Wahlen in Japan Abe bastelt am nächsten Kunststück

Die Märkte lassen Japans Regierungschef Shinzo Abe und seine Abenomics schon vor den Unterhauswahlen am Sonntag hochleben. Denn alles andere als eine haushohe Mehrheit wäre eine Sensation. Doch der Teufel steckt im Detail.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Ein Wahlplakat auf der Insel Hokkaido wirbt für Premierminister Shinzo Abe. Prognosen sagen ihm einen hohen Wahlsieg voraus. Quelle: Reuters

Tokio Für einen kleinen Moment roch es in Japan nach einer politischen Sensation, nach einer Wahlniederlage für Ministerpräsident Shinzo Abe und seine Abenomics genannte Wirtschaftspolitik. Überraschend hatte der Regierungschef im September das Unterhaus aufgelöst und Neuwahlen für den 22. Oktober ausgerufen. Und plötzlich stampfte seine ehemalige Genossin und heutige Erzrivalin, die Tokioter Bürgermeisterin Yuriko Koike, die neue „Partei der Hoffnung“ aus dem Boden.

Anfangs schien ihre konservative Alternative für Japan Abes konservativer Liberaldemokratischen Partei (LDP) tatsächlich massiv Wähler zu rauben. Denn die einst hohe Popularität Abes war durch Gefälligkeiten seiner Beamten für seine politischen Freunde drastisch abgerutscht. Doch inzwischen setzen die Investoren ihr Geld darauf, dass dem Darling der Märkte nach seinem politischen Comeback 2012 ein weiteres politisches Kunststück gelingt: mit fallender Popularität einen haushohen Sieg für seine Koalition aus LDP und der kleinen Neuen Gerechtigkeitspartei zu erringen.

Um fünf Prozent ist der Nikkei-Index gestiegen, seit Abe das Parlament aufgelöst hat, so hoch wie seit mehr als 20 Jahren nicht mehr. Denn die Meinungsumfragen sagen unisono voraus, dass die Koalition aller Wahrscheinlichkeit nach Abes Mindestziel erreichen wird: eine absolute Mehrheit von 233 der 465 Unterhaussitze. Die Wirtschaftszeitung „Nikkei“ rechnet sogar damit, dass die Koalition bis zu 300 Mandate erobern könnte. Das wäre knapp weniger als eine Zweidrittelmehrheit, die die Koalition derzeit genießt.

Doch dahinter steht keineswegs rauschender Beifall für Abe, merkt Tobias Harris, Japan-Experte vom Risikoberater Teneo Intelligence an. „Während des Wahlkampfs sank seine Popularität wieder.“ In der Nikkei-Umfrage sahen nur 37 Prozent der Befragten die Regierung positiv, 48 Prozent jedoch negativ. Doch dank des Wahlsystems könnte es dennoch reichen, weil sich das Oppositionslager gespalten hat, meint Harris. 

289 der 465 Sitze werden in Direktwahlkreisen vergeben, in denen der Kandidat mit den meisten Stimmen siegt. Bislang stand der LDP als Hauptgegner Japans 1996 gegründete einstige Reformhoffnung gegenüber, die linkszentristische Demokratische Partei. Doch die war zwar zuletzt ein leichter Gegner. Denn erstens hatten die Wähler ihr drei chaotische Regierungsjahre zwischen 2009 und 2012 nicht verziehen. Zweitens war sie heillos in einen linksliberalen und einen konservativen Flügel zerstritten. 

Doch immerhin gelang es der Führung in den vergangenen Wahlen, ein breites Wahlbündnis aller Oppositionsparteien zu bilden und so der Koalition Direktmandate abzujagen. Nur spaltete sich die Partei prompt nach der Gründung von Koikes Hoffnungspartei. Der konservative Flügel lief zu Koikes Partei über und nahm einen großen Teil der Parteikasse mit. Der plötzlich heimatlose linke Flügel gründete daraufhin - nicht ganz drei Wochen vor der Wahl - die „konstitutionelle demokratische Partei“.

Damit sind die bisherige Wahlkooperation und die Hoffnung, Abe zu entmachten, kollabiert. Denn nun verteilt sich die Anti-Abe-Stimmung in mehr als 160 Wahlkreisen auf das linke Lager aus den Rest-Demokraten und den sozialdemokratisch wirkenden Kommunisten sowie ein alternatives konservatives Lager aus Koikes Partei und den eher populistischen Regionalbewegungen in Osaka und Nagoya. Damit scheint Abes LDP bereits mehr als 200 Direktmandate sicher zu haben. Eine gute Grundlage für einen haushohen Gesamtsieg. 


Hohe Wetten auf Abes Sieg

Das Chief Investment Office des UBS Wealth Managements gibt Abe daher eine 50-Prozent-Chance, mehr als 261 Sitze zu gewinnen. Dies würde seiner Partei erlauben, in allen Parlamentsausschüssen den Vorsitzenden zu stellen. Die Chance auf eine noch bessere Zweidrittelmehrheit sehen die Anlageberater genauso bei zehn Prozent wie die Chance auf einen Verlust der Mehrheit. 

