Vor Ort Griechenland ungeschminkt

Das Handelsblatt berichtet diese Woche live aus Athen. Aktuelle Schilderungen und Eindrücke von 20 Reporterinnen und Reportern finden Sie hier im Ticker.

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Quelle: handelsblatt.com

+++Donnerstag, 27. Oktober 2011+++

+++Protestmüde Griechen: Es sieht so aus, als hätten die Ausschreitungen der vergangenen Woche den Griechen die Lust am Protestieren genommen. Gestern Abend versammelte sich noch ein kleines Häufchen auf dem Syntagma-Platz vor der Parlament, um Gesicht zu zeigen. Heute herrscht normales Leben auf dem Platz. Arbeiter entfernen mit Hochdruckreinigern Protestsprüche von den Mauern - schließlich ist morgen Nationalfeiertag mit Parade. Nur die zerstörten Fassaden der umliegenden Gebäude erinnern noch an die Vorfälle. Morgen allerdings könnte es zur Feierstunde zu Protest kommen.+++

+++Mittwoch, 26. Oktober 2011+++

+++Krise am Tresen: Von wegen "Tanz auf dem Vulkan": Selbst das Nachtleben in Athen leidet unter der Krise. 60 Prozent sind die Umsätze in letzten Jahr zurückgegangen, niedrigere Preise lassen die Margen schrumpfen. Nickolas Vrontissis immerhin kann seine Gäste halten. Seine Bar Hoxton im Partydistrikt hinter dem stillgelegten Gaskraftwerk floriert noch immer - weil sie angesagt ist. Derzeit stellt ein Künstler hier abgedrehte Clown-Skulpturen aus. "Wir haben den gehalten, weil wir professionell arbeiten", sagt der studierte Marine-Ingenieur Vrontissis - und schimpft über zu viele blutige Anfänger in der Branche.+++

+++Blind Dates: Der Gouverneur der Region Peloponnese im Süden präsentiert uns einen verwegenen Plan: Griechische Banken sollen ausländischen Investoren das Risiko abnehmen. Ein Fonds von Banken, Region und Investoren soll das ermöglichen. Vorbild sind ähnliche Pläne in Polen. Für Investoren wäre das attraktiv - die Umsetzung ist allerdings schwer. Was es schon gibt: Blind Dates für Investoren und Unternehmer vor Ort.+++

+++Sparpolitik tötet Mittelstand: Constantine Michalos thront hinter seinem Schreibtisch in einem riesigen Büro, an der Wand in Öl seine Vorgänger als Präsidenten der Athener Handelskammer. Zur Begrüßung holt der kräftige Mann tief Luft, legt gleich los: „Diese Regierung ist kriminell. Wenn sie abtritt, wird Griechenland zum ersten Mal nach der Revolution Sondertribunale brauchen, um die Verbrechen aufzuklären.“ Die Verpflichtung des Staats gegenüber IWF und EU zur Sparpolitik töte den Mittelstand - und Griechenland gebe mit Absicht oder aus Dummheit seine Souveränität auf, wütet Michalos. „Wir brauchen eine Wende um 180 Grad. Statt zu sparen muss der Staat Geld geben, um die Wirtschaft anzukurbeln“, ruft er. Griechenland habe in jedem Fall das Recht, den Euro zu behalten. „Ich habe vielmehr den Verdacht, dass Deutschland den Euro abschaffen will“, sagt er. Es müsse eben ein Schuldenschnitt für Griechenland kommen, wie groß auch immer. Schließlich sein das Land Opfer der Krise, nicht ihr Auslöser, die Banken solider als anderswo.

