Als Cai Zheng He seinen Job bei einem führenden Handyhersteller kündigte, hielten ihn alle für verrückt. Inzwischen tüftelt der 40-jährige Taiwaner erfolgreich an einer neuartigen Holo-Brille, die Betrachtern virtuelle 3-D-Welten präsentiert und für die sich selbst die Politik interessiert. Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, braucht Taiwan dringend frische Ideen. Innovative Querköpfe wie Cai Zheng He sollen dabei helfen.
Taiwans Präsident Ma Ying-jeou hat in den vergangenen acht Jahren vor allem die Wirtschaftsbeziehungen mit China ausgebaut. Doch weil dort das Wirtschaftswachstum sinkt, gerät auch Taiwans Wirtschaft in Not. Im November brachen die Exporte, die zu 80 Prozent aus dem IT-Bereich stammen, im Vergleich zum Vorjahr um knapp 17 Prozent ein. 2015 wuchs die Wirtschaft nur noch um rund ein Prozent – nach knapp drei Prozent 2014.
Von niedrigen Löhnen profitiert
Andere exportabhängige Staaten wie Singapur und Südkorea leiden bisher weniger unter dem Abschwung in China. „Taiwans Wirtschaft ist zu abhängig vom Nachbarland“, sagt Qiu Dasheng, stellvertretender Direktor des Taiwan Institute of Economic Research in Taipei. Das Problem lässt sich am Beispiel von Taiwans Paradeunternehmen Foxconn erklären. Der Auftragsfertiger ist stark abhängig von Auftraggebern wie Apple und hat große Teile seiner Produktion nach China verlagert, um dort von niedrigen Löhnen zu profitieren. Nun aber steigen in China die Gehälter.
Obwohl 40 Prozent der Exporte Taiwans 2014 nach Hongkong und China gingen, sehen viele Taiwaner die Annäherungspolitik der vergangenen Jahre kritisch. Im Frühjahr gingen – angeführt von Studenten – Hunderttausende auf die Straße, um gegen ein Dienstleistungsabkommen zwischen den zwei Volkswirtschaften zu protestieren. China erhebt noch immer Ansprüche auf die Insel, die auf Druck der chinesischen Regierung weltweit nur von 21 Staaten und dem Vatikan anerkannt wird. Viele Taiwaner fürchten sich vor dem steigenden Einfluss Pekings im Land.
Zudem entwickelt sich China immer mehr zum Konkurrenten. Mit seiner „Made in China 2025“-Strategie will es in den kommenden Jahren die Qualität der heimischen Produkte erhöhen und in die Riege der führenden Industrienationen aufrücken. „Taiwan verliert dadurch seinen Platz in der Wertschöpfungskette“, sagt Qiu. Einen Ausweg sieht er nicht. „Forschung hat in Taiwan zu lange eine zu kleine Rolle gespielt.“
Die wirtschaftliche Krise spielt auch im Wahlkampf eine Rolle. Beide Parteien wollen zwar im politischen Verhältnis zu Peking nichts ändern. Aber während die noch regierende Kuomintang mit Präsidentschaftskandidat Eric Chu wirtschaftlich weiter auf die Nähe zu China setzt, will sich die aussichtsreiche Democratic Progressive Party mit Spitzenkandidatin Tsai Ing-wen lieber auf die Entwicklung neuer Industrien konzentrieren.
Ohne Peking geht nichts
Einig sind sich die Parteien in der Frage der Freihandelsabkommen. Taiwans größter Wettbewerber Südkorea hat in den vergangenen Jahren mit den vier wichtigsten Absatzmärkten Taiwans Freihandelsabkommen abgeschlossen: mit China, den Asean-Staaten, den USA und der EU. Taiwan dagegen hat bisher nur eine Handvoll Abkommen verhandeln können, die meisten mit Staaten, die das Land offiziell anerkennen, darunter Panama und Guatemala. Beide Parteien wollen das zwar ändern. „Aber ohne grünes Licht aus Peking geht nichts“, so Qiu. „Und die haben daran kein Interesse.“
Da Taiwan keine natürlichen Ressourcen hat, ist der Außenhandel ein entscheidender Teil der Wirtschaft. „Ohne Integration in die regionalen Märkte wird es für Taiwan schwierig, wettbewerbsfähig zu bleiben“, sagt Qiu. Allein ein Drittel der taiwanesischen Exporte ging im vergangenen Jahr in die neue Handelszone, die mit der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) in den kommenden Jahren entstehen wird. Und während das Land noch über Pläne eines taiwanesischen Silicon Valley diskutiert, pumpt China Milliarden in den Gründermarkt. Hoch qualifizierte Kräfte in Taiwan gehen lieber nach Shanghai, weil sie dort bessere Aufstiegschancen haben und dreimal so viel verdienen.
Cai Zheng He bleibt. Er glaubt daran, dass Taiwan es schaffen kann. Mittlerweile kommen auch andere Tüftler in seine Werkstatt, um dort an eigenen Projekten zu arbeiten. Viele haben wie Cai bei großen taiwanischen Unternehmen gearbeitet und für ihre Idee gekündigt. Sie geben ihre Insel noch nicht auf.