal die Staatsausgaben verlangsamt und die Geldpolitik in den ersten sieben Monaten verschärft worden. Allerdings bleibe das Land weiter eines der am schnellsten wachsenden Länder Ostasiens, hieß es. Quelle: dpa
Platz 15: Russland4,9 Prozent der Bevölkerung haben keinen Job, die Inflation liegt bei 7,5 Prozent. Im Sog der Ukraine-Krise schrumpfte die russische Wirtschaft 2014 stärker. Das BIP verringerte sich im Juli im Vergleich zum Vorjahresmonat um 0,2 Prozent. Damit fiel das Minus doppelt so groß aus wie im Juni. Der Westen hat Sanktionen gegen Russland verhängt. Er wirft der Regierung in Moskau vor, sich nicht wie zugesagt um eine Entspannung der Lage im Osten der Ukraine zu bemühen. Dort kämpfen prorussische Separatisten gegen die ukrainische Armee. Im Zuge der Krise hat die russische Währung Rubel massiv an Wert verloren und sich die Kapitalflucht aus dem Land verstärkt. Quelle: dpa

„Die meisten Infektionskrankheiten gehen von verschmutztem Wasser aus“, erklärt Entwicklungsökonom Klasen das Kalkül hinter dem siebten Millenniumsziel. Bis 2015 solle die Anzahl der Menschen, die keinen Zugang zu einer gesicherten Wasserversorgung haben, halbiert werden.

1990 waren 24 Prozent der Weltbevölkerung unversorgt, 2012 nur noch 11 Prozent. Aber die Sache hat einen Haken. „Die UN misst, ob es im Umkreis von 500 Metern eine abgedeckte Wasserquelle gibt“, sagt Klasen, „nicht aber die Wasserqualität.“ Im Jemen etwa wurden viele Häuser direkt an das Wassernetz angeschlossen. Zugleich nahmen aber die Fälle typischer Infektionskrankheiten zu. „Wenn die Wasserversorgung nur unzuverlässig verfügbar ist, bilden sich Keime in den Leitungen“, erklärt Klasen, „dann ist eine saubere Quelle in einiger Entfernung eigentlich die bessere Variante.“ Perverse Anreize nennen Ökonomen so etwas.

Wie weiter?

Die Beurteilung der weltweiten Entwicklung scheitert immer da, wo sich die Politik einmischt. Besserung? Kaum in Sicht. Während die Weltgemeinschaft die verheerende Bilanz der Millenniumsziele am liebsten ausblendet, konzentriert sie sich derzeit auf den Nachfolgevertrag. Die „Sustainable Development Goals“ sollen im September verabschiedet werden, seit Mitte Juli sitzen die Unterhändler in New York zusammen. Der deutsche Verhandlungsvertreter Dietrich schwärmt: „Diesmal werden wir uns nicht nur auf soziale Aspekte konzentrieren, sondern auf alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit: die soziale, die ökonomische und die ökologische.“

