Auch nach zwei Jahren dreht sich bei der Präsidentenwahl im Iran wieder alles um den Atomdeal mit den Weltmächten. Dabei geht es für die Wähler nicht um das Wiener Abkommen von 2015 selbst, sondern um die von Präsident Hassan Ruhani betriebene vorsichtige Öffnung des Landes zum Westen.
„Die Wahl ist daher auch eine Art Referendum für oder gegen diese Öffnung“, sagt ein Politologe in Teheran. Eine Niederlage des 68-jährigen Ruhani gegen den erzkonservativen Spitzenkandidaten Ebrahim Raeissi (56) könnte diesen Öffnungskurs - und auch den Atomdeal selbst - blockieren. „Es geht hier nicht um Ruhani selbst, aber nur er kann es schaffen, das zu verhindern“, sagt der Filmemacher Mohsen Amir-Jussefi.
Der erzkonservative Klerus und sein Spitzenkandidat - auch die „Besorgten“ genannt - kritisieren den Atomdeal. Der habe - trotz der Aufhebung der Sanktionen - dem Land wirtschaftlich nichts gebracht. Schlimmer für die „Besorgten“ ist aber die Nähe zum Westen nach dem Deal sowie die Abweichung von islamischen Werten.
Das politische Umfeld im Iran - eine schwierige Gemengelage
Die beiden Staaten prägt eine innige Feindschaft und Rivalität. Der Iran versteht sich als Schutzmacht der Schiiten, Saudi-Arabien als die der Sunniten. Die beiden Ölproduzenten unterstützen in allen großen Konflikten in der Region jeweils miteinander verfeindete Gruppierungen. Die Beziehungen zwischen den beiden Regionalmächten sind seit der Hinrichtung eines prominenten schiitischen Predigers und Regimekritikers in Saudi-Arabien Anfang 2016 auf einem Tiefpunkt.
Im Bürgerkrieg in Syrien steht der Iran an der Seite von Präsident Baschar al-Assad, der in Russland seinen wichtigsten Verbündeten hat. Die Führung in Teheran unterstützt die libanesische Hisbollah-Miliz, die mit Assads Truppen gegen die Rebellen kämpft. Gemeinsam mit Russland und der Türkei hat der Iran Friedensgespräche in der kasachischen Hauptstadt Astana ins Leben gerufen. Die drei Länder einigten sich auf die Errichtung von Sicherheitszonen für Zivilisten in Syrien.
Der Iran unterstützt die Schiiten, die in Syrien eine kleine Minderheit stellen. Assad gehört den Alawiten an, die zum schiitischen Islam zählen. Die anderen Golf-Staaten, allen voran Saudi-Arabien, helfen sunnitschen Rebellen finanziell und mit Waffen.
Im Jemen führen der Iran und Saudi-Arabien einen Stellvertreterkrieg. Der Iran leistet den schiitischen Huthi-Rebellen Beistand, die die Regierung des Präsidenten Abd-Rabbu Mansur Hadi gestürzt haben und ihr Korruption vorwerfen. Saudi-Arabien wirft dem Iran vor, den Huthi militärisch zu helfen, was die Regierung in Teheran bestreitet. Saudi-Arabien, das an den Jemen grenzt, bekämpft die Huthi-Rebellen unter anderem durch den Einsatz der Luftwaffe und will der international anerkannten Regierung Hadis wieder zur Macht verhelfen.
Der Iran erkennt Israel nicht als legitimen Staat an. Präsident Hassan Ruhani schlägt gemäßigtere Töne an als sein Vorgänger Ahmud Ahmadinedschad, der Israel immer wieder massiv bedroht hat. Doch auch Ruhanis Regierung und Ajatollah Ali Chamenei, der letztlich das Sagen im Iran hat, haben Israel mit Vernichtung gedroht. Ruhani hat erklärt, sein Land stehe an der Seite der Palästinenser.
Die USA und den Iran verbindet eine turbulente Geschichte. Jahrzehntelang unterstützten die USA Schah Reza Pahlavi, der 1941 an die Macht kam und für Folter und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht wurde. 1979 wurde der Schah im Zuge der Islamischen Revolution gestürzt und floh in die USA. Im November 1979 besetzten Studenten die US-Botschaft in Teheran, um die Auslieferung des Schahs zu erzwingen. Im April 1980 scheiterte ein Versuch des US-Militärs die 52 Geiseln zu befreien. Sie durften Anfang 1981 gehen, die USA gaben im Gegenzug iranisches Vermögen frei.
