Wasserkrieg in Indien IT-Metropole Bangalore im Ausnahmezustand

In Indien eskaliert der Konflikt zwischen zwei Bundesstaaten um einen Fluss. In Bangalore herrscht der Ausnahmezustand. Die Wasserknappheit auf dem Subkontinent wird zum politischen Sprengstoff zwischen den Volksgruppen.

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Nach heftigen Ausschreitungen haben die Behörden mehr als 15.000 zusätzliche Sicherheitskräfte in die IT-Metropole beordert. Quelle: AFP

Bangkok In der sonst quirligen IT-Metropole Bangalore trauen sich nur noch wenige auf die Straße. Die großen IT-Firmen wie Wipro oder Infosys forderten am Dienstag ihre Mitarbeiter auf, zu Hause zu bleiben. Noch bis zum Mittwoch gilt eine Teil-Ausgangssperre.

Zuvor hatten sich ganze Stadtteile in ein Schlachtfeld verwandelt: Um ihrer Forderung nach Wasser aus dem Kaveri Nachdruck zu verleihen, zündeten Demonstranten Autos und Geschäfte an. Zwei Personen wurden bei den Ausschreitungen getötet und Dutzende verletzt. Polizisten verhafteten hunderte Randalierer. Es war das zweite Mal innerhalb weniger Tage, dass wilde Mobs durch die Straßen zogen.

Indiens moderne IT-Metropole, eines der Aushängeschilder des Landes, erlebt eine Welle der Gewalt – und es ist nicht ausgeschlossen, dass der Konflikt weiter eskaliert. Mittlerweile haben die Behörden mehr als 15.000 zusätzliche Sicherheitskräfte in die Stadt beordert. Regierungschef Narendra Modi rief die Bevölkerung zu Ruhe und Ordnung auf.

Doch im ganzen Bundesstaat brodelt es: Die Menschen in Bangalore wehren sich gegen ein Urteil des Obersten indischen Gerichtshofs. Die Richter hatten am Montag angeordnet, dass der Bundesstaat Karnataka mehr Flusswasser aus dem Kaveri in den Nachbarstaat Tamil Nadu durchlassen muss. Damit schwächten sie ein Urteil von Anfang September nur geringfügig ab, das ebenfalls schon zu Ausschreitungen geführt hatte.

Doch angesichts der herrschenden Wasserknappheit sieht sich die Regierung von Karnataka kaum imstande, dem Nachbarstaat Wasser abzugeben. Der Regierung zufolge sind fast die Hälfte der Wassertanks des Bundesstaates leer. „Das Urteil des Obersten Gerichtshofes ist nur schwer zu befolgen“, sagt Regierungschef Siddaramaiah. „Aber wir werden uns beugen.“

Viele in Karnataka fürchten jetzt, dass ihr Bundesstaat endgültig austrocknet. Die ohnehin schon katastrophale Wasserversorgung von Bangalore beruht zum Großteil auf dem Kaveri. Auch die Farmer des Bundesstaates sind auf den Strom angewiesen. Gerade zu dieser Jahreszeit wäre es wichtig, die Felder zu bewässern. Das Problem: Auch Tamil Nadu meldet dringenden Wasserbedarf.

Wassermangel bleibt eines der gravierendsten Probleme des Subkontinents. Die NGO Water.org schätzt, dass in Indien täglich rund 1600 Menschen an Durchfall sterben, den sie sich durch verunreinigtes Wasser eingefangen haben.

Auch in Bangalore, einer der wichtigsten IT-Metropolen der Welt, kommt manchmal kein Wasser aus den Hähnen. Selbst im modernen Stadtteil Electronic City, in dem auch deutsche Unternehmen wie Bosch, Siemens und Continental ansässig sind, müssen Bewohner regelmäßig mit Wassertrucks versorgt werden – wenn sie es sich leisten können.


Eine der schlimmsten Dürren der vergangenen Jahrzehnte

Während die Stadt dank der prosperierenden IT-Branche einen gewaltigen Boom erlebte, kam die Verwaltung mit dem Ausbau der Infrastruktur nicht hinterher. Seit den 90er-Jahren hat sich die Zahl der Einwohner auf rund zehn Millionen Einwohner nahezu verdoppelt. Nur ein Bruchteil des verbrauchten Wassers wird wieder aufbereitet. Die Hälfte der Haushalte ist nicht einmal an die Kanalisation angeschlossen.

Derzeit ist die Situation besonders dramatisch: Indien erholt sich erst langsam von einer der schlimmsten Dürren der vergangenen Jahrzehnte. Fast im ganzen Land herrscht ein Konflikt zwischen Industrie und Landwirtschaft, wie das knappe Wasser verteilt werden soll. Und wie der Streit um den Kaveri zeigt, kann die Ressourcenknappheit auch Volksgruppen gegeneinander aufhetzen.

Die Gewalt in Karnataka richtete sich gezielt gegen Bürger des Nachbarstaates. Wie die „Times of India“ berichtet, wurde unter anderem der Bus einer IT-Firma angehalten: Die Insassen mussten anschließend einzeln beweisen, dass sie Kannada sprechen, die Landessprache von Karnataka – und nicht etwa aus Tamil Nadu stammen.

Doch auch in Tamil Nadu kommt es zur Gewalt: In Chennai, der Hauptstadt des Bundesstaates, griff ein Mob ein Hotel an, das von Familien aus Karnataka betrieben wird. Mittlerweile hat die Regierung von Karnataka den Busverkehr nach Tamil Nadu gestoppt: Sie befürchtet, dass weitere Einwohner Karnatakas angegriffen werden könnten.

Der Konflikt zwischen den beiden Bundesstaaten ist bereits älter als hundert Jahre. Schon unter der Herrschaft der Briten kam es immer wieder zu Streit zwischen den damaligen Provinzen. 1990 setzte die Zentralregierung schließlich ein Tribunal ein, das 17 Jahre später ein Urteil fällte, wie das Wasser aufgeteilt werden soll – doch die Staaten waren mit der Entscheidung nicht einverstanden.

Letztendlich kommt es immer wieder auf die Richtersprüche des Obersten Gerichtshofes an. Da eine politische Lösung immer scheiterte, kam es schon häufiger zu Ausschreitungen. 1991 wurden in Karnataka 28 Menschen getötet, tausende Tamilen verließen fluchtartig den Bundesstaat Karnataka.

Soweit soll es diesmal nicht kommen. Karnatakas Regierungschef Siddaramaiah habe für Mittwoch um einen Termin bei Indiens Ministerpräsident Narendra Modi gebeten, teilte er mit. Der soll die Regierung von Tamil Nadu überzeugen, weniger Wasser zu verlangen.

Ob Modi darauf eingeht, ist unklar. Bisher versucht Modi, sich möglichst aus dem Konflikt herauszuhalten. In schwierigen Zeiten hätten Inder immer zusammengestanden, twitterte er. „Und haben die Probleme vernünftig geregelt.“

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