Inzwischen habe die Opposition viele der Positionen der Handelskammer übernommen. Michalos ist kein Außenseiter: Er ist oberster Repräsentant der Hauptstadt der Wirtschaft und damit offizieller Regierungsberater - auch wenn er nur seine "persönliche Meinung" kundtut.+++

+++Nein-Tag: Schuldenkrise hin oder her, die Griechen rüsten sich für ihren Nationalfeiertag. Am Freitag ist Ochi-Tag, übersetzt Nein-Tag. Vor 61 Jahren hatte Griechenland ein Ultimatum Italiens abgelehnt, was zum Krieg beider Länder führte. Vor dem Parlament in Athen wird bereits die Tribüne errichtet, an der die Parade vorbeiziehen soll. Wollen wir hoffen, dass der Eurogipfel am Donnerstag kein neuer Ochi-Tag wird.+++

+++Erfolgsmodell Flughafen: Der Flughafen Athen könnte eine Blaupause für das Land werden. Mit der Eröffnung vor zehn Jahren wurde der ineffiziente Stadtflughafen abgelöst. Das privat geführte Unternehmen hat direkt und indirekt 15000 Arbeitsplätze geschaffen und 750 Millionen Euro an Gewinn an den Staat überwiesen, wie uns Vorstandschef Yiannis Paraschis sagte. "Es gibt nun Überlegungen, dass Erfolgsmodell auf andere Unternehmungen zu übertragen."+++

+++Gauleiter der Taskforce: Eine hitzige Atmosphäre herrschte bei der gerade beendeten Pressekonferenz des deutschen Leiters der EU-Taskforce für Griechenland, Horst Reichenbach. "Wie fühlt es sich denn an, als Gauleiter bezeichnet zu werden?", rief ein erregter griechischer Journalist herein, ohne sich um die Reihenfolge der Fragen zu kümmern. Reichenbach blieb äußerlich ruhig und antwortete, dieser Vergleich liege außerhalb seines Verständnisses.+++

+++Griechisches Verkehrschaos: Eine Autofahrt durch Griechenland ist ein kleines Abenteuer. Denn allgemeine Verkehrsbestimmungen scheinen bei den Griechen nicht besonders beliebt zu sein. An Geschwindigkeitsbegrenzungen hält sich hier kaum jemand; jeder fährt, so schnell er will oder kann. Geblitzt oder kontrolliert wird nicht. Da entgeht dem Staat eine schöne Einnahmequelle. Auch Straßenbemalungen könnten sich die Griechen eigentlich sparen - jeder fährt, wo Platz ist. Nur kann es schon mal sein, dass die Straße plötzlich endet. So auch die Autobahn quer durch die Peloponnes. Obwohl in der Karte schon eingezeichnet, führt sie leider nicht zum Ziel. Und Fahrten über Land können sich schon mal verzögern: Weil ein Schwertransporter vorbei wollte, mussten wir 30 Minuten auf der Landstraße warten. Am Ende hatte sich eine Autoschlange gebildet, die länger war als wir schauen konnten. Auf die Idee, solche Transporte nachts zu machen, sind die Griechen wohl noch nicht gekommen. Dabei wäre das praktisch: Nachts ist fast niemand auf den Straßen, schon gar nicht auf der Autobahn in der Peloponnes. Aber im Abstand von ca. 20 Metern erleuchten Laternen die Fahrbahnen beinahe taghell. Ein netter Service, aber eine umso nettere potenzielle Einsparmöglichkeit.+++

Verschuldete Taxi-Investoren

+++Statt Zierde nur noch Blech: Die Wut der Athener auf ihre Regierung ist an einem Gebäude besonders gut zu greifen: Dem Wirtschaftsministerium. Direkt am Parlament und dem Syntagma-Platz gelegen, wo die zahlreichen Demonstrationen stattfinden, hat es die ganze Wucht des Unmuts abgekriegt: Die Glasfront im Erdgeschoss ist eingeschlagen und komplett mit Wellblech verkleidet. Am Torbogen vor dem Eingang ist statt repräsentativer Verzierungen nur noch Blech übrig, das kraftvolle Steinewerfer durchlöchert haben. Selbst die Marmorplatten an den Säulen sind größtenteils abgerissen. Das Gebäude ist so angeschlagen wie die Institution selbst, die den Niedergang der griechischen Wirtschaft durch falsche Anreize und fehlende Reformen mit verantwortet.+++   