Das erklärt für die Analysten der UBS auch den jüngsten Spurt an der Börse. Internationale Investoren mögen die Abenomics, weil sie mit Konjunkturprogrammen und Reformen die Priorität auf die Wirtschaft legten und Notenbankchef Haruhiko Kuroda seit 2013 mit einer ultralockeren Geldpolitik geholfen habe, den Yen zu schwächen, so die Anlageberater. 

Die hohen Wetten auf Abes Sieg haben aber auch eine Schattenseite. „Falls die Abenomics enden oder ihre Prioritäten ändern, dürften die Finanzmärkte in Japan negative reagieren“, warnt die UBS. Devisenstratege Toru Sasaki von JP Morgan geht für den Fall einer Wahlniederlage Abes davon aus, dass der Dollar auf von derzeit 113 auf 105 Yen sinken und damit der Nikkei-Index um mehr als zehn Prozent abrutschen könnte. Denn die Anleger sorgen sich, dass in dem Fall die ultralockere Geldpolitik enden könnte.

In den Wahlen selbst spielt eine wirkliche Bestandsaufnahme von Abes Wirtschaftspolitik keine große Rolle. Dabei sind die Ergebnisse durchaus gemischt. Abe gewann im Dezember 2012 die Wahl mit dem Versprechen, mit einer Mischung aus Konjunkturprogrammen, ultralockerer Geldpolitik und Strukturreformen Japan aus der Deflation herauszuholen und auf ein schnelles Wachstum zu bringen. 

Die steigende Inflation von rund zwei Prozent sollte durch noch stärker steigende Gehälter ausgeglichen werden, die Investitionen in Japan stark steigen. Gleichzeitig würde die Regierung versuchen, besonders starre Bereiche wie die hochgeschützte Landwirtschaft, den inflexiblen Arbeitsmarkt zu deregulieren und Japans Firmen aktionärsfreundlicher zu machen. 

Tatsächlich wuchs die Wirtschaft ein wenig und die Aktienkurse stiegen sogar stark. Denn die Firmengewinne explodierten dank des schwächeren Yen. Aber weder die Inflation noch die Gehälter steigen wie gewünscht, obwohl Abe die Konzerne Jahr um Jahr zu saftigen Lohnerhöhungen auffordert. Statt ihre Rekordgewinne in Menschen oder Firmen zu investieren, bunkern Firmen sie lieber auf ihren Bankkonten. Und der Reformeifer hat deutlich an Schwung verloren. 

Zudem sehen Analysten wirtschaftspolitisch nur geringe Unterschiede zwischen Koikes Partei der Hoffnung und dem oft als keynesianisch titulierten Kurs der LDP. Koike verspricht, eine bessere Reformpartei zu sein und mehr für die Bürger zu tun, besonders die Städter. Ansonsten üben sich alle Parteien in einem „finanzpolitischen Populismus“, sagt der Yu Uchiyama, Politologe an der Universität Tokio.

Die Ratingagenturen beschreiben zwar eine Sanierung des mit 250 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldeten Staatshaushalts als hohe Priorität. „Aber der Weg zu einer Haushaltskonsolidierung ist sehr lang, denn keine Partei hat ernsthafte Pläne vorgebracht“, erklärt Uchiyama. 

Offiziell hält die Regierung zwar an ihrem Ziel fest, 2020 mit einem Abbau der Verschuldung zu beginnen. Nur gilt dieses Ziel schon jetzt als illusorisch. Und Abe zeigt keinerlei Spareifer. Mehr noch, im Wahlkampf versprach er, einen Teil der für Oktober 2019 geplanten Mehrwertsteuererhöhung nicht mehr für den Schuldenabbau zu nutzen, sondern für  die staatliche Finanzierung der Schulausbildung. Dabei gilt den Kreditbewertern die Steuererhöhung als Gradmesser dafür, wie ernst es Japan mit der Sanierung ist. Die anderen Parteien lehnen eine Mehrwertsteuererhöhung rundheraus ab.

Es sieht also so aus, als ob auf der LDP-Wahlparty die Teilnehmer wieder die Arme in die Luft werfen und „Abe Banzai!“ rufen, hoch soll er leben. Doch noch können sich die Märkte nicht gänzlich sicher sein. Zum einen ist das Verhalten der Wähler schwer vorherzusagen. In den letzten Urnengängen ist die einst hohe Wahlbeteiligung auf knapp 50 Prozent abgerutscht, weil vielen eine attraktiven große, linksliberale Oppositionspartei oder neue Protestparteien fehlen. Auch jetzt sind nach Umfragen 50 Prozent der Wähler unentschieden. Und niemand weiß, wie sich das Heer der Unzufriedenen entscheidet. 

Zum anderen kann sich Abe auch bei einem Sieg nicht sicher wähnen. „Die LDP kann hoch gewinnen und dennoch verlieren“, unkt Michael Cucek, politischer Analyst und Dozent am Japan Campus der amerikanischen Temple Universität. Wenn die Koalition dank des hohen Anteils an Direktmandaten eine Zweidrittelmehrheit, aber die Oppositionsparteien klar mehr Stimmen als die LDP und die Gerechtigkeitspartei haben sollten, könnte er als instabil angesehen werden. Eine Restspannung bleibt damit auch in Japan erhalten.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%