Wahlen in Taiwan Historischer Machtwechsel in Taiwan möglich

Taiwan könnte erstmals eine Präsidentin bekommen. Vor der Wahl am Samstag liegt die Kandidatin der Opposition in Umfragen deutlich vorn. Sollte sie gewinnen, könnte das einen neuen Konflikt mit China auslösen.

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Tsai Ing-wen geht für die oppositionelle Fortschrittspartei ins Rennen um die Präsidentschaft in Taiwan. Die 59-jährige Juraprofessorin könnte die erste Präsidentin der demokratischen Inselrepublik werden. Quelle: Reuters

Taipeh Nach acht Jahren Annäherung an das kommunistische China kommt die Quittung: Bei der Wahl am kommenden Samstag in Taiwan ist ein historischer Machtwechsel im Präsidentenpalast und Parlament möglich. Die moderate Kandidatin Tsai Ing-wen von der oppositionellen Fortschrittspartei (DPP) hat in Umfragen einen zweistelligen Vorsprung. Damit könnte die 59-jährige Juraprofessorin die erste Präsidentin der demokratischen Inselrepublik werden.

Droht eine neue Eiszeit mit Peking? Die kommunistische Führung, die Taiwan nur als abtrünnige Provinz betrachtet, begegnet Tsai mit großem Misstrauen, weil ihre Partei aus der Unabhängigkeitsbewegung stammt. Alle blicken gebannt auf die Reaktion Pekings. Niemand will einen Konflikt, in den auch die USA gezogen würden, die sich der Verteidigung der jungen Demokratie verpflichtet fühlen.

Anders als ihr Vorgänger Ma Ying-jeou von der Kuomintang, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten darf, geht Tsai spürbar auf Distanz zu Peking, was bei den Wählern gut ankommt. Der Mehrheit der 23 Millionen Taiwanesen ging die Annäherung zu schnell - sie fürchten zu große Abhängigkeit von dem übermächtigen Nachbarn. Unter dem neuen Staats- und Parteichef Xi Jinping scheint ihnen China unberechenbarer, wenn nicht sogar aggressiver geworden zu sein.

Der aussichtslose Kuomintang-Kandidat Eric Chu räumt Fehler seiner Partei ein, will die Politik seines Vorgängers ändern, ohne aber die Annäherung aufgeben zu wollen. Das Wählervotum wird noch durch die Volkspartei (PFP) von James Soong aufgesplittet. Er hat zwar auch keine Chancen, aber dürfte Chu dringend benötigte Stimmen wegnehmen.

Die Kuomintang warnt, dass eine Präsidentschaft von Tsai „potenziell“ gefährlich werden könnte. „Wir wissen nicht, wie Peking reagiert“, sagt Sprecher Eric Huang. „Wenn eine Situation ungewiss ist, dann steht die Stabilität infrage.“ Das sei schlecht für die Wirtschaft.

Während die letzte DPP-Präsidentschaft von Chen Shui-bian (2000-2008) von Konfrontation bestimmt war, setzt Tsai auf den Status Quo. Statt aber die Kooperation mit China voranzutreiben, will sie die Wirtschaftsbeziehungen zu anderen Ländern ausbauen. „Wir müssen den Handel diversifizieren“, sagt DPP-Generalsekretär Joseph Wu. Er warnt vor einer „übergroßen Abhängigkeit von einem Markt“.

Unter Tsai werde es allerdings „keine Überraschungen“ geben, versichert Wu. „Wir wollen weiter auf China zugehen und die Differenzen verringern, Vereinbarungen ausarbeiten und eine Agenda entwerfen, die im gegenseitigen Interesse ist.“


Spannungen mit China auf dem niedrigsten Stand seit 60 Jahren

Die Spannungen zwischen beiden Seiten sind heute auf dem niedrigsten Stand seit sechs Jahrzehnten. Die Kontakte sind massiv ausgebaut worden. Die Zahl der Direktflüge stieg von Null auf 120 am Tag. Rund vier Millionen chinesische Touristen haben Taiwan 2015 besucht. Erstmals trafen sich im November beide Präsidenten in Singapur.

Also, warum profitiert die Regierungspartei nicht davon? Die Antwort liegt in der schlechten Wirtschaftslage und der Angst vor China. Vor acht Jahren war Ma Ying-jeou mit großen Erwartungen gewählt worden, weil er wirtschaftlichen Fortschritt durch eine Aussöhnung mit China versprach. „Es hat sich als Trugschluss erwiesen“, sagt die Politikprofessorin Tao Yi-feng von der National Taiwan University.

Die Früchte der Kooperation kommen bei einfachen Taiwanesen nicht an. Die Realeinkommen sind seit mehr als zehn Jahren nicht gestiegen. Das Wachstum lag 2015 bei weniger als einem Prozent. So wuchs die Kritik an den neuen Handelsabkommen und der mangelnden Transparenz der Politik des Präsidenten. Der Widerstand kulminierte im März 2014 in der „Sonnenblumenbewegung“, als Studenten das Parlament besetzten.

Das Pendel schlug um. Stärker als je zuvor pflegen die Taiwanesen ihre eigene Identität. Die Zahl der Wiedervereinigungsbefürworter ist auf dem bisher niedrigsten Stand. „Die Menschen sind sehr besorgt über die Zukunft von Taiwan, wenn die gegenwärtige Politik fortgesetzt wird“, erklärt Lai I-Chung vom Taiwan Thinktank den Stimmungswandel. „Es geht auch auf Kosten der Demokratie.“

Die Kritik an Chinas Menschenrechtsverstößen werde leiser, der Widerstand gegen Pekings Forderungen schwächer: „Taiwans Spielraum schrumpft.“ Auch nehme der Einfluss Chinas zu. „Der Druck wächst, Kritiker zum Schweigen zu bringen“, sagt Lai. „Es gibt nicht das Gefühl, dass die bisherige Regierung die Sicherheit Taiwans schützt.“

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