+++Gewerkschaften versprühen Kommunistenflair: Von machtvollen Gewerkschaften ist bei der Telekomgewerkschaft des Ex-Monopolisten OTE, der OME OTE, zumindest in den Büros wenig zu sehen. Von den Wänden blättert die Farbe, der Fußboden im Flur ist aus Linoleum, die Tür-Rahmen hellblau umrandet. Diese Optik würde man bei einem Krankenhausflur in Tirana eher erwarten als in den Büros einer der einflussreichsten Gewerkschaften Griechenlands. Das Büro des Präsidenten, Panajiotis Koutras, versprüht ebenfalls kommunistisches Flair: Die Wände sind mit rauchgetränktem, beigen Teppich verkleidet, der vermutlich früher einmal weiß war. Im Kontrast dazu stehen schwarze Ledersofas, schwarze Stühle samt Besprechungstisch sowie ein Wandkommode samt Stereoanlage mit diversen Lautsprechern. Für Unterhaltung immerhin scheint gesorgt. Vor 30 Jahren war das weiß-schwarze Ensemble sicher auch einmal sehr schick. Doch seitdem scheint hier die Zeit stehen geblieben zu sein.+++

+++Massives Polizeiaufgebot: 20 Demonstranten und ein Plakat vor dem Amtssitz von Papandreou. Aber dafür mehrere vergitterte Mannschaftswagen der Polizei und Dutzende Polizisten, auch an nahe gelegenen Kreuzungen, in Schutzkleidung. Man ist vorbereitet.+++

+++Investoren-Interesse wächst: Das Interesse ausländischer Investoren scheint zu wachsen. Die Chinesen sind schon im Land aktiv. Der Chef eines führenden Wirtschaftsforschungsinstituts sagt, dass letzte Woche eine Delegation aus Korea dagewesen sei und für nächste Woche hätten sich Japaner angesagt. Ein Hoffnungszeichen.+++

+++Taxilizenzen im Ausverkauf: So schnell kann man in Griechenland sein Geld verbrennen. Unser Taxifahrer hat vor einem Jahr die für das Gewerbe nötige Lizenz für 150.000 Euro gekauft. Unter der Hand versteht sich, Taxilizenzen waren limitiert und damit teuer. Das Geld ist nun weg. Seit einigen Monaten werden die Lizenzen vom Amt für 1000 Euro verkauft, sagt er. Jetzt hat er noch Schulden von rund 80.000 Euro.+++

+++Ölförderung verboten: Energean-Chef Mathios Rigas ist tief von der Politik enttäuscht. Der größte Ölproduzent Griechenlands zählt im Gespräch mit dem Handelsblatt Projekte im Wert von einer halben Milliarde Dollar auf. Unter anderem soll ein Gasspeicher gebaut werden und neue Ölfelder erschlossen werden. Die Vorhaben werden aber von der Regierung blockiert. Rigas: „Niemand sagt uns, warum das so ist.“ Er will aber durchhalten. „Die Verhältnisse in Griechenland werden sich ändern, darauf hoffen wir.“+++

+++Heilsbringer China? Im Containerhafen von Piräus haben die Asiaten seit gut einem Jahr die Macht übernommen. Die Gehälter der griechischen Hafenarbeiter seien seitdem gestiegen, zudem bekämen sie Boni, täglich kostenloses Mittagessen und bezahlten Urlaub, erzählt uns einer der Manager von Cosco. Und zeigt uns stolz sein Terminal. Unseren Versuch, mit einigen der Arbeiter zu sprechen, weist er allerdings rigoros ab.+++

