Weihnachts-Zwist an deutsch-türkischer Schule „Auch die letzten Reste an religiöser Vielfalt ausmerzen“

Die Schulleitung des deutsch-türkischen Gymnasium dementiert, ein Weihnachtsverbot ausgesprochen zu haben. Doch Lehrer der Institution bestätigen es einem Bericht nach. Deutsche Politiker zeigen sich empört.

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Die 35 deutschen Lehrer des Gymnasiums Istanbul Lisesi werden aus deutschen Steuergeldern bezahlt. Quelle: dpa

Berlin/Istanbul Der Streit am deutsch-türkischen Elite-Gymnasium Istanbul Lisesi über den Umgang mit dem christlichen Weihnachtsfest empört deutsche Politiker. „Das Verbot des Weihnachtsfests an der Deutschen Schule in Istanbul durch türkische Behörden ist ein Schlag gegen die Lehr- und Religionsfreiheit“, sagte die Chefin der CDU-Abgeordneten im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, der „Passauer Neuen Presse“ (Montag). Den Lehrern und Schülern das Fest zu verweigern und es sogar noch nicht einmal im Unterricht behandeln zu können, sei nicht nachvollziehbar. „Wir merken immer mehr, dass die Türkei in eine Autokratie abrutscht“, bilanzierte sie.

CDU-Vize Julia Klöckner sagte dem Blatt, dass Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan kulturelle Einflüsse der Nachbarländer quasi per Ansage verbieten wolle, sei „Ausdruck von Unsouveränität, Bevormundung und Abschottung“ und das Gegenteil von Freiheit und Aufklärung. „Wer freie Gedanken einebnen will, der ist aus Verblendung wohl auch zu weiterem fähig.“

Grünen-Chef Cem Özdemir erinnerte daran, dass die Türkei schon immer Heimat griechischer, aramäischer und armenischer Christen gewesen sei - lange bevor die ersten Türken und Muslime anatolischen Boden betreten hätten. Offensichtlich habe sich Erdogan in den Kopf gesetzt, „auch die letzten Reste an religiöser und ethnischer Vielfalt gründlich auszumerzen, wenn er sich selbst von harmlosen Weihnachtsliedern in seiner Herrschaft bedroht fühlt“.

CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach verlangte eine scharfe Reaktion der Bundesregierung. Das Verbot sei ein weiterer Beleg dafür, dass Erdogan das Land auf einen „intoleranten, konservativ-islamischen Weg“ wolle. Wenn es Bestand habe, sei die Grundlage für weitere deutsche Zahlungen in Millionenhöhe entfallen.

In einer E-Mail, die die Leitung der deutschen Abteilung der Schule an das Kollegium geschickt hatte, hatte es geheißen: „Es gilt nach Mitteilung der türkischen Schulleitung eben, dass ab sofort nichts mehr über Weihnachtsbräuche und über das christliche Fest im Unterricht mitgeteilt, erarbeitet sowie gesungen wird.“

Die vom Bildungsministerium in Ankara eingesetzte türkische Schulleitung dementierte aber, dass sie ein solches Weihnachtsverbot ausgesprochen habe. Allerdings hätten die deutschen Lehrer im Unterricht „vor allem in den letzten Wochen Texte über Weihnachten und das Christentum auf eine Weise behandelt, die nicht im Lehrplan vorgesehen ist“.

Mehrere deutsche Lehrer in Istanbul bestätigten „Spiegel Online“, es gebe Anweisungen, auf Weihnachtslieder und Adventsfeiern zu verzichten. Ebenso habe es die Aufforderung gegeben, Adventskalender aus den Räumen in der Schule zu entfernen. Da es ein Verbot für alle Lehrer gebe, mit der Presse zu sprechen, wollte niemand namentlich genannt werden, schrieb das Magazin.

Die derzeit 35 deutschen Lehrer des Istanbul Lisesi werden von der Bundesrepublik entsandt und aus Steuermitteln bezahlt, was auf eine jährliche Förderung in Millionenhöhe hinausläuft.

Das Elite-Gymnasium wird ausschließlich von türkischen Schülern besucht, ist aber eine anerkannte deutsche Auslandsschule. Der türkische Schulleiter wird direkt vom Bildungsministerium in Ankara ernannt und ist dessen höchster Vertreter an der Schule.

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