Verfassungsänderung in Japan Der Bremsklotz für den Abenomics-Turbo

Ein neues Konjunkturprogramm soll die japanische Wirtschaft beleben. Doch die Zeitungen des Landes fürchten, dass Premier Shinzo Abe nach seinem hohen Wahlsieg lieber eine Verfassungsänderung auf den Weg bringen will.

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Bei den letzten Teilwahlen in Japan am Sonntag, in denen die Hälfte des Oberhauses neu besetzt wurde, fuhr Shinzo Abes LDP einen klaren Sieg ein. Quelle: AP

Tokio Am Tag Eins nach seinem Triumph in den Oberhauswahlen kündigte Japans Ministerpräsident Shinzo Abe an, seinem Wahlversprechen treu zu bleiben. Die Wahlen hätten ihm den Auftrag gegeben, die „Abenomics“ zu beschleunigen, sagte er am Montag im Hauptquartier seiner Liberaldemokratischen Partei (LDP). „Wir werden umfassende und mutige Konjunkturstimuli umsetzen, um die heimische Nachfrage deutlich zu stärken.“

Bereits am Dienstag will er Nobuteru Ishihara, den Minister für Wirtschaft- und Haushaltsplanung, mit der Ausarbeitung eines Konjunkturprogramms in noch unbekannter Höhe beauftragen. Es wird spekuliert, dass es über 88 Milliarden Euro groß sein könnte. Unter anderem soll in den Schienenverkehr investiert werden, kündigte Abe am Montag an. Außerdem wird geprüft, ob ein Teil des notwendigen Extrahaushalts erstmals seit vier Jahren mit Aufbaubonds finanziert werden wird.

Tatsächlich könnte das Votum der Wähler kaum klarer sein. Die Koalition aus seiner Liberaldemokratischen Partei (LDP) und der Neuen Gerechtigkeitspartei eroberte nicht nur eine haushohe Mehrheit. Nur einen Sitz mehr, und Abes Partei hätte sogar erstmals seit 27 Jahren aus eigener Kraft eine absolute Mehrheit im Oberhaus gehabt.

Mehr noch: Der Regierungschef hatte die Wahl für die eigentlich weniger wichtige obere Kammer des Parlaments zum Plebiszit darüber gemacht, ob er wie beabsichtigt neue Konjunkturprogramme auflegen und eine Mehrwertsteuererhöhung verschieben darf, die zur Haushaltssanierung geplant war. Dabei ist Japan schon jetzt das mit Abstand am höchsten verschuldete Industrieland.

Die Anleger dankten den japanischen Wählern die in der heutigen Zeit selten gewordene Demonstration politischer Stabilität auf ihre Weise. Der Nikkei-225-Aktienpreisdurchschnitt stieg um 3,4 Prozent auf 15.695,85 Yen. Doch in der Freude über das Ergebnis mischte sich mehr oder wenig unterschwellig die Sorge, dass ausgerechnet das Thema der Wahl ein Opfer des Sieges werden könnte: die Abenomics.

Einige ausländische Investoren würden befürchten, so Takeshi Yamaguchi von der Morgan Stanley MUFG Securities, dass Abe wegen der Höhe seines Wahlsiegs seine Prioritäten von seiner anlegerfreundlichen Wirtschaftspolitik auf die Erfüllung seines Lebenstraums verschieben würde, die extrem umstrittene Revision der Nachkriegsverfassung.

Abe hatte das Thema zwar in seinen Wahlkampfreden ausgeklammert, weil er damit angesichts der weit verbreiteten Antipathie gegen Verfassungsänderungen nur Stimmen verlieren konnte. Aber es stand im Wahlprogramm der LDP. Und nun gaben die Wähler den Befürwortern einer Verfassungsänderung sowohl im Unter- wie im Oberhaus die notwendige Zweidrittelmehrheit, um Revisionen dem Volk zum Referendum vorzuschlagen.


Türöffner für eine Verfassungsrevision

Abe ließ es sich daher nicht nehmen, bereits am Wahlabend den Beginn einer Verfassungsdiskussion anzukündigen. Die Wirtschaftszeitung Nikkei fragte daraufhin am Montagmorgen auf ihrer Titelseite bereits kritisch, wie die Wahl wohl in Erinnerung bleiben solle. „Als Türöffner für eine Verfassungsrevision vielleicht? Hoffentlich nicht.“

Zum Wohle Japans sollten künftige Generationen über die Wahl als ausschlaggebenden Grund für die Beendigung der Deflation sprechen, so die Nikkei. Es sei wichtig, dass Abe daran festhält. Eine Revision der Verfassung würde viel politische Energie kosten.

Selbst die konservative, Abe-freundliche Zeitung Yomiuri erinnerte Abe am Montagmorgen in ihrem Kommentar daran, die „respektvolle Konsensbildung“ nicht zu vernachlässigen. „Für die Regierung Abe ist es wichtig, weiterhin der Wirtschaft Priorität einzuräumen.“ Über die Prüfung des Konjunkturpakets sei eine Ausdehnung der Wachstumspolitik auf andere Bereiche wie die Landwirtschaft oder die Altenpflege dringend notwendig.

Auch Abe erkannte an, dass eine Verfassungsänderung nicht leicht werden würde. Nicht nur gibt es unter den Revisionisten keine Einigkeit, was eigentlich revidiert werden soll. Außerdem ist das Thema auch politisch hoch brisant und könnte wie Abes Sicherheitsgesetze große Proteste provozieren. Denn viele Japaner dagegen, dass Abe Artikel 9 verändern will, um die Einsatzmöglichkeiten von Japans Militär auszudehnen. Bisher dürfen die „Selbstverteidigungskräfte“ wenig mehr als ihr Land verteidigen.

Noch ist allerdings unklar, ob Abe seiner nationalistischen Fanbasis widerstehen will oder kann, endlich die ungeliebte, von den amerikanischen Besatzern geschriebene Verfassung zu verändern. Einige Beobachter glauben eher, dass es ein langfristiges Projekt werden wird. Die Ökonomen von Barclays Capital wollen noch nicht erkennen, dass die Parteien sofort konkrete Diskussion beginnen werden. „Wir glauben, dass der Fokus nach den Wahlen auf eine Wirtschaftspolitik sein wird, die auf dem zweiten Pfeil der Abenomics, flexibler Fiskalpolitik, beruht.“ Die anderen Pfeile waren eine Geldschwemme der Notenbank und Strukturreformen.

Nun kommt es auf Abe an. Und sein Handeln ist kaum vorhersehbar. In seiner dreieinhalbjährigen Amtszeit hat er immer wieder Freund und Feind entweder durch pragmatische Realpolitik oder die Verfolgung von extrem umstrittenen Teilen seines nationalistischen Programms überrascht.

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