Weltwirtschaft Chinas Unternehmen fehlen Fachkräfte

Obwohl die Zahl der Hochschulabsolventen steigt, klagen immer mehr Unternehmen in China über fehlende Fachkräfte. Schuld ist das Bildungssystem.

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Fachkräftemangel in China Quelle: REUTERS

Damit hatte der US-Finanzriese Citigroup nicht gerechnet. Das Unternehmen will die Zahl seiner Mitarbeiter in China in den kommenden Jahren auf 12 000 verdreifachen – doch findet keine Leute. Ähnlich ergeht es Unternehmen wie Siemens, Intel, Microsoft oder Goldman Sachs. Kaum eine Unternehmerkonferenz, kaum ein Wirtschaftsforum in Peking oder Shanghai, auf dem die Teilnehmer in diesen Tagen nicht über Chinas Fachkräftemangel klagen. Gleichzeitig verschärft sich der Kampf um die chinesischen High Potentials: Manche Konzerne klagen über Fluktuationsraten von 30 Prozent.

Personalprobleme in einem Riesenreich mit über 1,3 Milliarden Einwohnern? Das klingt paradox, zumal Peking in den vergangenen Jahren Milliardensummen in Schulen und Hochschulen gepumpt und die Ausgaben für Bildung auf fast 2,5 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) gesteigert hat. Vor rund zehn Jahren lagen die Aufwendungen bei weniger als einem Prozent. In diesem Sommer werden 6,6 Millionen junge Chinesen an einer Universität ihre Abschlussprüfung ablegen, nach 6,3 Millionen im vergangenen Jahr. 2000 waren es gerade Mal 1,07 Millionen.

Akademiker aufs Land

Das Problem ist: Ein großer Teil der Absolventen ist falsch oder schlecht ausgebildet und wird den Anforderungen der modernen Wirtschaft nicht gerecht. Jedes Jahr enden mehr als ein Drittel der Jungakademiker in Berufen wie Pförtner, Kindermädchen oder Reinigungskraft. Um den Druck zu mindern, hat Peking mittlerweile ein Programm aufgelegt, das arbeitslose Akademiker als Lehrer in kleine Schulen auf dem Land schickt. Deutsche Konzernlenker wie Metro-Chef Eckhard Cordes schwärmen bei Chinabesuchen nach wie vor von den „400 000 Ingenieuren“, die Chinas Hochschulen jedes Jahr hervorbringen. Der Alltag ist weitaus trostloser. Als beispielsweise ein deutscher Mittelständler mit einer Fertigung in der Nähe von Peking einen Elektriker suchte, lud der Chef fast ein Dutzend junger Ingenieure zum Gespräch. Einige von ihnen konnten nicht einmal einen einfachen Schaltplan als solchen identifizieren. Andere Unternehmen haben ähnliche Probleme bei der Nachwuchssuche. Einige multinationale Konzerne berichten von gerade mal zwei geeigneten Kandidaten unter 1000 Bewerbern. Auch wenn eine Handvoll Shanghaier Schulen beim letzten Pisa-Test ganz vorne landeten: Wie auf vielen anderen Feldern produziert China auch in der Bildung bisher eher Masse statt Asse.

Noch immer wird in Chinas Hörsälen großer Wert auf pures Auswendiglernen gelegt. Kritisches Hinterfragen, Kreativität, interdisziplinäres Denken und Flexibilität, die in global agierenden Organisationen heute gefordert sind, findet man kaum. Dazu kommt: Viele Studiengänge in China sind zu spezialisiert. So studieren viele junge Chinesen etwa vier Jahre lang Buchführung, sprechen anschließend aber kaum ein Wort Englisch. Ähnliches gilt für das Modefach Informatik. Auch für große chinesische Unternehmen sind diese Leute kaum zu gebrauchen.

Mangelhafte Qualifikation

Für den von der Regierung angestrebten Umbau der Wirtschaft ist die mangelhafte Qualifikation vieler Hochschulabsolventen ein großes Problem. Nach dem Willen Pekings soll China künftig nicht mehr nur vom Export billiger Textilien, Schuhe oder Spielzeug leben. Vielmehr will die Regierung das Land zu einer wissensbasierten Dienstleistungswirtschaft umbauen. Forschungsintensive Industrien wie der Flugzeugbau, erneuerbare Energiegewinnung oder die Fertigung von Medizingeräten sollen das Wachstum treiben. Als Staats- und Parteichef Hu Jintao Anfang des vergangenen Jahrzehnts das Ruder übernahm, erhob er die „wissenschaftliche Entwicklung“ des Landes neben der „harmonischen Gesellschaft“ zum Mantra seiner Amtszeit. An vielen chinesischen Hauswänden hängen rote Banner und fordern die Bürger zum Mitmachen bei der Entwicklung zur High-Tech-Nation auf.

Von der KP gegängelt

Doch mit Propaganda kann China die Fachkräftelücke nicht schließen. Damit Chinas Unternehmen auf Dauer in Industrien mit höherer Wertschöpfung vorstoßen, muss das Land sein Bildungssystem modernisieren. Bisher können allenfalls einzelne Abteilungen chinesischer Top-Hochschulen wie etwa der Peking-Universität oder Tsinghua im Wettbewerb mit amerikanischen Top-Unis mithalten. Die meisten Hochschulen haben kaum Freiräume und werden von der Kommunistischen Partei gegängelt.

Allerdings gibt es derzeit kaum Hinweise auf Reformen. So haben viele chinesische Universitäten in letzter Zeit ihre Aktivitäten beim Austausch mit Hochschulen im Ausland reduziert. Darüber hinaus müssen sich die Unis seit Kurzem wieder verstärkt dem Ideologieunterricht widmen. So wollen es die derzeit dominierenden Hardliner in Peking. Die renommierte Peking-Universität etwa bietet wieder Kurse für junge Leute mit „verstörten Gedanken“ an – gemeint sind regierungskritische Studenten.

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