Die Welt im Schweizer Davos vor einem Jahr war nicht nur wunderschön verschneit, sie war auch ein einziges Idyll: Quasi zum Grundwissen der beim Weltwirtschaftsforum 2016 versammelten Anführer aus Politik und Wirtschaft gehörte, dass ein Irrer wie Donald Trump niemals Präsident der Vereinigten Staaten werden würde, die Briten auf gar keinen Fall für einen Brexit stimmen könnten und der weltweite Freihandel nie mehr zurückgeworfen werden könne.
So gesehen könnte man nun, da heute das Weltwirtschaftsforum 2017 in dem Graubündner Bergort beginnt, dieses Klassentreffen von 3000 so genannten Angehörigen der Weltwirtschaftselite womöglich ignorieren. Angesichts seines einmaligen Scheiterns bei der Beurteilung anstehender Entwicklungen im vergangenen Jahr könnte dem Jahrestreffen des Forums das Schicksal seines eingeschneiten, nur über eine kleine Straße und die Räthische Eisenbahn zu erreichenden Gastgeberortes ereilen – und es etwas abseits des Geschehens landen.
Doch sollte man die Kraft dieses Ortes und dieser Veranstaltung nicht unterschätzen. Zwar fehlen mit Donald Trump und Angela Merkel zwei nicht ganz unwesentliche Führungskräfte der Weltinnenpolitik. Andererseits unterstreichen der Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping oder der britischen Premier Theresa May, dass Davos auch für, zumindest einige, Sorgenkinder der in Auflösung begriffenen Weltgemeinschaft eine Anlaufstelle bietet.
Und die Veranstalter selbst tun einiges, um inhaltlich nicht ähnlich im Abseits zu landen wie im vergangenen Jahr.
Zum einen haben sie das Leitmotto: „Verantwortliches Führen“ über den ursprünglichen Klima-Nachhaltigkeitsgedanken erweitert und wollen nun, schnellschnell, auch die Zukunft der Globalisierung, den Reformbedarf des Kapitalismus und die Teilhabe aller am wirtschaftlichen Fortschritt erörtern. Zum anderen arbeiten sie weiter daran, wenn auch mit überschaubarem Erfolg, die Hegemonie weißer, mittelalter Herren aus der nördlichen Hemisphäre zu brechen: Ein Drittel der 3000 Teilnehmer kommt immerhin aus Weltgegenden jenseits von Europa und Nordamerika. Sogar Frauen sollen darunter sein.
Die Länder mit den meisten Teilnehmern beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos
Am Weltwirtschaftsforum in Davos nehmen dieses Jahr 3000 Menschen aus 99 Ländern teil.
Quelle: WEF, Statista
Aus den USA sind 836 Personen nach Davos gereist.
301 Teilnehmer in Davos kommen aus dem Gastgeberland des Weltwirtschaftsforums.
Aus dem Vereinigten Königreich kommen 283 Personen als Gäste nach Davos.
136 Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums kommen aus Deutschland.
107 Teilnehmer sind aus Indien angereist.
Aus China kommen 92 Gäste.
91 Teilnehmer sind aus Japan angereist.
Aus dem Nachbarland Frankreich kommen 89 Teilnehmer.
Aus Russland stammen 62 Gäste des Weltwirtschaftsforums.
61 Teilnehmer kommen aus Kanada.
“Die Welt um uns herum ändert sich so schnell wie nie. Die alten Konzepte von Gesellschaft, Beschäftigung und Nation sind herausgefordert, viele fühlen sich unverstanden und bedroht“, sagt Klaus Schwab, der Chef des Weltwirtschaftsforums. „Wir brauchen ein neues Verständnis verantwortungsvoller Führung.“ Das klingt erstmal ein wenig wolkig, ist angesichts der Adressaten in Davos aber ungewöhnlich deutlich: Schließlich treffen sich dort jene, die an nicht ganz unentscheidenden Stellen in den vergangenen Jahren saßen. Sie müssen sich entsprechend nach ihrer Verantwortung für die von Schwab geschilderten Missstände fragen lassen.
Nun sind Abgesänge auf das Eliten-Stelldichein so alt wie die Veranstaltung selbst. „Abgehoben“, „abseitig“, „überkommen“ sind seit Jahre Adjektive, die sich zum Forum gesellt haben. Und vermutlich lässt sich wirklich diskutieren, ob es noch zeitgemäß ist, dass sich 3000 eher besser gestellte Herren für vier Tage in ein schlecht erschlossenes Städtchen in den Schweizer Alpen zurückziehen, um über dies und das zu reden.
Andererseits: Was wäre die Alternative? Und ist die Veranstaltung nicht bei genauerem Hinsehen doch besser als ihr Ruf? Drei Gründe sprechen jedenfalls dafür:
Drei Gründe für das Weltwirtschaftsforum
1. Es trifft, wer sich sonst eher nicht trifft
Der am meisten umgarnte Mann in Davos wird in diesem Jahr vermutlich Anthony Scaramucci. Der Amerikaner mit dem italienischen Namen gehört als Gründer und Gesellschafter von SkyBridge-Capital schon länger zum Inventar der Davos-Teilnehmer. Er sitzt auf Podien, pflegt sein Netzwerk, gibt Auskunft zum Zustand des Kapitalismus.
