Verletzliches China Riesenreich der Widersprüche

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Neue Bedürfnisse der neuen Mittelschicht

Casinos Macau Quelle: Eric Leleu für WirtschaftsWoche

IV. Das größte Casino der Welt

Kaum ein Land hat von der bisherigen Arbeitsteilung so profitiert wie Deutschland. Simone Pohl leitet die Deutsche Auslandshandelskammer in Shanghai. Sie hat gute Zeiten miterlebt. Jetzt fürchtet sie mit Blick auf die deutschen Unternehmen vor Ort: „Die Unternehmen stellen sich einer neuen Realität und müssen ihre Geschäftsziele nach unten korrigieren.“

Dennoch glaubt sie: „Die Transformation der chinesischen Wirtschaft bietet auch große Chancen.“ Schließlich kämen viele Chinesen mittlerweile in eine Lebenssituation, in der sie sich für mehr als das reine materielle Überleben interessieren. „Es gibt neue Bedürfnisse der neuen Mittelschicht: Umweltschutz, Lebensmittelsicherheit und Gesundheitsvorsorge im Rahmen der Alterung der Gesellschaft. Auch alle Leistungen und Produkte rund um das Thema Urbanisierung bleiben ein Megathema“, sagt Pohl.

Dass die Stimmung nicht mehr so gut ist, wie sie einmal war, lässt sich in Macau zunächst niemand anmerken: Jede der Empfangsdamen des Galaxy-Casinos ist über 1,80 Meter groß – Größe und Dauerlächeln sind Voraussetzungen für den Job. Das Galaxy in Macau ist eines der größten Casinos der Welt: 1,1 Millionen Quadratmeter, sechs Hotels, 120 Restaurants, 200 Boutiquen, im Schnitt 50.000 Gäste pro Tag. Und doch hat das Galaxy wie alle anderen Casinos ein Problem: 30 Milliarden Dollar setzten die Casinos in Macau noch 2013 um. Dieses Jahr war es nur noch die Hälfte.

Deutsche sehen China als Bedrohung
Wirtschaftsmacht37 Prozent der befragten Deutschen assoziieren mit China vor allem eine starke Wirtschaftsmacht. Faszination und Angst polarisieren hierzulande die Bevölkerung im Bezug auf Chinas ökonomische Stärke. Das Land wird als Schlüsselrolle für die eigene und internationale Entwicklung gesehen und 57 Prozent der Befragten beurteilen die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen sogar als wichtiger als die zu den USA. Gleichzeitig geht mit dem Wirtschaftsboom Chinas aber auch die Angst einher, chinesische Unternehmen könnten deutsche Firmen von den internationalen Märkten verdrängen. 59 Prozent der Deutschen empfinden Chinas starke Wirtschaft daher als Bedrohung. Quelle: dpa/dpaweb
BevölkerungswachstumBabyboom und Bevölkerungswachstum, daran denken 20 Prozent der Deutschen, wenn sie das Stichwort China hören. Derzeit leben 1,35 Milliarden Menschen in China, die Bevölkerungsdichte beträgt 143 Einwohner pro Quadratkilometer. Doch die Bevölkerung wird noch weiter wachsen, um 0,6 Prozent pro Jahr. Für 2032 rechnen Statistiken mit 1,467 Milliarden Menschen in China, bei einer gleichbleibenden Fertilitätsrate von 1,7 Kindern pro Frau. Viele Deutsche sehen das auch als Bedrohung an. Quelle: REUTERS
Kommunismus15 Prozent fällt spontan der Kommunismus ein, wenn sie an China denken. Während China im ökonomischen Bereich erfolgreich in den internationalen Handel eingebettet wurde und sich für ausländische Investoren geöffnet hat, ist das Land politisch in den Augen der Deutschen weiterhin ein diktatorisches Ein-Parteien-System unter Führung der Kommunistischen Partei. Die ist mit etwa 78 Millionen Mitglieder nicht nur die größte kommunistische Partei der Welt, sondern auch die mitgliederstärkste Partei allgemein. Deutsche verbinden mit ihr ein vornehmlich negatives Bild. Quelle: REUTERS
Chinesische MauerMan kennt sie aus Reiseprospekten und gefühlt jedes zweite China-Restaurant ist nach ihr benannt. Nicht weiter verwunderlich also, dass 15 Prozent der Befragten mit China die Chinesische Mauer assoziieren. Sie gilt als Weltkulturerbe und erstreckt sich über 21.196 Kilometer. Früher sollte die Mauer vor allem zum Schutz vor Völkern aus dem Norden dienen, heute ist sie eine der meistbesuchten Touristenattraktionen Chinas und lockt Reisende aus aller Welt an. 36 Prozent der Befragten haben daher sehr großes oder großes Interesse an China als Reiseland. Quelle: dpa
Chinesisches EssenPeking-Ente, Reis süß-sauer - und das alles mit Stäbchen: 14 Prozent der befragten Deutschen denken beim Stichwort China an chinesisches Essen. Was Viele aber nicht wissen: Chinesisches Essen ist nicht gleich chinesisches Essen. Die meisten der 23 Provinzen Chinas haben ihre eigene Regionalküche. Zu den populärsten gehört die würzige Küche aus Sichuan, die gerne Sojasauce, Ingwer und Frühlingszwiebeln verwendet, die scharfe Xiang-Küche aus Hunan und die kantonesische Yue-Küche, die vor allem durch die Verwendung ungewöhnlicher Zutaten wie Hundefleisch bekannt geworden ist. Übrigens: Die Peking-Ente ist das berühmteste Gericht der chinesischen Küche. Quelle: REUTERS
MenschenrechtsmissachtungEbenfalls 14 Prozent fallen zu China Menschenrechtsverletzungen ein. Auf die Frage, wo sie das Land gegenwärtig und in 15 Jahren beim Schutz der Menschenrechte sehen, ordneten 60 Prozent der Befragten die Volksrepublik in die Schlussgruppe ein, nur 1 Prozent sieht China als Spitzengruppe in Bezug auf Menschenrechte. Auch das Bild Chinas als ein Rechtsstaat stößt auf wenig Zustimmung bei den Deutschen. 49 Prozent stimmten der Aussagen gar nicht zur, nur 1 Prozent sieht China als Rechtsstaat an. 80 Prozent der befragten Bevölkerung geht außerdem davon aus, dass in China kaum oder keine Debatten über politische Themen geführt werden. Quelle: dpa
Diebstahl von Ideen12 Prozent denken, China spioniere deutsche Unternehmen aus und verkaufe die Ideen aus dem Westen als eigene. Nachgebaute Ware aus China, oft zum Spottpreis, macht deutschen Unternehmen das Leben schwer. Auch das Markenimage chinesischer Produkte ist bei den befragten Deutschen schlecht. So assoziieren viele Konsumenten in Deutschland chinesische Produkte mit einfache, technisch wenig anspruchsvolle Billigware. Quelle: dpa

