Vergleich der Gesundheitssysteme Zusatzversicherungen auf dem Vormarsch

Für Barack Obama ist die Einführung einer staatlichen Krankenversicherung ein Megaprojekt. Über Europa erstreckt sich ein Flickenteppich unterschiedlicher Gesundheitssysteme. wiwo.de hat sich die Regelungen in Deutschland, in der Schweiz, in den Niederlanden und in Großbritannien angeschaut. Jedes System hat seine Haken.

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Deutschland: teuer und gut

ARCHIV - Eine Hand hält in Quelle: dpa

In Deutschland funktionieren private und gesetzliche Krankenkassen nebeneinander. Die meisten Deutschen - rund 90 Prozent - sind in einer gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) entweder pflichtversichert oder auf freiwilliger Basis, wenn sie die Einkommensgrenze für die GKV überschreiten. Die Krankenkassen dürfen niemandem den Abschluss einer Versicherung verwehren.

Die Beiträge für die GKV sind abhängig vom Lohn des Versicherten. Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilen sich die Beiträge. Anders als bei den privaten Versicherungen spielen Alter, Geschlecht und gesundheitliches Risiko keine Rolle bei der Beitragshöhe. Kinder sind über ihre Eltern mitversichert. Seit Anfang des Jahres sind die GKV-Beitragssätze einheitlich.

Angestellte, die mehr als 48.150 Euro im Jahr verdienen, können ebenso wie Freiberufler und Beamte eine Privatversicherung abschließen. Die Beiträge richten sich danach, welche Kosten der Versicherte voraussichtlich verursachen wird. Die PKV können einen Antragsteller auch komplett ablehnen. Ab dem 1. Januar müssen auch die privaten Versicherungen einen Tarif anbieten, der sich an den Leistungen der GKV orientiert. In der Regel sind die Leistungen der PKV umfangreicher.

Anders als in den meisten anderen Ländern können Patienten in Deutschland ihren Arzt selber wählen. Allerdings müssen gesetzlich Versicherte beim ersten Arztbesuch im jeweiligen Quartal zehn Euro Praxisgebühr zahlen. Daneben müssen sich Patienten mit mindestens fünf Euro an den Medikamenten beteiligen.  

Im europäischen Vergleich gehört das deutsche Gesundheitssystem zu den teuersten. Mehr als zehn Prozent der Wirtschaftsleistung gibt die Bundesrepublik für Ärzte und Pillen aus. Allerdings liegt das deutsche System auch qualitativ auf Platz drei hinter denen in Frankreich und in den Niederlanden, wie das schwedische Institut „Healthp Powerhouse“ herausgefunden hat.

Schweiz: Der Zahnarzt wird direkt bezahlt

Die Schweiz hat das teuerste Gesundheitssystem in Europa und wird weltweit nur noch von den USA überboten. Rund 3100 Euro pro Kopf oder elf Prozent der Wirtschaftsleistung wenden die Schweizer für Medikamente, Ärzte und Krankenhäuser auf. Jeder Eidgenosse ist gesetzlich verpflichtet, sich zu versichern und hat die Auswahl aus rund 90 privaten Versicherungen. Auch das Wechseln zwischen den Kassen ist nach einer dreimonatigen Kündigungsfrist möglich. Staatliche Krankenkassen existieren nicht.

Die Krankenkassen müssen jede Person in die Grundversicherung aufnehmen, die in ihrem Tätigkeitsbereich wohnt. Ein spezieller Fonds soll dabei die Wettbewerbsnachteile der Kassen ausgleichen, wenn etwa eine Krankenkasse besonders viele ältere Versicherte hat. Anders als in Deutschland bezahlen die Versicherten die Beiträge selber. Die Höhe der Versicherungsbeiträge ist dabei unabhängig vom Lohn sowie Krankheitsrisiko des Versicherten und wird von jeder Krankenkasse je nach Kanton festgelegt. Trotzdem sind die Unterschiede gewaltig. Die durchschnittliche monatliche Beitragshöhe reicht von umgerechnet rund 130 bis rund 260 Euro. Für Schweizer, die wenig verdienen, existieren sogenannte Prämienverbilligungen. Dabei übernimmt der Staat einen Teil der Beiträge.  

Die Leistungen der Grundversicherung sind gesetzlich geregelt. Diese müssen den vagen Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit entsprechen, die von dem Bundesamt für Gesundheit überprüft werden. Nicht eingeschlossen in die Grundversicherungen sind Unfälle, die von einer gesetzlichen Unfallversicherung abgedeckt sind - und Zahnbehandlungen. Zahnarztrechnungen werden in der Regel direkt vom Patienten bezahlt. Im Ranking der Europäischen Gesundheitssysteme von „Health Powerhouse“ belegt die Schweiz Platz fünf.

