Wahlen in Russland Putins Popularität ist gegen Gift immun

Am Sonntag wird in Russland gewählt. Die Affäre um den Giftanschlag auf einen russischen Ex-Spion kann Putin dabei wenig anhaben. Ein Stimmungsbild.

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Der russische Präsident kann der Wahl am Sonntag gelassen entgegensehen. Quelle: dpa

Moskau Wladimir Putin – der Giftmischer. Während die Vorstellung in London Angst und Schrecken verbreitet, ruft sie in Moskau nur höhnisches Gelächter hervor.

Im russisch-britischen Verhältnis brodelt es: Großbritannien wirft Russland vor, den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal vergiftet zu haben, wies deshalb 23 russische Diplomaten aus. Moskau reagierte darauf am Samstagvormittag, indem es seinerseits 23 britische Diplomaten auswies.

Doch um seine Wiederwahl bei der russischen Präsidentschaftswahl muss sich Wladimir Putin deshalb keine Sorgen machen – ganz im Gegenteil.

Die Anschuldigungen Großbritanniens beim Giftanschlag, zudem die fast zeitgleich mit der Affäre einhergehende Verschärfung der Sanktionen auch von US-Seite – hier wegen der Einmischung des Kremls in den US-Wahlkampf. All das hat bei vielen Russen den Verdacht geweckt, dass es sich um eine konzertierte Aktion des Westens handelt, um kurz vor der russischen Präsidentenwahl noch einmal den Druck zu erhöhen.

Dies dürfte die Zustimmungswerte Putins eher noch steigern, meint der Soziologe Andrej Kolesnikow: Der Experte des Moskauer Carnegie-Zentrums erinnert an den Abschuss der Boeing über dem Donbass-Gebiet 2014. „Damals war nur eine verschwindend kleine Zahl von Teilnehmern in den Umfragen bereit zuzugeben, dass das auch prorussisch gestimmte Militärs getan haben könnten, während die Mehrheit der These zustimmte, dass es sich um eine antirussische Provokation handle“, sagte Kolesnikow. Ähnliche Tendenzen seien nun zu erwarten.

Zumal zumindest einer der Herausforderer in der Frage den Kremlchef ebenfalls in Schutz nahm. Populistenführer Wladimir Schirinowski übernahm die Kreml-Sprachregelung und sprach von einer „Provokation“, die die Wahlstimmung in Russland trüben solle. Kritisch gegenüber Putin sprach keiner der Kandidaten das Thema an. Stimmen lassen sich damit derzeit kaum gewinnen.

Gerade der konservativ-nationalistische Teil der Wählerschaft Putins könnte durch die Affäre ermuntert werden, an der Abstimmung teilzunehmen. Verleitete die Klarheit des Sieges von Putin schon im Vorfeld der Abstimmung einige seiner Anhänger dazu, sich passiv zu verhalten, so dürften die Sanktionen einen „Jetzt-erst-recht“-Effekt verursachen.

So weckt die Affäre um den Giftgasanschlag auf Sergej Skripal dies- und jenseits des wieder eiserner werdenden Vorhangs ganz unterschiedliche Reaktionen: „Man muss schon ziemlich blöd sein, um ein Gift einzusetzen, das wie ein Fingerabdruck gleich deine Täterschaft bekannt gibt“, meint Wladimir.

Wladimir ist freiberuflicher Orthopäde in Moskau und – obwohl er den gleichen Vornamen trägt – eigentlich kein Putin-Fan. Als Kommunist trauert er vielmehr der untergegangenen Sowjetunion nach. Doch in dem Punkt übt er mit dem Kremlchef Solidarität. „Nein, Russland war das mit Sicherheit nicht“, sagt der Mittfünfziger. Vielmehr handle es sich um ein Komplott westlicher Geheimdienste, um Russland weiter zu isolieren, zu stigmatisieren und unter Druck zu setzen. Damit spricht er aus, was die meisten Russen von der Affäre halten.

Die Kremlführung weist alle Schuld in dem Fall von sich. Russland habe überhaupt kein Motiv, den bereits abgeschriebenen Spion – der enttarnte und in Moskau verurteilte Skripal wurde 2010 im Zuge eines Agentenaustauschs nach England abgeschoben – jetzt zu beseitigen, erklärte Außenminister Sergej Lawrow. Es handle sich um ein weiteres „knallhartes und durch nichts gerechtfertigtes Spiel auf dem Feld der Russophobie“, fügte er hinzu.

Die Tonart wurde von den staatlich dominierten russischen Medien aufgenommen. Russland sei schuld, weil es in den Augen des Westens eben immer schuld sei, meinte der nationalistische Publizist Anton Krylow. Der bekannte TV-Journalist Anatoli Wasserman übte sich in Ironie: „Wir werden beschuldigt, weil das Gas, das angeblich bei dem Anschlag genutzt wurde, in unserer Sowjetunion produziert wurde. Überzeugende Logik: Wenn dem Gift Elemente aus dem von Mendelejew entdeckten Periodensystem angehören und Mendelejew ein Russe ist, so sind die Russen schuld.“

Der wichtigste Propagandist Moskaus, Dmitri Kisseljow, hatte im russischen Staatsfernsehen schon vor Mays Anschuldigungen die britischen Geheimdienste der Tat bezichtigt. Dies alles diene nur dazu, Russophobie im Westen zu schüren und weiter auf dem armen Russland einzuhacken, möglicherweise den russischen Bürgern die Fußball-Weltmeisterschaft wegzunehmen.

Äußere Reizfaktoren wirken generell konsolidierend auf die russische Gesellschaft. So lange Russland in der Affäre nicht klein beigibt, dürften sich die Sanktionen auf Putins Wahlergebnis also eher positiv als negativ auswirken.

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