Lange Zeit schien es, als sei die Nato dem Untergang geweiht. Der Kalte Krieg vorbei, Europa umzingelt von Freunden, die Amerikaner mit sich selbst beschäftigt: Wozu braucht es ein Verteidigungsbündnis, das nichts mehr zu verteidigen hat?
Dass die 4000 Nato-Vollzeitkräfte im Hauptquartier in Brüssels Nordosten immer noch ihren Job haben, liegt nicht zuletzt an Wladimir Putin. Dem todgeweihten Bündnis hauchte der russische Präsident mit aggressiver Außenpolitik neues Leben ein
– Stichworte Krim-Annexion/Ukraine-Krieg.
Seither sucht die Nato nach ihrer Rolle im 21. Jahrhundert. Im Mittelmeer hilft sie bei der Flüchtlingsrettung. Im Syrienkrieg schauen ihre Strategen zu, während Mitglieder und Nicht-Mitglieder halbherzige uni- und multilaterale Alleingänge wagen. In der Russlandpolitik schwankt die Nato zwischen abschreckender Aufrüstung und abrüstenden Dialogangeboten.
Wofür steht die Nato? Was sind ihre Aufgaben? Was soll sie können?
Das Wochenende liefert hoffentlich Antworten. Ab Freitag tagen im Nationalstadion von Warschau die Vertreter der 28 Mitgliedsstaaten – ein Gipfel, der nur alle zwei Jahre in dieser Größe stattfindet. Es wäre zu wünschen, dass vor allem die EU-Länder dem Militärbündnis ihren Stempel aufdrücken und anstelle der USA mehr Verantwortung übernehmen.
Erstens wäre dies sicherheitspolitisch notwendig. Sämtliche Gefahrenherde, mit denen die Nato zu kämpfen hat, liegen beinahe in Sichtweite der EU-Grenzposten. Den Nahen Osten überzieht der IS mit Terror, was ebenso Flüchtlingsströme provoziert wie der Staatszerfall dort und im Norden Afrikas. Im Osten ist Russland zu einem unberechenbaren Nachbarn geworden, der die bisherige Sicherheitsarchitektur des Kontinents zerlegt hat und bisher nicht zu deren Reparatur bereit scheint.
Zweitens ist mehr Europa in der Nato notwendig: Die USA ziehen sich seit Jahren aus der Weltpolitik zurück, da die Bürger dort des Kriegerischen müde sind und sich mehr für innere Probleme interessieren. Und wenn Washington Interessen zu verteidigen hat, dann dürfte dies angesichts des Wettstreits mit der neuen Weltmacht China eher im Pazifik als in Mittelmehr stattfinden. Ein Donald Trump würde sich als Präsident sicherlich im Isolationismus üben, Hillary Clinton entweder dem althergebrachten Interventionismus zuneigen – oder unter dem Druck der Linken ebenfalls Zurückhaltung pflegen. Jedenfalls ist auf die USA als Weltpolizist künftig weniger denn je Verlass.
Drittens wirkt europäische Außen- und Sicherheitspolitik in konkreten Konfliktlagen schon heute weitsichtiger als der Aktionismus der USA, was der Nato helfen könnte. Die Krise mit Russland hätte Washington mit blinden Waffenlieferungen an die Ukraine angeheizt, in Nahost fehlte dem Pentagon stets das Rezept zur dauerhaften Stabilisierung. Europa konnte den Konflikt in der Ost-Ukraine mit einer Kombination aus Zuckerbrot (Dialog) und Peitsche (Sanktionen) wenn schon nicht lösen, so doch zumindest herunterkühlen.