Verhältnis zwischen Türkei und EU Schluss mit den Beitrittsverhandlungen!

Das Treffen des türkischen Staatschefs Erdogan mit den EU-Spitzen zeigt: Im Verhältnis zwischen Europäischer Union und Türkei ist es Zeit für Realismus – und damit für ein Ende der Beitrittsverhandlungen. Ein Kommentar.

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Der wortlose Händedruck zeigt es: Die Beziehung zwischen den türkischen Präsidenten und dem europäischen Ratspräsidenten ist zerrüttet. Quelle: Reuters

Die ernsten Mienen sprachen Bände, als EU-Ratspräsident Donald Tusk am Donnerstagmittag den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan in Brüssel begrüßte. Ein wortloser Händedruck, nur ein flüchtiger Blickkontakt. Will man das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und der Türkei auf einen Begriff bringen, drängt sich das Adjektiv zerrüttet auf. Die Beziehungen sind auf dem tiefsten Stand, seit der Europäische Rat im Dezember 1999 der Türkei den Status eines „beitrittswilligen Landes“ zuerkannte. Daran ändern auch Durchhalteparolen wie diese nichts: „EU und Türkei müssen und werden zusammenarbeiten“, twitterte ein Sprecher vom Kommissionchef Jean-Claude Juncker, der an dem Treffen mit Erdogan teilnahm.

Der türkische Staatschef ging mit klaren Vorstellungen in das Gespräch: Die EU habe „keine andere Option“, als nun weitere Verhandlungskapitel mit der Türkei zu eröffnen und so die festgefahrenen Beitrittsgespräche wieder in Gang zu bringen, hatte Erdogan schon vor seinem Abflug unterstrichen. „Ich werde denen in Brüssel sagen, dass sie kein Recht haben, die Türkei als Bettler zu behandeln“, kündigte er an. Sein Land werde „von A bis Z alles tun, was wir können“, um der EU beizutreten.

Doch von einem Beitritt will in Brüssel derzeit niemand auch nur sprechen. Stattdessen stellte Tusk das Thema Menschenrechte in den Mittelpunkt des Treffens. Das dürfte Erdogan nicht gefallen haben. Der eigentliche Showdown steht aber erst bevor. Wenn Erdogan ernst macht mit seinen Plänen zur Wiedereinführung der Todesstrafe, schlägt für die EU die Stunde der Wahrheit. Dann muss der Europäische Rat entscheiden, ob er die Beitrittsverhandlungen abbricht – wie es führende Politiker, allen voran Kommissionschef Juncker, bereits angekündigt haben.

Ein Abbruch der Gespräche wäre keine Katastrophe, sondern nur ein konsequenter Schritt. Ohnehin sind die Verhandlungen seit Ende 2006 weitgehend eingefroren – teils, weil die Türkei ihren Verpflichtungen als Beitrittskandidat nicht nachkommt, teils wegen grundsätzlicher Bedenken vieler EU-Regierungen gegen eine Aufnahme des Landes. Von 33 Verhandlungskapiteln ist erst ein einziges abgeschlossen. Die Eröffnung eines weiteren Kapitels im Juni 2016 war allein dem Flüchtlingspakt geschuldet.

Schon seit geraumer Zeit erfüllt die Türkei die Kopenhagener Kriterien, die für EU-Beitrittskandidaten gelten, nicht mehr. Mit der Verabschiedung der neuen Verfassung und der Einführung eines autokratischen Präsidialsystems, das nach der nächsten Wahl in Kraft treten soll, entfernt sich das Land noch weiter von der Demokratie.

Die Vorstellung, Erdogan werde unter dem politischen Druck der EU auf diesem Weg umkehren und sich auf die Werte der Demokratie wie Meinungsfreiheit, Toleranz und Pluralismus besinnen, ist eine Illusion. Der Despot vom Bosporus wird sich nicht zum Reformer zurückverwandeln, als der er in den 2000er Jahren erschien. Auch wenn Erdogan jetzt beteuert, sein Land wolle der EU beitreten: Die Europäische Idee ist für ihn keine politische Überzeugungssache. Er hat Europa seit jeher instrumentalisiert.

In den 1990er Jahren verdammte der Islamist Erdogan die EU als „Christenklub“, von dem sich die Türkei fernhalten müsse. Als Regierungschef nutzte er später die Reformvorgaben der EU als Instrument, um die Macht der Militärs zurückzudrängen. Das hinderte ihn nicht daran, im Wahlkampf für seine Verfassungsänderung die Europäer als Feinde hinzustellen, die angeblich der Türkei ihren Erfolg neiden und den Aufstieg des Landes zu hintertreiben versuchen. Um Stimmen zu mobilisieren, verhöhnte er Europa als „verrotteten Kontinent“, der von „Faschisten“ und „Rassisten“ bevölkert sei.

Dass Erdogan nun wieder mildere Töne anschlägt und die Beziehungen zur EU als „Win-win-Situation“ beschreibt, ist kein Widerspruch. Er weiß zwar: Ein Beitritt seines Landes ist auf absehbare Zeit eine Illusion. Und er will diesen Beitritt wegen der damit verbundenen Verpflichtungen auch gar nicht. Aber einen Bruch mit Europa kann sich Erdogan auch nicht leisten. Dazu steht für die Türkei vor allem wirtschaftlich zu viel auf dem Spiel.

Die Beitrittsverhandlungen haben unter den gegebenen Voraussetzungen keine Zukunft. Die EU muss endlich den politischen Mut aufbringen, das offen auszusprechen. Das bedeutet aber nicht, die Brücken zur Türkei abzubrechen. Es gilt vielmehr, das Verhältnis neu zu fokussieren – auf jene Bereiche, in denen es wirklich gemeinsame Interessen gibt. Das sind vor allem die Sicherheitspolitik und die Wirtschaft.

Für Europa ist die Türkei nicht nur wegen ihrer geografischen Lage an der Schwelle zum unruhigen Nahen Osten, sondern auch wirtschaftlich ein wichtiges Nachbarland. Aus Sicht der Türkei ist die EU nicht allein der größte Außenhandelspartner. Auch die meisten ausländischen Investitionen kommen von dort – wichtig für ein Land, das auf den Zustrom von Kapital angewiesen ist.

Statt sich in aussichtslosen Beitrittsverhandlungen zu verschleißen, sollten die EU und die Türkei deshalb besser über eine Erweiterung der vor zwei Jahrzehnten geschlossenen Zollunion sprechen. Konkret steht zur Debatte, sie auf Agrarprodukte, Dienstleistungen, Onlinehandel und öffentliche Auftragsvergaben auszuweiten. Davon würden alle profitieren: Die türkischen Ausfuhren, die EU-Exportwirtschaft – und nicht zuletzt die rund 6700 deutschen Unternehmen in der Türkei.

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