Wahlen Algerische Desillusion

Überschattet von Boykottaufrufen der Opposition hat in Algerien die Präsidentenwahl begonnen. Präsident Bouteflika ist der klare Favorit. Aber die Unzufriedenheit mit dem erstarrten System wächst.

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Abdelaziz Bouteflika gilt als Favorit für die Wahl in Algerien. Quelle: dpa

Algier Es ist Wahltag in Algerien. Aber er findet ohne eine Gruppe der Studenten statt, die sich am Vorabend der Abstimmung über den nächsten Präsidenten zum Fußballspielen auf einer Promenade am Meer in Algier getroffen haben. Die jungen Leute wollen Wohnungen und Jobs, wenn sie mit ihrem Studium fertig sind, und sie haben kein Vertrauen zu einem politischen System, das von einem gebrechlichen alternden Mann geleitet wird - derart gesundheitlich angeschlagen, dass er sich auf keiner einzigen Wahlkampfveranstaltung sehen ließ.

Die Haltung der Studenten spiegelt die vieler junger Menschen im Land bei dieser Präsidentenwahl wider, die der 77-jährige Amtsinhaber Abdelaziz Bouteflika schon vor Öffnung der Wahllokale in der Tasche zu haben schien. Mit der Staatsmaschinerie, dem mächtigen Militär und Geheimdienst im Rücken galt er als klarer Favorit, trotz seiner augenfälligen Abwesenheit im Wahlkampf. Aber unter den jüngeren Algeriern hat sich zunehmend Desillusion breitgemacht, Unzufriedenheit mit einem erstarrten politischen System, das wenig dafür tut, ihre Generation miteinzubeziehen.

Und das ist ein großer Teil der Bevölkerung. 80 Prozent der etwa 37 Millionen Einwohner des Landes sind jünger als 45 Jahre. Wie viele von ihnen ihren Protest in Form eines Wahlverzichts äußern, ist einer der spannenderen Apsekte dieser Wahl. „Wenn wir unser Studium abgeschlossen haben, gibt es nur Arbeitslosigkeit, man braucht Verbindungen, um einen Job zu kriegen“, sagt Redouane Baba Abdi, der vor dem Fußballspiel auf einer Bank an der Promenade sitzt. „Die meisten Leute wollen keine vierte Amtsperiode für Bouteflika, er ist so etwas wie ein lebender Toter.“

Bouteflika hat seit einem Schlaganfall im vergangenen Jahr erhebliche Probleme beim Sprechen und Gehen. Im dreiwöchigen Wahlkampf ließ er sich auf Kundgebungen von seinen Ministern und anderen engen Gefolgsleuten vertreten. Fernsehauftritte waren sorgfältig choreographiert. 2008 hatte Bouteflika die Verfassung geändert, um Präsident bleiben zu können. Aber eine vierte Amtszeit geht denn doch so manchen zu weit, auch in einem Land, das von den prodemokratischen Aufständen des Arabischen Frühlings kaum berührt worden ist.

So musste eine Reihe von Kundgebungen für Bouteflika abgebrochen werden, nachdem sie durch Demonstrationen gestört worden waren. Das hat Befürchtungen ausgelöst, dass ein weiterer Wahlsieg größere Unruhen auslösen könnte. Seit sich Algerien 1989 einem pluralistischen System zuwandte, ist das Land von jener Generation geführt worden, die im Krieg von 1958 bis 1962 für die Unabhängigkeit von Frankreich kämpfte und siegte. Und diese zeigt wenig Interesse daran, die Macht mit anderen zu teilen.


„Wir leben in einer rückwärts orientierten Welt“

„Wir leben in einer rückwärts orientierten Welt, die Älteren sagen den Jüngeren, dass sie den Weg freimachen sollen“, sagt Analyst Abderrahman Hadsch-Nacer. Aber er verweist auch darauf, dass viele Leute im Land durch die Vergabe von Wohnungen und Jobs verwöhnt sind. Tatsächlich kommt der Staat für die Ausbildung und die Unterkünfte auch jener fußballspielenden Studenten auf, die von Bouteflika nichts wissen wollen.

Stabilität und staatliche Großzügigkeit waren die Hauptthemen der Bouteflika-Wahlkämpfer. Sie warnten, dass es mit Wohltaten wie kostenlosem Wohnen vorbei sein und ein neuer Bürgerkrieg ausbrechen könnte, wenn der Präsident nicht im Amt bestätigt werde. „Er brachte uns von der Dunkelheit ins Licht, das ist das Bouteflika-Wunder“, rief etwa Regierungschef Abdelmalek Sellal auf einer Abschlusskundgebung am vergangenen Sonntag in Algier der Menge zu.

Bouteflikas Herrschaft war über lange Strecken von Wirtschaftswachstum gekennzeichnet, dank hoher Ölpreise und einer Rückkehr zur Stabilität nach den Kämpfen gegen Islamisten in den 1990er Jahren. Aber das Land befindet sich in einer heiklen Phase. Die Ölreserven schwinden zusehends, und die Preise sinken. Internationale Finanzinstitute warnen angesichts dieser Entwicklungen, dass die algerische Wirtschaft zu abhängig vom Öl sei.

Die Öl- und Gasproduktion machen ungefähr 95 Prozent der Exporteinkünfte und 63 Prozent der Staatseinnahmen aus. Aber sie bietet nur zwei Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung Jobs. Und weil die Reserven dünner werden, erwarten Experten, dass die algerische Handelsbilanz ins Minus rutschen wird. Im Februar stellte der Internationale Währungsfonds (IWF) fest, dass „weitreichende Strukturreformen“ nötig seien, um die Arbeitslosigkeit zu verringern und die Wirtschaft wachsen zu lassen. Zwar haben massive Staatsausgaben die Arbeitslosenrate insgesamt auf unter zehn Prozent gedrückt, sie liegt in der Gruppe der jüngeren Leute immer noch bei 25 Prozent.

Ali Benflis glaubt, dass er der Mann ist, der das in Ordnung bringen kann. Der frühere Regierungschef ging als Hauptherausforderer unter Bouteflikas fünf Gegenkandidaten in den Wahltag. „Ich biete eine Alternative, ein neues Projekt, und ich möchte die Jugend in den Mittelpunkt der Entscheidungen stellen“, sagte er der Nachrichtenagentur AP am Vorabend der Wahl.

Die wachsende Opposition äußert sich auch in einer Basisbewegung mit dem Namen Barakat - „Genug“. Sie hat quer durchs Land kleinere Protestaktionen gegen Korruption im System organisiert. Es könnte sich zu etwas Größerem auswachsen. Chafik Mesbah, ein früherer Geheimdienstler und Analyst, glaubt, dass die verbreiteten kleineren Demonstrationen - der Polizei zufolge 10 000 im Jahr 2013 - langsam wachsen werden, wenn sich die soziale und wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert. Dann, so sagt er voraus, könnte es zu einer nationalen Protestbewegung kommen - und die Wahl am Donnerstag im Nachhinein der möglichen Wendepunkt sein.

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