Die wichtigsten Fakten aus dem Wasserbericht
Die Nachfrage nach Energie und nach Wasser wird in den kommenden Jahrzehnten steigen. Dieser Anstieg führt zu erheblichen Herausforderungen und Belastungen in fast allen Regionen, vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern. Bis 2050 wird der globale Wasserbedarf voraussichtlich um rund 55 Prozent steigen. Bedingt wird dies vor allem durch die steigende Nachfrage in der industriellen Fertigung (plus 400 Prozent). Der spezifische Bedarf der Haushalte wird dagegen "nur" um 130 Prozent zunehmen. Mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung werden 2050 voraussichtlich in Gebieten mit starkem Wasserstress leben.Quelle: Weltwasserbericht 2014 Quelle: REUTERS
Die Versorgung mit Wasser und die Versorgung mit Energie sind wechselseitig abhängig. Entscheidungen in einem Sektor haben positive und negative Auswirkungen auf den jeweils anderen Sektor. Krisen wie Armut, Gesundheit und Hunger sind eng verbunden mit Wasser und Energie. Weltweit haben nach verschiedenen Schätzungen rund 768 Millionen bis 3,5 Milliarden Menschen keinen Zugang zu einer guten Wasserversorgung. 2,5 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu ausreichender sanitärer Versorgung. In den meisten Fällen sind die Menschen, die unter Wassermangel leiden, auch von fehlender Energieversorgung betroffen: Mehr als 1,3 Milliarden Menschen haben keinen Strom und rund 2,6 Milliarden Menschen nutzen zum Kochen vor allem Holz. Quelle: dpa
Politik und Verwaltung, Planer und Praktiker können die Barrieren zwischen ihren jeweiligen Sektoren schrittweise überwinden. Der Staat kann durch innovative und pragmatische Ansätze die Versorgung mit Wasser und Energie effizienter machen und Kosten sparen. Die Herausforderung des 21. Jahrhunderts für die Regierungen lautet, die vielfältigen Aspekte von Wasser und seiner Nutzung zu berücksichtigen. Quelle: dpa
Der Preis für Energie- und Wasserdienstleistungen sollte die Kosten für Bereitstellung und sozio-ökologische Folgen berücksichtigen. Die Grundbedürfnisse der Armen und Benachteiligten dürfen nicht beeinträchtigt werden. Der Zugang zu sauberem Wasser ist als Menschenrecht anerkannt - auf die Energieversorgung wird dies noch nicht angewandt. Quelle: obs
Der private Sektor kann eine größere Rolle bei Investitionen, Wartung und Betrieb von Wasser- und Energieinfrastruktur spielen. Energie ist ein gutes Geschäft, der Energiesektor kann daher viele Hebel in Bewegung setzen. Quelle: dpa
Auch die staatliche Unterstützung für Forschung und Entwicklung sind entscheidend für den Ausbau alternativer, erneuerbarer und weniger wasserintensiver Energieformen. Energie und Wasser können gemeinsam und synergetisch produziert werden. Es bietet sich etwa eine Kombination von Kraftwerken und Entsalzungsanlagen, Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, die Nutzung alternativer Wasserquellen für thermische Kraftwerkskühlung oder etwa Energierückgewinnung aus Abwasser an. Für die Suche nach neuen technischen Lösungswegen braucht es entsprechende politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, damit die Sektoren besser zusammenarbeiten. Quelle: dpa
Wasser und Energie stehen im Zentrum nachhaltiger Entwicklung und müssen solchermaßen anerkannt werden. Es muss ein Wandel hin zu einer nachhaltigen und wechselseitig kompatiblen Entwicklung von Wasser und Energie gefunden werden. So sehen die Experten etwa beim Fracking, das große Mengen an Wasser erfordert, Risiken für Wasserqualität und die menschliche Gesundheit. Quelle: REUTERS

Jan Vandemoortele ist da weniger optimistisch. Aus der UN hat er sich längst zurückgezogen, arbeitet heute als Dozent und Berater. „Die neuen Nachhaltigkeitsziele verursachen mir Kopfschmerzen“, sagt Vandemoortele. „Das hat nichts mehr mit unserer ursprünglichen Idee zu tun, einen unbestechlichen und nachvollziehbaren Gradmesser zu bestimmen.“ Am Ende wird wohl ein Katalog mit 14 Oberthemen und mehr als 100 einzelnen Zielen stehen. Vandemoortele hält, wie die meisten anderen Entwicklungsökonomen, eher das Gegenteil für notwendig: einen kürzeren Zielkatalog. „ Eine kritische Bilanz der Millenniumsziele hieße: Wir streichen die Ziele, die sich als nicht zielführend oder überprüfbar erwiesen haben“, sagt Vandemoortele.

Der Göttinger Forscher Klasen nennt vier Ziele, die dann übrig blieben: Einkommensarmut, Alphabetisierungsrate, Kindersterblichkeit und die Netto-Sparquote, also die Differenz zwischen realer Sparquote und Umweltschäden. Kriterien, die wie passgenaue Antworten auf die derzeitigen Katastrophen der Welt klingen: Flüchtlingsströme und Klimawandel.

Warum die Politik den Mut zur Knappheit dennoch wohl nicht aufbringen wird? Jeder kann sich genau das heraussuchen, was er braucht, um seinen Erfolg zu belegen. 2030 dürfte daher ein Jahr der Jubelfeiern werden: Die Ziele werden dann wieder alle irgendwie erfüllt sein. Und die Welt wieder kein bisschen besser aussehen.

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