Die drei Garantiemächte der brüchigen Feuerpause im syrischen Bürgerkrieg, Russland, Iran und die Türkei, haben eine Vereinbarung zur Einrichtung von Schutzzonen unterzeichnet. Doch die Zeremonie in der kasachischen Hauptstadt Astana wurde am Donnerstag von lautstarken Protesten aus Teilen der syrischen Oppositionsdelegation begleitet, einige Delegationsmitglieder verließen den Saal. Die Schutzzonen sollen laut russischen Angaben ab Samstag gelten.
Syrische Oppositionsvertreter hatten schon zuvor grundsätzlich die Beteiligung Irans an den Verhandlungen abgelehnt; sie sehen in der schiitischen Regionalmacht eine Kriegspartei an der Seite des von ihnen bekämpften Präsidenten Baschar al-Assad. Auch Russland hat auf Seite der syrischen Regierung in den Bürgerkrieg eingegriffen, der in sechs Jahren 400.000 Menschen das Leben kostete. Die Türkei unterstützt Teile der Opposition.
Die in Astana unterzeichnete Vereinbarung sieht die Schaffung von vier „Deeskalationszonen“ im Norden, Süden und der Mitte Syriens vor. Nach Angaben des türkischen Außenministeriums umfassen die Zonen die gesamte Provinz Idlib, Teile von Latakia, Aleppo, Hama, Homs, Daraa, Kunaitra sowie Ost-Ghuta außerhalb von Damaskus. Details, wie die Gewalt in diesen Gebieten reduziert werden soll, wurden zunächst nicht bekannt.
Die Akteure im Syrien-Konflikt
Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte aber infolge der russischen Luftunterstützung seit September 2015 wieder Landgewinne verzeichnen. Machthaber Assad lehnt einen Rücktritt ab.
Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten riesige Gebiete, die allerdings meist nur spärlich besiedelt sind. Durch alliierte Luftschläge und kurdische Milizen mussten die Islamisten im Norden Syriens mehrere Niederlagen einstecken. Unter der Herrschaft der Miliz, die auch im Irak große Gebiete kontrolliert, verbleibt die inoffizielle Hauptstadt Raqqa, die bedeutende Versorgungsstrecke entlang des Euphrat und ein kleiner Grenzübergang zur Türkei. Offiziell lehnen alle lokalen und internationalen Akteure den IS ab.
Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten.
Die zu Beginn des Kriegs bedeutende Freie Syrische Armee (FSA) hat stark an Einfluss verloren. Sie kämpft vor allem gegen Diktator Assad.
In der „Islamischen Front“ haben sich islamistische Rebellengruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist der Sturz Assads und die Errichtung eines „Islamischen Staates“ – die gleichnamige Terrormiliz lehnen sie jedoch ab. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und sind ideologisch mit al-Qaida zu vergleichen. Militärisch untersteht ihr auch die „Dschaisch al-Fatah“, die von der Türkei unterstützt wird. Teilweise kooperieren sie mit der al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.
Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationalkoalition in Istanbul. Diese wird von zahlreichen Staaten als legitim anerkannt, von vielen lokalen Akteuren wie al-Nusra oder der kurdischen PYD jedoch abgelehnt.
In Damaskus sitzen zudem Oppositionsparteien, die vom Regime geduldet werden. Bei einer Konferenz in Riad einigten sich verschiedenen Gruppen auf die Bildung eines Hohen Komitees für Verhandlungen, dem aber einige prominente Vertreter der Opposition nicht angehören.
Kurdische Streitkräfte kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei: Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS.
Dabei kämpfen sie teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime. Führende Kraft sind die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der Kurden-Partei PYD, inoffizieller Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Diese streben einen eigenen kurdischen Staat an – die Türkei lehnt das vehement ab.
Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien, ein Flugzeug zur Luftbetankung sowie die Fregatte „Augsburg“, die im Persischen Golf einen Flugzeugträger schützt. Washington unterstützt moderate Regimegegner.
Die Türkei setzt sich für den Sturz Assads ein und unterstützt seit langem Rebellengruppen wie die islamistische Dschaisch al-Fatah. Neben der Sicherung ihrer 900 Kilometer langen Grenze ist die Türkei seit August 2016 auch mit Bodentruppen in Syrien vertreten. Ziel ist neben der Vergeltung für Terroranschläge des IS auch, ein geeintes Kurdengebiet im Norden Syriens zu verhindern.
Der Abschuss eines russischen Flugzeugs über türkischem Luftraum im November 2015 führte zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei.
Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Moskau ist einer der wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes: Rebellenorganisationen werden pauschal als „Terroristen“ bezeichnet und aus der Luft bekämpft. Der Kampf gegen islamistische Rebellen soll auch ein Zeichen an Separatisten im eigenen Land senden.
Geostrategisch möchte Russland seinen Zugriff auf den Mittelmeerhafen Tartus nicht verlieren.
Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes, auch aus konfessionellen Gründen. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Die von Teheran finanzierte Schiitenmiliz Hisbollah ist ebenfalls in Syrien im Einsatz. Sie fürchten die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Falle eines Sieges sunnitischer Rebellen, aber auch den Verlust von regionalem Einfluss.
Riad ist ein wichtiger Unterstützer vornehmlich islamistischer Rebellen. Sie fordern, dass Assad abtritt. Saudi-Arabien geht es auch darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten.
Trotz religiöser Ähnlichkeiten zwischen IS und dem saudischen Wahabismus engagiert sich Saudi-Arabien im Kampf gegen den IS.
Der russische Delegationschef Alexander Lawrentjew sagte, die syrische Regierung werde ab Samstag die Schutzzonen respektieren, solange es dort keine Rebellenangriffe gebe. Russland, Iran und die Türkei hielten es für möglich, dass internationale Beobachter in die „Deeskalationszonen“ kommen, insofern darüber „Einmütigkeit“ hergestellt werden könne.
Am Mittwoch hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einem Treffen mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin in Sotschi das von Moskau lancierte Schutzzonenkonzept unterstützt. Schon da hatte die syrische Oppositionsdelegation in Astana Vorbehalte angemeldet. Zudem setzte sie ihre Teilnahme an der am selben Tag erst aufgenommenen vierten Gesprächsrunde aus, weil die syrische Regierung frühere Vereinbarungen nicht umgesetzt habe.
Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana meldete, die Regierung in Damaskus stütze den russischen Vorschlag von vier Schutzzonen völlig. Das habe das syrische Außenministerium am späten Mittwochabend mitgeteilt.
Der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, appellierte am Mittwoch umgehend an die Opposition, weiter an den Astana-Gesprächen teilzunehmen. Es sei wichtig, „die Möglichkeit einer Deeskalation zu prüfen“.
Zu der der vierten Runde der von Russland, dem Iran und der Türkei vermittelten Gespräche war erstmals auch ein ranghoher Diplomat des US-Außenministeriums nach Astana gekommen. Russischen Medienberichten zufolge sollen die von Moskau vorgeschlagenen Zonen von russischen, iranischen und türkischen Truppen geschützt werden.