Wahlen in Island Die Revolution fällt aus

Island hat nach dem größten Politskandal seiner Geschichte neu gewählt. Doch statt des erwarteten Erdrutschsiegs für die Piraten gibt es ein Patt. Das liegt vor allem an einem: dem Wirtschaftsaufschwung.

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Die Piraten können sich über ihren Erfolg freuen, für ein Regierungsbündnis fehlt jedoch wohl die Mehrheit. Quelle: dpa

Stockhom Die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Und doch versuchte Birgitta Jónsdóttir gute Miene zum bösen Spiel zu machen. „Dass uns so viele Isländer gewählt haben, ist einfach großartig“, erklärte die Chefin der isländischen Piraten am Sonntagmorgen. Vorausgegangen war eine Nacht gemischter Gefühle. Sah es zunächst so aus, als ob die kleine, erst vor vier Jahren gegründete Partei die Regierungsmacht zusammen mit drei weiteren Koalitionspartnern übernehmen könnte, zeichnete sich bald ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem bürgerlichen Bündnis ab.

Die Piraten legten bei den vorgezogenen Parlamentswahlen auf der Vulkaninsel im Nordatlantik zwar kräftig zu und wurden drittstärkste politische Kraft. Doch ob es für die Regierungsbildung reicht, ist alles andere als sicher. Fest steht nur, dass die bisherige konservative Regierungskoalition aus Unabhängigkeitspartei und Fortschrittspartei ihre Mehrheit verloren hat. Vor allem die rechtsliberale Fortschrittspartei wurde von den Wählern gnadenlos abgestraft. Die Partei des im Frühjahr zurückgetretenen Regierungschefs Sigmundur David Gunnlaugsson verlor fast 13 Prozent der Stimmen und ist nur noch vierte Kraft. Die Unabhängigkeitspartei hingegen legte überraschend zu und ist nun mit knapp 30 Prozent der Stimmen größte Partei im Inselstaat mit seinen 330.000 Einwohnern.

Es dürften nun schwierige Regierungsbildungsverhandlungen bevorstehen. Denn weder das von der Piratenpartei bevorzugte Bündnis mit der links-grünen Partei, den Sozialdemokraten und der Partei Glänzende Zukunft, noch die bisherige Koalition kommen auf eine eigene Mehrheit. Zum Königsmacher dürfte die neugegründete Reformpartei werden. Sie kam aus dem Stand auf 10,5 Prozent der Stimmen und ist damit der eigentliche Wahlsieger. Die EU-freundliche Reformpartei wurde von unzufriedenen Mitgliedern der Unabhängigkeitspartei gegründet. Welches Bündnis die Reformpartei letztendlich unterstützt, ist noch völlig unklar. Sicher ist nur, dass die Partei, die für einen EU-Beitritt Islands wirbt, ihre Unterstützung teuer verkaufen wird.

Das Ergebnis der Parlamentswahlen hat auch Wahlforscher überrascht. Denn bis vor wenigen Tagen galten die Piraten als der große Favoriten. Ihnen wurden bis zu 30 Prozent der Stimmen zugetraut. „Dass viele junge Menschen nicht gewählt haben, hat der Partei geschadet“, glaubt Eva Heida Önnudóttir, Politologin an der Universität von Reykjavik. Außerdem habe Piratenchefin Jónsdóttir bei den letzten TV-Debatten keine sonderlich gute Figur gemacht.

Die vorgezogenen Wahlen waren notwendig geworden nachdem im Frühjahr durch die sogennnten Panama Papers herauskam, dass drei Minister, darunter auch Regierungschef Sigmundur David Gunnlaugsson, Gelder in einer Briefkastenfirma auf den Britischen Jungferninseln vor dem isländischen Fiskus versteckt hatten. Der Zorn der Isländer kannte keine Grenzen mehr. Zu Tausenden zogen die empörten Bürger vor das Parlament, bewarfen es mit Eiern und Bananen und forderten einen radikalen Politikwechsel. Nach einigem Hin- und Her trat Gunnlaugsson zurück und machte damit den Weg frei für die vorgezogenen Neuwahlen.


Selbstvertrauen durch Fußball

Viele Isländer wollten damals einen Neuanfang für ihr kleines Land. Zu lange fühlten sie sich schon von den etablierten Parteien verschaukelt. Jahrzehntelange Vetternwirtschaft, Korruptionsvorwürfe und zuletzt die Enthüllungen in den Panama Papers – für viele Isländer war das Fass übergelaufen. Dass viele Isländer nun doch nicht für den radikalen Schnitt stimmten, liegt an den wirtschaftlichen Erfolgen des kleinen Landes.

Wirtschaftlich hat sich das Land von der schweren Finanzkrise 2008 erholt. Damals mussten die vier größten Banken des Landes verstaatlicht werden, um den totalen Staatsbankrott abzuwehren. Die isländischen Banken hatten in den Jahren vor dem Zusammenbruch einen enormen schuldenfinanzierten Kreuzzug durch Europa eingeleitet und vor allem in Großbritannien und Nordeuropa Banken und Versicherungen aufgekauft. Von dem Zusammenbruch des Bankensystems waren damals auch deutsche Sparer betroffen: Mehr als 30.000 von ihnen hatten ihr Geld bei der Kaupthing Edge angelegt, da die isländische Bank hohe Zinsen versprochen hatte. Nach dem Zusammenbruch mussten die Kleinanleger mehr als ein Jahr auf die Rückzahlung ihrer Gelder warten.

Für die Isländer war der Beinahe-Staatsbankrott noch schmerzhafter: Viele von ihnen verloren ihren Job, konnten Kredite nicht mehr abbezahlen. Die isländische Krone verlor rund 70 Prozent ihres Werts. Um eine Kapitalflucht zu verhindern, wurden strenge Kontrollen eingeführt. Ohne sie wäre die isländische Wirtschaft endgültig zerbrochen. Es waren dramatische Tage, Wochen, Monate, damals im Spätherbst 2008.

Doch schneller als von den meisten Experten erwartet erholte sich die isländische Wirtschaft wieder. Die Arbeitslosigkeit ist auf 2,9 Prozent gefallen, das Wirtschaftswachstum wird in diesem Jahr bei knapp fünf Prozent liegen. Grund für die rasche Erholung ist neben der überaus erfolgreichen Fischereiwirtschaft die boomende Tourismusindustrie. In diesem Jahr werden rund 2,4 Millionen Touristen auf der Vulkaninsel im Nordatlantik erwartet. Das sind fast sieben Mal soviele Menschen wie das Land an Einwohnern zählt. Aus der Hoffnungslosigkeit vor acht Jahren ist Zukunftsglaube geworden. Und der Erfolg der isländischen Fußballnationalmannschaft bei der EM im Sommer hat dem Land auch wieder Selbstvertrauen gegeben.

In dem eher mauen Wahlkampf standen wirtschaftliche Themen nicht mehr im Vordergrund. Vielmehr ging es vor allem um das marode Gesundheitssystem. Die Piraten treten für eine weitreichende Verfassungsreform ein und wollen Bürgerrechte, Datenschutz und Meinungsfreiheit stärken. Bjarni Benediktsson, der Vorsitzende der konservativen Unabhängigkeitspartei und möglicher neuer Regierungschef, hatte den Wählern Investitionen in das Kranken- und Pflegesystem sowie eine weitere Stärkung der Wirtschaft versprochen. Ob das und mit wem umgesetzt werden kann, werden die kommenden Tage und Woche zeigen. In Reykjavik bereitet man sich auf komplizierte Regierungsbildungsverhandlungen vor.

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