Wahl in Afrikas größtem Flächenstaat Seine Clique bestimmt das Schicksal Algeriens

Die Wirtschaft ächzt unter dem niedrigen Ölpreis, das Volk misstraut seiner Führung und dem Staat fehlt das Geld für Subventionen. Schlechte Vorzeichen für eine Wahl. Dabei betrifft das Schicksal Algeriens auch Europa.

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Der Clan um Bouteflika wird auch nach der Wahl das Land regieren. Quelle: AP

Madrid Stell dir vor es sind Wahlen und keiner geht hin: In Algerien ist diese Vorstellung für die Parlamentswahl, die am heutigen Donnerstag stattfindet, durchaus real. Bis zum Abend sind mehr als 23 Millionen Algerier aufgerufen, ihre Stimmen für die insgesamt 462 Abgeordneten des neuen Unterhauses abzugeben. Doch vor fünf Jahren wählten nach offiziellen Angaben gerade einmal 43 Prozent der Algerier. Dieses Mal dürfte es nicht wesentlich anders werden. Auf Youtube machen Jugendliche ihrem Ärger Luft und rufen ebenso wie einige Oppositionsparteien zum Boykott dieser Wahl auf – als Protest dagegen, dass das Parlament ohnehin nichts für sie tut.

Andere meinen, das Ergebnis stehe ohnehin schon fest, weil die Stimmen so lange manipuliert werden, bis wieder eine Regierung aus Nationaler Befreiungsfront (FLN) und der Nationalen Sammlungsbewegung für Demokratie (RND) zustande kommt. Tatsächlich rechnet kaum jemand mit einem anderen Ergebnis. Die FLN, Partei des langjährigen Präsidenten Abd al-Aziz Bouteflika, regiert seit mehr als 50 Jahren.

Immer wieder ist auf den Straßen von Algier die Rede von „le pouvoir“, der Macht. Sie liege nicht in den Händen des Parlaments, heißt es, und auch nicht in denen von Präsident Abd al-Aziz Bouteflika, sondern bei einer Clique aus seinem Bruder, Militärs, Clans und Partei-Mitgliedern rund um Bouteflika. Der 80-Jährige ist nach mehreren Schlaganfällen schwer angeschlagen, sitzt im Rollstuhl und kann fast nicht mehr sprechen. Er scheint kaum in der Lage, die Geschäfte zu führen. Als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ihn Ende Februar besuchen wollte, sagte er die Reise in letzter Minute wegen einer Bronchitis ab.

Die Kanzlerin wollte in Algier für eine engere Kooperation beim Thema Flüchtlinge werben. Algerien grenzt im Süden an die Transitländer Mali und Niger und im Osten an das Bürgerkriegsland Libyen, von wo aus die meisten Flüchtlinge Richtung Europa starten. Aus Algerien selbst sind 2015 rund 2000 Emigranten nach Deutschland gekommen.

Das Land, flächenmäßig das größte Afrikas, prosperierte einst aufgrund seiner enormen Öl- und Gasvorkommen. Fast die Hälfte seiner Wirtschaftsleistung erzielte Algerien mit Öl und Gas. Einen Teil der Erlöse verwendete der Staat in der Zeit des arabischen Frühlings dafür, die rebellierende Bevölkerung mit Wohltaten wie Wohnungsgutscheinen oder Lebensmittelsubventionen zu beruhigen. Mit Erfolg: Die Revolution blieb damals in Algerien weitgehend aus.

Doch der drastische Fall des Ölpreises setzt der Wirtschaft zu. Für soziale Wohltaten ist seit dem Verfall des Ölpreises kein Geld mehr da. Die Preise für einige Grundnahrungsmittel wie Milch und Brot sowie für Medikamente steigen. Und damit die Unzufriedenheit. Die Politik halten die meisten für unfähig, die Probleme des Landes zu lösen.


Boykottaufrufe sind verboten

Tatsächlich ist es Algerien bisher nicht gelungen, seine Wirtschaft umzubauen und weniger abhängig vom Öl- und Gasgeschäft zu werden. Der Internationale Währungsfonds lobt zwar, dass entsprechende Maßnahmen angegangen würden. Er warnt aber, das Land stehe „vor wichtigen Herausforderungen“.

Zwar lag das Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr bei rund 3,4 Prozent, die Inflationsrate kletterte im Januar dieses Jahres aber auf 8,1 Prozent und die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 26 Prozent. Zwar hat der Staat die Wirtschaft liberalisiert und versucht, private Investoren anzulocken. „Doch die Wirtschaftsreformen sind nur punktuell und hatten das Ziel, die Unterstützer des Regimes zu bereichern und die Beziehungen zwischen wichtigen Wirtschaftsführern und ihren politischen Verbündeten zu stärken“, schreibt Dalia Ghanem-Yazbeck von der amerikanischen Carnegie Stiftung für internationalen Frieden.

Beobachter fürchten, dass mehr junge Algerier ihr Land verlassen, wenn sich die wirtschaftliche Lage nicht bald bessert. Sie könnten zudem zur leichten Beute für den IS werden, der im benachbarten Libyen sein Unwesen treibt.

Die Lage ist angespannt. Der Regierung ist deshalb sehr daran gelegen, dass die Wahlbeteiligung nicht noch weiter sinkt. Sie will sowohl nach innen als auch im Ausland zeigen, dass das System stabil ist und die Bevölkerung ihr noch vertraut. Doch die Zweifel daran sind so groß, dass der Kommunikationsminister jüngst verfügt hat, die Medien dürften denjenigen, die zum Wahl-Boykott aufrufen, keine Stimme mehr geben.

Reporter ohne Grenzen hat bereits zuvor die fehlende Pressefreiheit kritisiert. „Hinter der Fassade einer vielfältigen Medienlandschaft untergräbt die Regierung mit wirtschaftlichen und bürokratischen Schikanen jeden Versuch einer kritischen Berichterstattung“, heißt es bei der Organisation. Sie kämpft derzeit für die Freilassung des inhaftierten Journalisten und Menschenrechtlers Hassan Bouras. Er sitzt wegen Beleidigung staatlicher Institutionen im Gefängnis, nachdem er drei Video-Interviews veröffentlicht hatte, in denen es um Korruptionsvorwürfe gegen Polizei und Justiz ging.

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