+++Ängstlicher Topbanker: Das Gespräch mit dem griechischen Topbanker gestern war spannend: Wer investiert die nötigen Milliarden in die Institute des Landes? Haben die Banken die Kraft, die angestrebte Erholung der Wirtschaft zu finanzieren? Welches Geldhaus fusioniert mit wem? Doch wie bewegt die Zeiten dieser Tage in Griechenland sind, zeigt der Anruf des Bankers heute Morgen: Die aktuellen Entwicklungen zwängen ihn eventuell kommende Woche zum Rücktritt. "Bitte lassen Sie deshalb meinen Namen aus ihrem Artikel raus."+++

+++ Dienstag, 25. Oktober 2011 +++

+++Griechische Kollegen mit im Boot: Die Handelsblatt-Aktion "Griechenland live und ungeschminkt" stößt in Athen auf reges Medieninteresse. Bereits mehrere Zeitungen haben uns inzwischen Kooperationen angeboten. "Ta Nea", die größte griechische Tageszeitung, will uns morgen besuchen und ein "Making Of" produzieren. Hoffentlich kommen die Kollegen nicht, wenn gerade alle Reporter zur Recherche ausgeflogen sind - so wie gerade. Nur Carina Groh-Kontio, die unsere Social-Media-Aktivitäten betreut, hält derzeit die Stellung im Konferenzraum. Falls die "Ta Nea"-Reporter morgen eine Handelsblatt-freie Zone im "New Hotel" vorfinden, können sie auch nebenan gucken. Da informiert sich ein Reporter-Team aus Asien über die schwersten Tage der Eurokrise.+++

+++Ohne Verpackung kein Feta: Die abstrusen Erfahrungen des schwäbischen Besitzers einer Ölmühle in Griechenland sind kein Einzelfall. Die Unternehmensberatung McKinsey kommt in einer aktuellen Studie zu dem Schluss, dass klassisch griechische Produkte wie Olivenöl und Feta vor allem deshalb nicht in größeren Mengen exportiert werden, weil im Land schlicht Unternehmen fehlen, die sie verpacken können. Das führt dazu, dass der Weltmarkt-Anteil an in Griechenland produziertem Schafskäse gerade einmal 28 Prozent beträgt.++++++Wanderstöcke als Stau-Geschäft: Dank Metro-Streik ist die Athener Innenstadt zu Beginn der Rush-Hour beinahe zum Stillstand gekommen. Für Entspannung sorgt das Sammeltaxi-Prinzip: Taxifahrer lassen einen zweiten oder dritten Fahrgast zusteigen, wenn die Fahrtrichtung stimmt. Dann geht es mit griechischer Musik aus dem Radio und Hupkonzert weiter voran - oder auch nicht. Übrigens: Ich habe ja schon manches gesehen, was Leute einem im Stau vor der Ampel verkaufen wollen. Blumen, Zeitungen ... aber Wanderstöcke mit Taschenlampen im Griff für fünf Euro?+++

+++Wohlhabend im Schneckenhaus: Wer hier reich ist, der braucht Schutz: Evangelos Marinakis, der Präsident des Fußballclubs Olympiakos Piräus ist gleichzeitig Direktor von Capital Product Partners, einer Reederei. Das Büro des viel Beschäftigten, aber auch schwerreichen Managers am Hafen ist deshalb rund um die Uhr bewacht. Gleich vier bewaffnete Mitarbeiter am Empfang begrüßen die Gäste - und das, obwohl der Chef fast nie anwesend ist. Auch wir hatten heute kein Glück.+++

Im Yachthafen werden die Reichen rar

+++Rösler populär: In Griechenland ist Wirtschaftsminister Philipp Rösler ein Symphatieträger. "Er war mit einer Delegation von deutschen Industrievertretern hier, andere Europäer haben sich nicht blicken lassen", sagt Stefanos Melissopoulos, Griechenlandchef von Conergy. Vor allem die Solarenergie hofft auf Hilfe aus Deutschland, da sich die Banken mit Krediten für neue Projekten zurückhalten.+++

