Bisweilen ähnelt Wirtschaftspolitik in China einem Videospiel: Am Joystick sitzen die Planer der Kommunistischen Partei und bestimmen den Aufbau der Wirtschaftsmacht. Per Knopfdruck ziehen sie Fabriken, Häuser, Städte hoch. Sie öffnen die Geldschleusen, sobald die Weltkonjunktur lahmt – und schließen sie wieder, wenn die 1,3 Milliarden Chinesen im Treibsand der Inflation versinken.
Seit drei Dekaden betreiben die Planer das Spiel, das in Wahrheit ein Experiment in Echtzeit ist. Auch wenn den Staatsdirigenten nach dem Prinzip "Trial and Error" manchmal Fehler unterlaufen – nie hieß es bisher: Game over. Chinas Bruttoinlandsprodukt (BIP) wächst seit Jahren zuverlässig um acht Prozent plus x.
Die Finanzkrise, die der Westen bis heute nicht verdaut hat, überstand China fast ohne Blessuren: Peking schaltete auf eine liquiditätsgetriebene Wachstumspolitik um und kompensierte Exporteinbrüche mit Staatskonsum.
Kann das auf Dauer gut gehen? Darüber rätseln westliche Ökonomen. Für Pekings Planer stellt sich die Frage anders: Wie viel Wachstum verträgt das Land, ohne dass der soziale Frieden in Gefahr gerät?
Momentan sieht es so aus, als habe das sturmerprobte Wachstumsmodell seine Grenzen erreicht. China ist längst kein Billigheimer-Land mehr, das nur Ramsch für den Westen produziert. Die Löhne steigen jedes Jahr um ein Fünftel – zusätzliches Geld, das auch ausgegeben werden will.
Immobilienmarkt ist heiß gelaufen
Da Chinas Produktionsstruktur nach wie vor auf Export ausgerichtet ist, steigen die Importe, was die Handelsbilanz im Februar ins tiefste Defizit seit zehn Jahren riss.
Das Minus ist halb so tragisch, weil Chinas Yuan weiter unter Aufwertungsdruck steht. Es zeigt aber, dass die jüngste Rechnung der Regierung nicht aufgeht: Der schrittweise Abbau der Exportabhängigkeit über den zunehmenden Binnenkonsum auf der Verbraucherseite ist allenfalls langfristig machbar.
Wer als Verbraucher heute Kapital über hat, steckt das lieber in Immobilien – ergänzt durch Kredite, die trotz restriktiver Geldpolitik und Markteingriffen immer noch deutlich unter der Inflationsrate liegen. Längst ist der Immobilienmarkt heiß gelaufen, es ist eine Blase entstanden, deren Platzen die Binnenwirtschaft aus dem Gleichgewicht bringen könnte.
Hinzu kommt, dass es die Regierung aus Angst vor einer Weltfinanzkrise mit ihrem präventiven Konjunkturpaket übertrieben hat: Die sagenhafte Summe von 586 Milliarden Dollar, die Premier Wen gleich nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers in den Geldkreislauf pumpte, floss in viel zu große Infrastrukturprojekte.
Zu viel Geld im Umlauf
Geisterstädte wie New Ordos in der Inneren Mongolei oder die weltweit längste, aber kaum befahrene Autobahnbrücke in der Küstenstadt Qingdao sind Zeugnisse chinesischer Schaffenskraft – aber auch die Ursache für Inflation, weil der Fiskus zu viel Geld unsinnig in Umlauf gebracht hat.
Hohe Inflation ist für Peking ein Horrorszenario, sagt Eberhard Sandschneider, der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Wegen teils zweistellig steigender Lebensmittelpreise komme es jeden Tag in Chinas Provinzen zu lokalen Unruhen.
Die Geldentwertung sei nicht einmal der Hauptgrund: "Peking muss pro Jahr sechs Millionen Absolventen der Hochschulen und noch viel mehr Wanderarbeiter in Lohn und Brot bringen", so Sandschneider. "Das wird von Jahr zu Jahr schwieriger."
Einerseits braucht das Land Wachstum für mehr Beschäftigung – andererseits aber auch höhere Gehälter, damit der Binnenkonsum anspringt. Wenn die Löhne ausufern, würgt das allerdings die Beschäftigung ab. Ein klassischer Zielkonflikt.
Wachstumsmodell funktioniert nicht ewig
Premier Wen bremst nun die Erwartungen. Chinas Steuermann, der dieses Jahr von Bord gehen wird, schätzt das BIP-Wachstum für 2012 auf magere 7,5 Prozent. Zugleich mahnt die Weltbank in der Studie "China 2030", Peking müsse mehr Privatwirtschaft zulassen, innovativer werden und sich den Finanzmärkten öffnen.
An jener Strategiestudie haben übrigens Wens Berater mitgeschrieben. Offensichtlich hat Peking selbst erkannt, dass das Wachstumsmodell nicht ewig funktioniert. Schon vor vier Jahren schimpfte Wen, Chinas Wachstum sei "ungleichmäßig, unkoordiniert, schlecht ausbalanciert und nicht nachhaltig".
Dennoch überstand China die Krise und wuchs weiter um acht Prozent. Womöglich sind die Chinesen bloß begnadete Zocker, was Wirtschaftspolitik betrifft.