Massenkundgebungen gegen die USA sind im Iran keine Seltenheit. Seit Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump hat sich das Verhältnis der beiden Staaten verschlechtert, auch weil Trump eine Aufkündigung des Atomabkommens angekündigt hat. Er hat die Regierung in Teheran nach eigenen Worten nach einem iranischen Raketentest "verwarnt". Ajatollah Ali Chamenei nennt die USA ein Symbol der Verlogenheit.
Ruhani warb bei der Bevölkerung für das Atomabkommen mit dem Versprechen, die Wirtschaft werde nach Ende der Sanktionen einen Aufschwung erleben. Nach der jahrzehntelangen Isolierung stehen Investitionen in Infrastruktur und Ölindustrie an. Zahlreiche internationale Konzerne witterten gute Geschäfte. Bislang haben sich ihre Hoffnungen aber noch nicht erfüllt. Zu viele Rahmenbedingungen wie rechtliche Vorgaben sind noch unklar. Die größte Hürde für die Unternehmen ist die Weigerung vieler Banken, Geschäfte mit dem Iran zu finanzieren. So konnte beispielsweise die Fluggesellschaft IranAir bislang nur drei Airbus-Flugzeuge von insgesamt 100 bestellten übernehmen, weil sie bar bezahlt wurden.
Insgesamt wächst die Wirtschaft des Iran wieder. 2016 laut Daten des Internationalen Währungsfonds (IWF) um 6,5 Prozent, deutlich mehr als der IWF zuvor prognostiziert hatte. Vor dem Atomabkommen traute der IWF dem Iran nur ein Plus von 1,3 Prozent zu. Viele Iraner sind mit der Entwicklung aber unzufrieden. Offiziellen Angaben zufolge liegt die Arbeitslosigkeit bei zwölf Prozent. Unabhängige Analysten gehen sogar von 20 Prozent aus.
Die Wirtschaft des Iran wächst vor allem dank der Ölexporte. Nachdem die Sanktionen gegen das Land im Zuge des Atomabkommens weitgehend aufgehoben wurden, will der Iran Marktanteile zurückgewinnen. Bei der Ende letzten Jahres beschlossenen Förderkappung von Opec- und Nicht-Opec-Ländern zum Stopp des Ölpreisverfalls setzte Opec-Mitglied Iran deshalb eine Ausnahmeregelung durch und durfte seine Förderung leicht erhöhen. Insidern zufolge konnte der Iran mit dem Verkauf seiner Öllagerbestände sogar Kapital aus der Förderbremse schlagen. Derzeit wird eine Verlängerung diskutiert. Der Iran ist bereit, daran teilzunehmen, sofern bei den Opec- und Nicht-Opec-Staaten Konsens herrscht.
„Die Besorgten wollen das Abkommen sabotieren“, warnt Ruhani. Der Deal habe die politischen und wirtschaftlichen Türen zum Westen geöffnet. Seine politischen Gegner wollen die wieder schließen. Daher müssen die mehr als 56 Millionen Wähler am 19. Mai nach den Worten von Ruhani entscheiden, welchen Weg sie für sich und ihre Kinder gehen wollen: Öffnung oder erneute Abschottung.
Einer der vehementesten Kritiker des Atomabkommens, Ex-Präsident Mahmud Ahmadinedschad, ist aber gar nicht mehr im Rennen. Der umstrittene Hardliner und Holocaust-Leugner wurde von dem Wahlbeobachtergremium überraschend ausgeschlossen. Angeblich wollte selbst der Klerus seinetwegen keine weiteren Spannungen mit dem Westen riskieren. „Damit ist Ahmadinedschads Platz ab jetzt nur noch im Museum“, sagt der Kleriker Fasel Mejbodi.
Die Reihen der Kandidaten haben sich in den vergangenen Tagen gelichtet - einigen der zunächst sechs Bewerber wurden eh kaum realistische Chancen eingeräumt. Nun bahnt sich ein spannender Zweikampf zwischen Ruhani und dem erzkonservativen Kleriker Raeissi an. Als Kandidat des Establishments genießt Raeissi, der ehemalige Generalstaatsanwalt Teherans, die volle Unterstützung des Klerus und hat daher durchaus Chancen auf einen Machtwechsel.
Fragen und Antworten zum politischen System im Iran
Die Grundlage basiert auf dem Welajate-Faghih-System (Statthalterschaft des Rechtsgelehrten) in dem der oberste religiöse Führer des Landes de facto Staatsoberhaupt ist und das Sagen hat. Von 1979 bis 1989 agierte Revolutionsführer Großajatollah Chomeini in dieser Funktion. Nach seinem Tod 1989 wurde Ajatollah Ali Chamenei zum neuen obersten Führer und geistlichen Oberhaupt ernannt.