+++Viele Ideen, keine Fachkräfte: Andreas Knauß, ein schwäbischer Mittelständler und Besitzer einer Ölmühle in Griechenland, hat unsere Meldungen verfolgt und uns eine E-Mail geschrieben. Die Geschichte, die er erzählt, ist haarsträubend und zugleich bezeichnend. Griechenland brauche 30 Jahre, um wieder auf die Beine zu kommen, fürchtet er. Und zwar weil es so lange dauern werde, wieder eine Industrie aufzubauen. Er weiß, wovon er spricht. Vom Wunsch beseelt, dem Land, das er liebt, zu helfen, hat er versucht, seine neue Abfüll- und Lagerhalle ausschließlich mit griechischen Lieferanten zu bauen, doch vergebens. Er hat in den vergangenen Jahren gelernt, dass der Olivenölproduzent Griechenland weder Flaschen in brauchbarer Qualität noch Deckel, keine Abfüllanlagen und auch keine Profilstähle zum Bau einer schlichten Halle mehr herstellt. Doch was das Schlimmste ist: Er findet auch keine Techniker, um die Anlagen zu betreiben. Griechenland müsse eine Ausbildung von Technikern ganz neu aufbauen, fordert er. Anders sei keine industrielle Renaissance zu schaffen.+++

+++Reiche auf Heimaturlaub: Im noblen Yachthafen von Vouliagmeni machen sich die Reichen rar. In der wärmenden Herbstsonne polieren Angestellte die Luxusschiffe auf Hochglanz. Die Yachten mit so illustren Namen wie "Toys 4 boys" oder "Happy day" erhalten von ihren Eignern erst zum Wochenende Besuch.+++

+++Angst vor der Wirklichkeit: Der Werbespot, den die Athener Biennale für den Medienpartner, das staatliche Fernsehen, gedreht hat, ist heute abgesetzt worden. Den Fernsehmachern ist der 25-Sekünder zu heikel: ein Polizist bekommt einen Farbbeutel gegen den Kopf, ein Protestierer wirft einen Molotow-Cocktail. Die drei Kuratoren der Schau sind gestresst, aber zuversichtlich. "Wir bilden ab, was draußen vor sich geht." Der Ort der Ausstellung ist symbolisch gewählt: ein altes Schulgebäude mit kafkaesken Fluren.+++

+++Besorgte Schiffseigner: Die Nervosität ist längst auch bei den griechischen Reedern angekommen. Wenige Stunden vor ihrer heutigen Hauptversammlung hat Konstantinos Konstantakopoulos, Chef von Costamare, ein Interview kurzfristig abgesagt. Die Unsicherheit sei derzeit einfach zu groß, er möchte sich nun doch nicht mehr öffentlich äußern. Costamare ist an der New Yorker Börse gelistet, am Donnerstag gibt das Unternehmen Quartalszahlen bekannt.+++

+++Start-Ups in der Krise: Und es gibt sie doch, die Aufbruchstimmung: In einer Seitenstraße des Syntagma-Platzes, im Zentrum Athens, werkeln zahlreiche Gründer, Studenten und Freiberufler an ihrer Karriere. Das "Colab workplace", ein kleines Bürogebäude, ist der Sitz von gleich zehn Internet-Startups. Die jungen Griechen entwickeln iPhone-Apps für Großkonzerne, Reise-Webseites für Touristen und E-Commerce-Plattformen. "Wir haben erkannt, dass wir auch in Griechenland innovativ sein müssen", sagt Stavros Messinis, Chef des Bürokomplexes. "Damit wir als Land in der Zukunft eine Chance haben."+++

+++Ökonom wird ungeduldig: Nikolaos Vettas, einer der prominentesten griechischen Ökonomen, sieht wie viele Griechen diese Woche besonders sorgenvoll nach Brüssel und Berlin. "Die deutsche Regierung muss jetzt endlich ihr ganzes Gewicht in die Waagschale werfen", forderte er im Interview mit dem Handelsblatt in der Lobby des "New Hotel". Wenn sich die europäischen Rettungsbemühungen weiter so hinzögen, dann drohten die Investoren jegliches Vertrauen zu verlieren. Vettas, wegen des Metro-Streiks mit dem Auto angereist, kam im Gespräch so in Fahrt, dass er zu spät für sein nächstes Seminar wieder losfahren konnte. Kein Problem, sagte er, und rief schnell von der Rezeption in der Uni an - die Studenten sollten schonmal ein Papier lesen, er komme gleich. +++