Großbritannien: längste Wartezeit in Europa

Das englische Gesundheitssystem wird anders als in den meisten europäischen Ländern durch Steuern und nicht durch Sozialversicherungsbeiträge finanziert. Damit nimmt Großbritannien eine Sonderstellung unter den westlichen Industriestaaten ein. Der Nationale Gesundheitsdienst oder National Health Service wurde 1948 ins Leben gerufen und sollte allen Bürgern die gleiche Behandlung garantieren.

Die Behandlung beim Arzt ist kostenlos. Lediglich bei Rezepten, Brillen oder beim Zahnersatz sind Zuzahlungen üblich. Bei Medikamenten sind jedoch große Patientengruppen wie Kinder oder Rentner von der Zuzahlung befreit. Die Wahlfreiheit der Ärzte in Großbritannien ist stark eingeschränkt. Die Postleitzahl bestimmt dabei im Normalfall, zu welchem Hausarzt der Patient gehen muss. Bei Bedarf überweist der "General Practitioner" den Patienten an einen Spezialisten

Ein großes Problem des britischen Gesundheitssystems ist der Geldmangel, auch wenn die Ausgaben im europäischen Vergleich relativ gering sind. 2007 kostete das Gesundheitswesen im Schnitt rund 2000 Euro für jeden Briten, während in Deutschland die Gesundheitsausgaben um 500 Euro höher waren. Trotzdem klafften in den vergangenen Jahren riesige Löcher im Haushalt des NHS. Daraus resultieren gravierende Probleme bei der Behandlungsqualität. Laut einer Untersuchung der OECD sind die Wartezeiten in britischen Krankenhäusern in Europa am längsten. Besonders hart treffe es Patienten, deren Operationen nicht lebensnotwendig sind, wie etwa bei künstlichen Hüftgelenken. Im Ranking der europäischen Gesundheitssysteme vom "Health Powerhouse" belegt das Vereinigte Königreich Platz 16, noch hinter Ungarn.

Neben dem NHS können sich Engländer privat versichern. Rund jeder Fünfte besitzt bereits eine Zusatzversicherung. Auch eine private Vollversicherung ist möglich. Allerdings gibt es keine steuerlichen Erleichterungen für Personen, die das öffentliche Gesundheitssystem nicht nutzen möchten.

Niederlande: 95 Prozent haben eine Zusatzversicherung

In den Niederlanden ist jeder Einwohner verpflichtet, eine Versicherung mit einer der konkurrierenden Versicherungsgesellschaften abzuschließen. Dabei garantieren die Gesellschaften ein gesetzlich definiertes Leistungspaket. Die Versicherungen dürfen keinen Antragssteller ablehnen. Wie in der Schweiz gleich ein Fonds die Wettbewerbsnachteile aus. Jedes Jahr können die Kunden ihren Versicherungsanbieter wechseln.

Fast die Hälfte der Beiträge zahlen die Versicherten als Pauschale. Die Höhe des Beitrags bestimmt die Versicherungsgesellschaft, allerdings richtet sie sich nach den Leistungen, die in der Police enthalten sind. Selektieren nach Risikogruppen, Alter oder Einkommen dürfen die Versicherer nicht. Alle, die die gleiche Police haben, zahlen auch die gleichen Beiträge. Im Schnitt lagen die Pauschalbeiträge bei rund etwa mehr als 1000 Euro jährlich. Die zweite Hälfte der Beiträge zahlt der Arbeitgeber. Er wird abhängig vom Einkommen berechnet und beträgt 6,5 Prozent. Für Geringverdiener gibt es einen Gesundheitszuschuss, der den Versicherten einen Teil ihres Pauschalbeitrags erstatten soll. Einen Teil der Lasten trägt der Staat, in dem er für Beiträge von Kindern unter 18 Jahren aufkommt. Zusätzlich zu den Beiträgen müssen sich alle Versicherten jährlich bis 150 Euro an den Behandlungskosten beteiligen.

In den Niederlanden ist jeder Patient einem festen Hausarzt zugeordnet. Ein Wechsel ist nur mit der Zustimmung der Krankenkassen möglich. Der Hausarzt schickt die Patienten dann gegebenenfalls an einen Facharzt, der meist in einem Krankenhaus arbeitet.

Durch die Basisversicherung deckt nur ein Grundangebot ab, weshalb rund 95 Prozent der Niederländer eine Zusatzversicherung haben. So sind etwa Zahnbehandlungen nur für Kinder von der Versicherung gedeckt. Zahnprothesen und Kieferorthopädie muss selbst bezahlt, oder durch eine Zusatzversicherung abgedeckt werden.

Im Europäischen Vergleich liegen die Niederlande laut "Health Powerhouse" auf Platz zwei.

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