IV. Das größte Casino der Welt
Kaum ein Land hat von der bisherigen Arbeitsteilung so profitiert wie Deutschland. Simone Pohl leitet die Deutsche Auslandshandelskammer in Shanghai. Sie hat gute Zeiten miterlebt. Jetzt fürchtet sie mit Blick auf die deutschen Unternehmen vor Ort: „Die Unternehmen stellen sich einer neuen Realität und müssen ihre Geschäftsziele nach unten korrigieren.“
Dennoch glaubt sie: „Die Transformation der chinesischen Wirtschaft bietet auch große Chancen.“ Schließlich kämen viele Chinesen mittlerweile in eine Lebenssituation, in der sie sich für mehr als das reine materielle Überleben interessieren. „Es gibt neue Bedürfnisse der neuen Mittelschicht: Umweltschutz, Lebensmittelsicherheit und Gesundheitsvorsorge im Rahmen der Alterung der Gesellschaft. Auch alle Leistungen und Produkte rund um das Thema Urbanisierung bleiben ein Megathema“, sagt Pohl.
Dass die Stimmung nicht mehr so gut ist, wie sie einmal war, lässt sich in Macau zunächst niemand anmerken: Jede der Empfangsdamen des Galaxy-Casinos ist über 1,80 Meter groß – Größe und Dauerlächeln sind Voraussetzungen für den Job. Das Galaxy in Macau ist eines der größten Casinos der Welt: 1,1 Millionen Quadratmeter, sechs Hotels, 120 Restaurants, 200 Boutiquen, im Schnitt 50.000 Gäste pro Tag. Und doch hat das Galaxy wie alle anderen Casinos ein Problem: 30 Milliarden Dollar setzten die Casinos in Macau noch 2013 um. Dieses Jahr war es nur noch die Hälfte.
Wer reich ist in China, will weg. Oder zumindest sein Geld ins Ausland bringen. Viele taten das bisher über die Casinos in Macau.
Gerade erst hat der IWF zwar beschlossen, Chinas Währung in den Korb der Sonderziehungsrechte aufzunehmen, und den Yuan damit einen Schritt näher in Richtung Weltwährung gebracht. Noch immer aber gelten strikte Kapitalverkehrskontrollen. Umgerechnet 50.000 US-Dollar darf ein chinesischer Staatsbürger pro Jahr außer Landes bringen. Mittelsmänner sammelten deswegen Yuan von reichen Chinesen auf dem Festland ein und organisierten Reise und Kredit in den Casinos in Macau. Den Gewinn ließen sich die Spieler in Macau-Pataca oder in Hongkong-Dollar auszahlen.
Kurz nach seinem Amtsantritt Anfang 2013 begann Xi Jinping mit seiner Kampagne. Peking hat die Anzahl der Spieltische begrenzt und geht strenger gegen die Mittelsmänner vor. In Macau machen die Tische 95 Prozent des Gesamtumsatzes aus – einer bringt im Schnitt 6000 Dollar pro Tag. Weitergebaut wird trotzdem: Galaxy will mit „Phase 4“ den Komplex ausbauen. Ein paar Kilometer entfernt hat erst Ende Oktober das Studio City eröffnet, für das Hollywood-Stars wie Leonardo DiCaprio werben.
Das Wachstum bringen soll jetzt Chinas neue Mittelschicht. Der Plan: Kinder werden im Kid’s Club des Marriott Hotels abgegeben, Ehefrau geht shoppen oder ins Spa, Ehemann zockt – eine glückliche chinesische Familie. So sieht Pekings Hoffnung aus: innovative Unternehmen und Konsumenten mittleren Einkommens, die mit materiellen Gütern zufriedengestellt werden können, die sich nicht um Meinungsfreiheit und Demokratie kümmern, sondern auf das Wohlwollen der Kommunistischen Partei vertrauen.
Nur, was passiert mit diesem Riesenreich, wenn dieses Versprechen nicht erfüllt wird? Wenn das Wachstum ausbleibt? Die Märkte nicht ständig weitersteigen?