Was vor 500 Jahren geschah Luther, Aleppo und Religionskriege

Wird 2017 wirklich ein Schicksalsjahr? Mal halblang. Ein Blick auf wirklich wichtige Jahre wie 1517 zeigt, dass Gelassenheit gut tut. Populistische Angstmacherei mit Postfaktischem gab es vor 500 Jahren in größerem Stil.

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Ein Detail des Denkmals des Reformators Martin Luther in Wittenberg (Sachsen-Anhalt). Quelle: dpa

Düsseldorf Rund um den Jahreswechsel sind auch seriöse Medienhäuser schnell bei der Hand, gleich vor einem „Schicksalsjahr” 2017 zu warnen. Selbstverständlich sind die Bundestagswahlen wichtig und auch andere Abstimmungen werden Europa massiv beeinflussen. Zudem schaut die Welt gebannt nach Washington, was Donald Trump dort an als Präsident veranstalten wird.

Doch wer angsterfüllt und krisenüberwältigt den Mut verliert, dem sei ein Blick in die Geschichte empfohlen: Denn was vor 500 Jahren geschah, im Jahr 1517, das sollte die Welt tatsächlich nachhaltig verändern. Und selten passierten vier so wichtige Dinge in einem Kalenderjahr, wie der Historiker Heinz Schilling in seinem Buch „1517” beschreibt.

  1. Den Sunniten eroberten Kairo. Und die „Geisterschlacht” von Bergamo zeigte, wie sehr die Christen von Muslimen bedroht wurden

  2. In Südamerika ordneten sich die Verhältnisse neu durch das Erscheinen der Spanier im Reich der Inka

  3. Die Portugiesen versagten bei dem Versuch, mit dem chinesischen Reich Handel zu treiben und wurden militärisch zurückgeworfen

  4. Am 31. Oktober 1517 veröffentlichte Martin Luther seine 95 Thesen in Wittenberg

Aleppo war schon vor 500 Jahren ein Kriegsschauplatz: Die Osmanischen Heere unter Sultan Selim haben die Stadt 1516 erobert. Und danach, Anfang 1517, auch Kairo. Damit konnte der sunnitische Sultan Anspruch auf das Kalifat erheben, der höchsten geistigen Würde des Islam, und gegen die schiitische Interpretation vorgehen. Zeitgleich scheiterte die Eroberung des arabischen Hafenstadt Dschidda durch die Portugiesen. So fiel die wichtigste Hafenstadt des arabischen Raumes nicht in europäische Hände. Ohne diese beiden Ereignisse „hätte die Neuzeit einen anderen Verlauf genommen”, wie der Historiker Schilling schreibt.

Postfaktisches gab es damals übrigens noch mehr als heute – wenn auch durch Flugschriften verbreitet statt durch Twitter & Co: Eine Schlacht nahe Bergamo, die es nie gegeben hat, sorgte für Panik. Nur wenige taten die Nachrichten von der Entscheidungsschlacht zweier gewaltiger Heere von Christen und Muslimen im Dezember 1518 als Nonsens ab, auch wenn nichts dahintersteckte.


Parallelen zwischen 1517 und 2017 sind offensichtlich

Die Geisterschlacht bildete lediglich den Höhepunkt einer Kette von falschen Vorhersagen und Prophezeiungen. Damals wie heute war es nützlich, mit der Angst der Menschen zu spielen. Die osmanische Gefahr „war die Zuchtrute, mit der Gott sein sündiges Volk strafte”, schreibt Schilling. Der Papst nutzte die Pseudogefahr und legitimierte damit einen Kreuzzugsplan gegen die Osmanen. Dabei drohte die Gefahr ja aus den eigenen Reihen.

Denn was Martin Luther am 31. Oktober 1517 weder vorhatte noch wissen konnte, war ein Jahrtausendereignis: Seine 95 Thesen gegen des Ablasshandel der katholischen Kirche führten zur Reformation. Die Kirchenspaltung war jedoch keine unabänderliche Reaktion auf Luthers Thesen, sondern entstand durch Entscheidungen und Fehlentscheidungen vieler Beteiligter.

Was die katholische Kirche ab 1517 in Europa zu verlieren begann, gewann sie zeitgleich in anderen Teilen der Welt um ein Vielfaches hinzu: Als am 8. Februar 1517 eine spanische Flotte von Kuba aus in See stach, um erstmals die Halbinsel Yukatan zu erreichen, begann ein unbeschreibliches Morden. Der ersten Begegnungen mit Maya und Azteken folgen zwischen 1519 und 1521 blutige Schlachten, unter anderem angeführt von Hernán Cortez. „Binnen weniger Jahre war der religiöse Kern der amerikanischen Hochkulturen vernichtet, niedergerungen durch christlichen Missionsgeist”, urteilt Schilling. Eine Ironie der Geschichte ist, dass die Spanier mit dem geraubten Gold und Silber nie erfolgreich wirtschaften und rasch wieder zu den armen Ländern in Europa gehörten.

Das konnte man 1517 von den Portugiesen nicht behaupten, auch wenn der Stern der Seefahrernation schon hier allmählich begann zu sinken. Ein Beispiel dafür war der erfolglose Versuche, sich mit dem Riesenreich China zu verbünden. König Manuel I. autorisierte eine Handelsmission mit dem Ziel, diplomatische Beziehungen aufzubauen. Dies scheiterte allerdings kläglich, weil die Portugiesen mit den Zeremonien Chinas nicht vertraut waren und sich nicht bereit erklärten, dem Land den Tribut zu gestatten, den es wie von jeder fremden Macht einforderte,. Es sollte über 300 Jahre bis zum britisch-chinesischen Opiumkrieg (1840-1842) dauern, bis das Land einer europäischen Macht offen stehen sollte.

Geschichte wiederholt sich nicht. Aber einige Parallelen zwischen den Jahren 1517 und 2017 sind offensichtlich. Dazu gehört auch, etwas objektiver mit den „Westlichen Werten” umzugehen, deren „Erfindung” ja von vielen Luther und der Reformation zugeschrieben wird. allein Blick 500 Jahre zurück zeigt, dass der Westen beileibe kein Monopol auf Werte wie Humanität und Freiheit hat. Dies sollte in den anstehenden Diskussionen nicht vergessen werden.

Zum Weiterlesen:
Heinz Schilling
1517. Weltgeschichte eines Jahres
C.H. Beck Verlag, 364 Seiten

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