Wer reich ist in China, will weg. Oder zumindest sein Geld ins Ausland bringen. Viele taten das bisher über die Casinos in Macau.

Gerade erst hat der IWF zwar beschlossen, Chinas Währung in den Korb der Sonderziehungsrechte aufzunehmen, und den Yuan damit einen Schritt näher in Richtung Weltwährung gebracht. Noch immer aber gelten strikte Kapitalverkehrskontrollen. Umgerechnet 50.000 US-Dollar darf ein chinesischer Staatsbürger pro Jahr außer Landes bringen. Mittelsmänner sammelten deswegen Yuan von reichen Chinesen auf dem Festland ein und organisierten Reise und Kredit in den Casinos in Macau. Den Gewinn ließen sich die Spieler in Macau-Pataca oder in Hongkong-Dollar auszahlen.

Kurz nach seinem Amtsantritt Anfang 2013 begann Xi Jinping mit seiner Kampagne. Peking hat die Anzahl der Spieltische begrenzt und geht strenger gegen die Mittelsmänner vor. In Macau machen die Tische 95 Prozent des Gesamtumsatzes aus – einer bringt im Schnitt 6000 Dollar pro Tag. Weitergebaut wird trotzdem: Galaxy will mit „Phase 4“ den Komplex ausbauen. Ein paar Kilometer entfernt hat erst Ende Oktober das Studio City eröffnet, für das Hollywood-Stars wie Leonardo DiCaprio werben.

Das Wachstum bringen soll jetzt Chinas neue Mittelschicht. Der Plan: Kinder werden im Kid’s Club des Marriott Hotels abgegeben, Ehefrau geht shoppen oder ins Spa, Ehemann zockt – eine glückliche chinesische Familie. So sieht Pekings Hoffnung aus: innovative Unternehmen und Konsumenten mittleren Einkommens, die mit materiellen Gütern zufriedengestellt werden können, die sich nicht um Meinungsfreiheit und Demokratie kümmern, sondern auf das Wohlwollen der Kommunistischen Partei vertrauen.

Nur, was passiert mit diesem Riesenreich, wenn dieses Versprechen nicht erfüllt wird? Wenn das Wachstum ausbleibt? Die Märkte nicht ständig weitersteigen?

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