Verfahren gegen Fillon Der Zerfall der Republikaner

Die französische Justiz hat gegen den Präsidentschaftskandidaten François Fillon  ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Eigentlich hatte er für einen solchen Fall seinen Rücktritt angekündigt. Das gilt aber nicht mehr.

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Seine Wahlkampfkampagne wird seit Wochen vom Verdacht einer Scheinbeschäftigung seiner Frau belastet. Nun läuft ein offizielles Ermittlungsverfahren gegen ihn. Quelle: dpa

Paris Der Anwalt des französischen Präsidentschaftskandidaten Francois Fillon hat bestätigt, dass die Justiz ein Ermittlungsverfahren gegen seinen Mandanten eingeleitet hat. Es geht insbesondere um den Verdacht der Hinterziehung öffentlicher Gelder. Hintergrund ist die Affäre um den Verdacht einer Scheinbeschäftigung von Fillons Frau auf Parlamentskosten. Ursprünglich war der Konservative für diesen Mittwoch von den Ermittlungsrichtern vorgeladen, um ein Verfahren einzuleiten. Fillon hatte bereits erklärt, dass er trotzdem Kandidat bleiben will – er weist die Vorwürfe zurück.

Von dem Ermittlungsverfahren gegen Fillon könnte sein parteiunabhängiger Wettbewerber Emmanuel Macron profitieren. Bereits in der vergangenen Woche lag er in Umfragen vor Fillon und etwa gleichauf mit der rechtsextremen Kandidatin Marine Le Pen. Doch in erzkonservativen Kreisen wird Macron aufs Übelste bekämpft: Wie eine Spinne im Netz sitzt der Kandidat, der wie in den 30er-Jahren als „Finanzjude“ gezeichnet ist: krumme Nase, schwarzer Zylinder und dicke Zigarre, die er mit einer roten Sichel abschneidet. „Die Wahrheit über die Galaxie Macron“ betitelte die konservative Partei „Die Republikaner“ ihr Machwerk über den sozialliberalen Kandidaten Emmanuel Macron, den die Kanzlerin am Donnerstag empfangen wird. Am vergangenen Freitagabend über Twitter verschickt, denunzierte die Karikatur den früheren Wirtschaftsminister als Drahtzieher dessen, was die extreme Rechte seit mehr als 100 Jahren „das Weltjudentum“ nennt.

In Frankreich sorgte diese Entgleisung für Konsternation und Empörung. Die Partei zog zurück: Sie habe niemanden beleidigen wollen. Ihr Kandidat François Fillon brauchte 24 Stunden, bis er reagierte, verurteilte den Vorgang dann aber scharf: „Ich werde nicht tolerieren, dass unsere Partei mit den Stichwörtern der antisemitischen Propaganda arbeitet.“

Die französischen Konservativen standen niemals im Verdacht, antisemitisch zu sein. Wie kann dennoch ein so plumper Versuch, uralte Ressentiments wiederzubeleben, durchgehen? Die Republikaner stehen nicht allein. Der rechtsextreme Front National diffamiert Macron seit Monaten als Kandidaten des internationalen Finanzkapitals.

Die Karikatur der Republikaner zeigt, dass die Grenzen fließend geworden sind. Nicht erst seit dem Skandal um die Scheinbeschäftigung, mit der Fillon Parlamentsgelder für seine Familie genutzt haben soll, sind die Republikaner in Auflösung begriffen. Weltoffene Liberale, strikt national denkende Souveränisten, strenggläubige Katholiken liegen in offener Fehde. Fillon-Anhänger sprechen von einem „Putsch der Justiz und der Medien“. Sie drohen damit, die rechtsextreme Marine Le Pen zu wählen, falls ihr Kandidat Fillon beim ersten Wahlgang am 23. April nicht zu den beiden Bestplatzierten zählen sollte, die am 7. Mai die Wahl unter sich entscheiden.

Derzeit sieht alles danach aus, dass in der Stichwahl Macron auf Le Pen treffen wird. In den jüngsten Umfragen liegt er mit rund 26 Prozent der Stimmen entweder gleichauf mit ihr oder sogar einen Hauch vor der FN-Chefin. Wie ein Magnet zieht Macron die Kräfte der Mitte von Sozialisten und Republikanern an. Die Reste der Altparteien dagegen radikalisieren sich: Strikt nach links wandern die Sozialisten, weit nach rechts die Republikaner.

Frankreich steht nicht allein im Wahlkampf. Die Macht liegt auf der Straße, noch weiß man nicht, wer sie packen wird. Der Links-Rechts-Gegensatz hat ausgedient. An dessen Stelle tritt ein scharfer Konflikt zwischen Gemäßigten, die Frankreichs Zukunft als europäische soziale Marktwirtschaft sehen, und Radikalen, die sich hinter den Grenzen verbarrikadieren wollen. Der Prozess der politischen Neuordnung kann völlig außer Kontrolle geraten. Staatspräsident François Hollande warnte am Wochenende vor einer „Rückkehr des Nationalismus, mit allen seinen Begleiterscheinungen des Extremismus, des Isolationismus und des Protektionismus.“

Die Gefahr sieht man auch in Berlin. Lange hatte die Kanzlerin gehofft, Fillon werde die Wahl gewinnen. Doch dessen Finanzskandal, seine populistische Kritik an den staatlichen Institutionen und seine Nähe zu Russlands Wladimir Putin haben das Vertrauen in Fillon zersetzt. Berlin sieht in Macron mittlerweile wohl den verlässlicheren Kandidaten wenn es darum geht, den Sieg von Le Pen und damit den Zerfall Europas abzuwehren.

Der Zufall des Kalenders wird in dieser Woche das Treffen Angela Merkels und Sigmar Gabriels mit Macron wie einen Vertrauensentzug für Fillon aussehen lassen. Denn die Untersuchungsrichter haben den konservativen Kandidaten nun wegen der Affäre um die Parlamentsgelder offiziell beschuldigt. Zwar hatte Fillon anfangs angekündigt, in diesem Fall zurücktreten zu wollen. Das will er nun aber nicht mehr – ein Meinungsumschwung, der sogar seinen eigenen Kampagnenchef Patrick Stefanini dazu veranlasst hat, sein Amt niederzulegen.

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