Der Präsident, das Parlament und der Expertenrat werden demokratisch gewählt. Der Präsident ist politisch verantwortlich für Innen-, Außen- und Wirtschaftspolitik. Zwar ist der oberste Führer Staatsoberhaupt und steht über dem Präsidenten, mischt sich aber nicht direkt in die Arbeit von Regierung, Justiz oder Parlament ein. Bei strategischen Belangen - wie etwa der Billigung des Atomabkommens mit den Weltmächten 2015 - hat der Führer allerdings das letzte Wort. Der Präsident kann in solchen Fällen nicht alleine entscheiden.
Der Expertenrat ist ein Gremium von 88 Klerikern, das den Führer ernennt und dessen Arbeit kontrolliert. Da die Mitglieder des Expertenrats demokratisch gewählt werden, ist nach der Verfassung auch die Ernennung des Führers Teil eines demokratischen Prozesses. Der Wächterrat ist ein konstitutionelles Kontrollgremium mit zwölf Mitgliedern. Sechs davon sind vom Führer ernannte Kleriker, sechs vom Parlament gewählte Juristen. Jedes Gesetz muss von diesem Rat bestätigt werden. Außerdem entscheidet der Rat über die ideologische Qualifikation der Kandidaten für die Wahlen von Präsident, Parlament und Expertenrat.
Im Iran gibt es zwar Parteien, die aber mehr als politische Fraktionen und Gruppierungen agieren. Daher werden sie auch in den Medien „Dschenah“ (Flügel) genannt. Besonders hochrangige Politiker behaupten immer, dass sie überparteilich sind. Es gibt zahlreiche Fraktionen, die aber in drei Gruppen aufgeteilt werden können: die Konservativen, die Fundamentalisten - darunter auch Hardliner - und die Reformer.
Die Konservativen und die Fundamentalisten halten sich beide an die Werte der Revolution. Nur ist ein Teil der Konservativen auch offen für kontrollierte Beziehungen mit dem Westen und begrenzte innenpolitische Reformen. Die Fundamentalisten stehen den Hardlinern näher. Die sehen im Westen den imperialistischen Feind und wollen eine rein islamische Gesellschaft fern von allem Westlichen. Die Reformer wollen außen- und wirtschaftspolitisch gute Beziehungen mit dem Westen. Auch innen- und kulturpolitisch sowie gesellschaftlich fordern sie mehr Freiheiten.
Allerdings hat Raeissi keine politische Erfahrung und ist nach Ansicht von Vize-Präsident Eshagh Dschahangiri ein „Polit-Praktikant“. Sein Chef Ruhani warnt außerdem vor der stockkonservativen Politik Raeissis. „Um Frauen und Männer voneinander zu trennen, planen die (Erzkonservativen) sogar, Mauern auf den Straßen zu bauen“, behauptet der Präsident.
Nach Ansicht von Raeissi hat Ruhani mit dem Atomdeal besonders seine wirtschaftlichen Ziele verfehlt. „Der Deal ist wie ein Scheck, den Ruhani aber nicht einlösen kann“, sagt der 56-Jährige. In der Tat blieb die von Ruhani nach dem Deal versprochene wirtschaftliche Wende im Iran aus. Hauptgrund ist die Weigerung europäischer Banken, die neuen Geschäfte mit dem Westen zu finanzieren, da immer noch einige US-Sanktionen gegen den Iran in Kraft sind.
Das Bankenproblem ist für Raeissi ein Druckmittel gegen Ruhani. Seine Alternative ist die sogenannte „Widerstandsökonomie“, eine vom Westen weitgehend unabhängige Wirtschaftspolitik. Nicht machbar, sagen Wirtschaftsexperten. Die marode Infrastruktur sei nur mit westlicher Technologie zu modernisieren. „Die Herrschaften können ja selbst keine Flugzeuge oder Schiffe bauen“, meint ein Experte mit Blick auf die Kleriker.
Dennoch bleibt das Bankenproblem für Ruhani ein Dilemma. Nach den Worten seines Ölministers Bidschan Namdar Sanganeh wäre der Iran ja bereit, seine Milliarden aus dem Ölexport in Geschäfte mit dem Westen zu stecken. Nur spielen die Banken da nicht mit. „Mehr als seine Gegner könnten die europäischen Banken Ruhani die Wiederwahl verderben“, sagt der Politologe in Teheran.