+++Deutschland profitiert: Ob Lidl, Ikea oder Miele, Adidas oder Intersport, Allianz oder Ergo - auf dem Weg vom modernen Flughafen in die Athener Innenstadt leuchtet ein Markenschild neben dem nächsten - darunter viele deutsche Firmen. Das griechische Problem des zu hohen Konsums ist auch ganz augenscheinlich verbunden mit der Exportstärke vieler Unternehmen.+++

+++Großkonzerne zurückhaltend: Wegen der unsicheren Lage vor dem entscheidenden Euro-Gipfel halten sich die wenigen internationale Konzerne, die echtes Geschäft in Griechenland machen, mit Stellungnahmen zurück. So etwa der weltgrößte Lebensmittel-Konzern Nestlé, der mehrere Fabriken im Land hat und einen Termin mit uns mit folgenden Worten ablehnt: "Leider ist es aufgrund anderer gegenwärtiger Prioritäten nicht möglich, einen Besuch zu organisieren". +++

+++Der Export soll die Wirtschaft heilen: Die Zukunft der griechischen Wirtschaft liegt im Export, schließlich bleibt der Binnenmarkt wohl noch über Jahre schwach. Findige Mittelständler suchen längst neue Wege. Ein Anzeichen: Bei der Panhellenischen Exportorganisation ist heute kaum jemand zu erreichen. Die Export-Spezialisten präsentieren heute Griechenland in einer Stadt, die ebenfalls leidvolle Erfahrungen mit Krisen gemacht hat: dem serbischen Belgrad. +++

+++Touristen sind bester Laune: Eurokrise, Massendemos und Unruhen zum Trotz: Wahre Athen-Fans lassen sich auch in diesen unruhigen Zeiten nicht von einem Urlaub in der Hauptstadt abbringen. Auf der Dachterrasse eines Restaurants am Fuß der Akropolis genoss gestern Abend eine Gruppe von Dutzenden amerikanischer Rentner unter Heizstrahlern ihr Abendessen unter freiem Himmel. Der Wein floss, die Stimmung hob sich, von Krise keine Spur. Bis die Gruppe weg war. Dann war die Touristenmeile unter dem Monument wieder still und ziemlich leer. +++

Die Kreditklemme ist im Mittelstand angekommen

+++ Montag, 24. Oktober 2011 +++

+++ Griechenland hat in der Krise zumindest noch einen Hoffnungsträger: den Tourismus. "Ich war überbucht dieses Jahr", sagt Alexandros Papasteriopoulos. Er besitzt eine Yacht, die er für 2500 bis 3500 Euro pro Woche vermietet. Meist teilen sich fünf bis sechs Personen das Boot. Die hohe Nachfrage hat einen einfachen Grund: Die Kunden von Papasteriopoulos sind Ausländer, die die schönen greichischen Insel lieben und in ihren Heimatländern keine Krise spüren. Ganz unberührt von der Krise ist aber auch Papasteriopoulos nicht: Er leidet unter den hohen Steuern, die Athen erhebt, um das gigantische Staatsdefzit abzubauen. "Glücklich ist hier gerade niemand", sagt er.+++

+++ Und wieder etwas gelernt: Das Fotografieren der Polizei-Jungs mit den Maschinenpistolen und der schwarzen Schutzmontur auf dem Parlamentsplatz ist strengstens verboten - selbst wenn sie gerade mit den gleichaltrigen Passanten Scherze austauschen. Foto ordnungsgemäß gelöscht. +++

