Die USA, Russland und mehrere andere Staaten haben am Samstag in Lausanne über eine neue Waffenruhe für Syrien beraten. US-Außenminister John Kerry und sein russischer Kollege Sergej Lawrow kamen zunächst zu einem Vier-Augen-Gespräch zusammen, bevor sie sich mit den Spitzendiplomaten aus Saudi-Arabien, dem Iran, der Türkei, Katar, Ägypten und Jordanien an einen Tisch setzten.
Es ist der jüngste in einer ganzen Reihe diplomatischer Versuche, das Blutvergießen in der umkämpften Stadt Aleppo und anderswo im Bürgerkriegsland zu beenden, und der notleidenden Bevölkerung Hilfe zukommen zu lassen. Die letzte Waffenruhe scheiterte im September nach Luftangriffen auf eine Gruppe syrischer Soldaten und auf einen Hilfskonvoi. Russland und die USA machten sich gegenseitig für das Scheitern verantwortlich.
Einer der Knackpunkte damals wie heute ist die extremistische Dschabhat Fatah al-Scham, die frühere Nusra-Front.
Sie war von vornherein von der Waffenruhe ausgenommen, und Russland und die USA planten sogar ein gemeinsames militärisches Vorgehen gegen die Gruppe sowie gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. Allerdings kämpft Dschabhat Fatah al-Scham in Aleppo und anderswo an der Seite gemäßigter Rebellen, die von den USA unterstützt werden.
Die Akteure im Syrien-Konflikt
Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte aber infolge der russischen Luftunterstützung seit September 2015 wieder Landgewinne verzeichnen. Machthaber Assad lehnt einen Rücktritt ab.
Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten riesige Gebiete, die allerdings meist nur spärlich besiedelt sind. Durch alliierte Luftschläge und kurdische Milizen mussten die Islamisten im Norden Syriens mehrere Niederlagen einstecken. Unter der Herrschaft der Miliz, die auch im Irak große Gebiete kontrolliert, verbleibt die inoffizielle Hauptstadt Raqqa, die bedeutende Versorgungsstrecke entlang des Euphrat und ein kleiner Grenzübergang zur Türkei. Offiziell lehnen alle lokalen und internationalen Akteure den IS ab.
Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten.
Die zu Beginn des Kriegs bedeutende Freie Syrische Armee (FSA) hat stark an Einfluss verloren. Sie kämpft vor allem gegen Diktator Assad.
In der „Islamischen Front“ haben sich islamistische Rebellengruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist der Sturz Assads und die Errichtung eines „Islamischen Staates“ – die gleichnamige Terrormiliz lehnen sie jedoch ab. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und sind ideologisch mit al-Qaida zu vergleichen. Militärisch untersteht ihr auch die „Dschaisch al-Fatah“, die von der Türkei unterstützt wird. Teilweise kooperieren sie mit der al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.
Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationalkoalition in Istanbul. Diese wird von zahlreichen Staaten als legitim anerkannt, von vielen lokalen Akteuren wie al-Nusra oder der kurdischen PYD jedoch abgelehnt.
In Damaskus sitzen zudem Oppositionsparteien, die vom Regime geduldet werden. Bei einer Konferenz in Riad einigten sich verschiedenen Gruppen auf die Bildung eines Hohen Komitees für Verhandlungen, dem aber einige prominente Vertreter der Opposition nicht angehören.
Kurdische Streitkräfte kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei: Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS.
Dabei kämpfen sie teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime. Führende Kraft sind die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der Kurden-Partei PYD, inoffizieller Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Diese streben einen eigenen kurdischen Staat an – die Türkei lehnt das vehement ab.
Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien, ein Flugzeug zur Luftbetankung sowie die Fregatte „Augsburg“, die im Persischen Golf einen Flugzeugträger schützt. Washington unterstützt moderate Regimegegner.
Die Türkei setzt sich für den Sturz Assads ein und unterstützt seit langem Rebellengruppen wie die islamistische Dschaisch al-Fatah. Neben der Sicherung ihrer 900 Kilometer langen Grenze ist die Türkei seit August 2016 auch mit Bodentruppen in Syrien vertreten. Ziel ist neben der Vergeltung für Terroranschläge des IS auch, ein geeintes Kurdengebiet im Norden Syriens zu verhindern.
Der Abschuss eines russischen Flugzeugs über türkischem Luftraum im November 2015 führte zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei.
Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Moskau ist einer der wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes: Rebellenorganisationen werden pauschal als „Terroristen“ bezeichnet und aus der Luft bekämpft. Der Kampf gegen islamistische Rebellen soll auch ein Zeichen an Separatisten im eigenen Land senden.
Geostrategisch möchte Russland seinen Zugriff auf den Mittelmeerhafen Tartus nicht verlieren.
Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes, auch aus konfessionellen Gründen. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Die von Teheran finanzierte Schiitenmiliz Hisbollah ist ebenfalls in Syrien im Einsatz. Sie fürchten die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Falle eines Sieges sunnitischer Rebellen, aber auch den Verlust von regionalem Einfluss.
Riad ist ein wichtiger Unterstützer vornehmlich islamistischer Rebellen. Sie fordern, dass Assad abtritt. Saudi-Arabien geht es auch darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten.
Trotz religiöser Ähnlichkeiten zwischen IS und dem saudischen Wahabismus engagiert sich Saudi-Arabien im Kampf gegen den IS.
Vor Beginn der Gespräche in Lausanne sagte der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin, es sei entscheidend, dass die Extremistengruppe isoliert werde. Die USA, aber auch die Türkei und Saudi-Arabien als wichtige Unterstützer von Rebellengruppen in Syrien müssten dafür ihren Einfluss spielen lassen.
Die USA wiederum fordern von Russland eine Einstellung der Luftangriffe auf die Rebellengebiete von Aleppo, in denen sich neben Zivilpersonen sowohl gemäßigte Kämpfer als auch jene von Dschabhat Fatah al-Scham aufhalten. Die USA und andere Staaten forderten Untersuchungen dazu, ob Moskau mit seinen Luftangriffen dort, die auch am Samstag weitergingen, möglicherweise Kriegsverbrechen begangen hat. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisierte am Samstag das Bombardement von Krankenhäusern und anderen zivilen Zielen in Aleppo als unmenschlich. Das komme Kriegsverbrechen sehr nahe, sagte sie.
Parallel zur Syrien-Diplomatie in Lausanne gingen die Kämpfe in Syrien weiter. Mit türkischer Luftunterstützung versuchten Rebellen am Samstag, die Stadt Dabik vom IS zu erobern. Die Aufständischen hätten bereits drei umliegende Dörfer eingenommen und alle Zugangswege nach Dabik gekappt, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. „Wir haben Dscharablus eingenommen, dann Al-Rai und wo gehen wir jetzt hin? Nach Dabik“, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. „Wir werden eine terrorfreie Sicherheitszone von 5000 Quadratkilometern ausrufen.“
Die Türkei war im August mit Bodentruppen und Panzern in Syrien einmarschiert, um den IS, aber auch kurdische Milizen in Nord-Syrien zurückzudrängen. Einige der fast drei Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei könnten in diese Pufferzone zurückkehren, sagte Erdogan. „Sie können in ihr eigenes Land gehen, wir können sie dort in Sicherheit leben lassen.“