+++ Die Industrie hat das Werben um die Verbraucher offenbar aufgegeben. Die meisten Werbebanner an den Schnellstraßen um Thessaloniki sind weiß abgeklebt. Beinahe werbefrei ist auch die neue Autobahn vom Flughafen Athen ins Zentrum der Hauptstadt. ++++++ Die in Deutschland so gefürchtete Kreditklemme ist im griechischen Mittelstand längst angekommen. "Das ist das größte Problem für Firmen wie unsere", sagt die Inhaberin eines Familienunternehmens mit 80 Mitarbeitern, das Olivenöl und andere Produkte nach ganz Europa, die USA und Japan exportiert. "Es ist keine Bank mehr da, die die Vorfinanzierung übernimmt." Dabei liegen in den Lagern Oliven für über sechs Millionen Euro. Die Krise habe nur einen Vorteil: Neue, qualifizierte Arbeitskräfte seinen leicht zu bekommen. "Wir halten an unserem Businessplan fest und stellen neue Leute ein", sagt die Unternehmerin. Schließlich will sie den Umsatz in drei Jahren verdoppeln - gegen alle Widerstände. +++

+++ "Wegen eines 24-stündigen Streiks der Angestellten fährt die Metro am Dienstag, 25. Oktober, nicht. Das gilt auch für die Straßenbahnen." Ein schlichtes Laufband auf den Monitoren in der EU erschwert uns die Planungen für die morgige Recherche - es wird wohl auf Taxifahrten hinauslaufen. Übrigens: Unten auf den Monitoren prangt die blaue EU-Flagge mit den goldenen Sternen: Das elektronische Infosystem der Metro ist von der EU mitfinanziert.+++

+++ Land ohne Industrie stimmt nicht ganz. In der nordgriechischen Kleinstadt Kilkis brummt die Industrie. Durch Straßen des Gewerbegebiets rollen die Lkw. Mit seinen niedrigen Löhnen, Förderung und der nahen Grenze zu Bulgarien gilt Kilkis als guter Standort.+++

+++ 3, 2, 1, meins. Die letzten Portionen Bohnensuppe mit Weißbrot sind verteilt. Allein 1.000 Mahlzeiten sind von dieser Ausgabestelle der Athener Erzdiözese der griechisch-orthodoxen Kirche verteilt worden. Sogar eine 68-jährige frühere Kolchosen-Melkerin aus der Ukraine, die als Babysitterin in Athen gelandet ist, hat sich ihr Mittagessen abgeholt. Die meisten Menschen schweigen. Nur Mary Pini nicht: Die Athener Journalistin kommt jeden Tag für eine Stunde zu "ihrem" Mittagstisch, um das Essen zu verteilen. Zum Osterfest 2009 hatte sie ihn gegründet in diesem Hinterhof hinter dem Omonia-Platz, einem einst reichen Viertel, das umgekippt ist sozial. Damals sollte zu Ostern keiner Hunger schieben in der beginnenden Krise. Kamen damals nicht einmal zehn Prozent Griechen zum Essen fassen und wurden 600 Portionen meist für illegale Migranten verteilt, so seien heute 35 Prozent der Wartenden Griechen, sagt Pini. +++

+++ Von Krise ist zumindest auf dem Frühflug nach Thessaloniki keine Spur. Die Reihen des A320 von Aegean Airlines sind gut gefüllt mit Leuten im Business-Dress. Die Metropole im Norden empfängt mich mit frischer Seeluft und angenehmen 20 Grad. +++

+++ Sonntag, 23. Oktober 2011 +++

+++Vor dem Finanzministerium und umliegenden Banken sind mannshohe Marmorplatten abgerissen. Was einst den Reichtum griechischer Finanzhäuser symbolisierte, dient Protestlern heute als Wurfgeschoss. Ich habe Athen zuletzt 2004 als graue, aber modernisierte Olympiastadt erlebt. Heute sieht die Stadt aus wie das Epizentrum der Euro-Krise. +++

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