In diesem Jahr aber wird er nicht nur von geschäftstüchtigen Davos-Gästen umschwärmt werden, sondern wohl auch von den politischen Gästen. Denn Scaramucci gilt als inoffizieller Botschafter des gewählten US-Präsidenten Donald Trump, der am letzten Tag von Davos in Washington auch offiziell sein Amt antreten wird. Die beiden verbindet nicht nur Scaramuccis Einsatz als Spendensammler im Trump-Wahlkampf, der President-Elect berief Scaramucci auch als Wirtschaftsberater für sein White-House-Team. In Davos soll er nun vor allem den weithin verschreckten Europäern die Distanz zu Trump etwas nehmen.
Und nicht nur die Europäer sollen etwas beruhigt werden. Scaramucci soll, heißt es im Vorfeld, ebenfalls an einem Treffen Trump nahe stehender Amerikaner mit der chinesischen Delegation, die in Davos von Präsident Xi Jinping angeführt wird, teilnehmen. Zwischen beiden Großmächten kriselt es, seitdem Trump China wegen der deutlichen Exportorientierung seiner Wirtschaftspolitik attackiert hat. Für Gespräch dieser Art, auf halboffizieller Ebene, jenseits des Protokolls, ist das Treffen in den Schweizer Bergen noch immer unübertroffen.
2. Wer den Herausforderungen begegnen will, sollte seinen Standpunkt überarbeiten
Es kann nicht im Interesse der Liberalen auf dieser Welt sein, die sich andeutenden Mehrheitsverhältnisse gegen wirtschaftliche Freiheit und politischen Liberalismus einfach hinzunehmen. Wer den Trumps, Petrys und Le Pens dieser Welt aber etwas entgegensetzen will, sollte sich nicht auf Ursachenanalyse für deren Erfolg konzentrieren, sondern auch an einem gemeinsamen Standpunkt, der wieder mehrheitsfähig werden könnte, arbeiten. Hausaufgaben gäbe es da genug.
Es darf keine einfachen Antworten auf die Probleme der Welt geben. Natürlich provoziert der Populismus mit seinen einfachen Antworten eben solche, um die gleichen Wähler abzufangen. Nur: Einfache Antworten werden an einer komplexen Welt scheitern. Die Enttäuschung wird danach noch größer sein. Die Reaktion auf schlechten Protest kann nicht schlechtes Gestalten sein – sondern gutes Gestalten. Davon sind die Eliten in Politik und Wirtschaft in den vergangenen Jahren abgekommen. Wo, wenn nicht im geschützten Davoser Raum unter ihresgleichen könnte ein kraftvoller Ansatz, sich aus der Falle zu befreien, diskutiert werden?
Um das zu verstehen, lohnt es sich, in der Zeit nochmal ein Jahr zurückzugehen. Da stand an beim Weltwirtschaftsforum 2016 ausgerechnet der amerikanische Vize-Präsident, Joe Biden, in Davos an einem Pult und redete sich so richtig in Rage. Biden, das muss man wissen, wird unter seinen demokratischen Parteifreunden in Washington gerne als „Mittelschichts-Joe“ verspottet, weil er zu sehr auf den „kleinen Mann“ achte. An diesem Abend aber lief Mittelschichts-Joe zu großer Form auf. Biden forderte von der versammelten Elite, die „Aushöhlung der Mittelschicht“ zu bekämpfen.
Problemcocktail der Weltwirtschaft
Irgendwie aber haben seine Zuhörer von damals, als sie Davos verließen, die Botschaft offenbar vergessen. Und so blieben die Krisenpunkte des Kapitalismus unbearbeitet:
- Die Globalisierung war keine Öffnung der Grenzen für fairen Handel, sondern ein Konjunkturprogramm für die Oberschicht.
- Die Digitalisierung ist keine Bewegung für eine bessere Welt, sondern für eine Abkopplung der Elite.
- Die Wachstumsgewinne der jüngeren Vergangenheit haben vor allem noch mehr Wohlstand für Vermögende geschaffen und sind nicht in die unteren Vermögensschichten durchgesickert.
- Die Aufnahme von Migranten ist nicht gelebte Nächstenliebe, sondern auch verschärfter Wettbewerb um Ressourcen am unteren Ende der Wohlstandsskala.
Schon Ralf Dahrendorf mahnte in seinem Essay „Acht Anmerkungen zum Populismus“ davor, die Bezichtigung für den Beweis zu halten: „Der Populismus-Vorwurf kann selbst populistisch sein“, schrieb er. Nämlich dann, wenn er Gründe mit Rhetorik zu überdecken versucht. Das ist der Auftrag an die Menschen von Davos in diesen Tagen: Gründe akzeptieren und dann Lösungen zu diskutieren. Die Szene mit Biden aus dem vergangenen Jahre zeigt: Nirgends ist so viel Platz für kluge Gedanken wie in Davos. Wenn alle zuhören.
3. Zwischenstaatliche Gremien sind delegitimiert
Wen all das nicht überzeugt, der muss sich fragen lassen: Was wäre die Alternative zu diesem informell-formellen-Zusammenkommen? Wer einmal vermeintlich demokratisch legitimierten offiziellen Gipfeln beigewohnt hat – den Klimakonferenzen, Euro-Ratssitzungen oder UN-Runden – weiß erst richtig zu schätzen, mit welch geschäftsmäßiger Effizienz Davos über die Bühne geht. Das soll gar nicht undemokratischen Heimlichtu-Zirkeln das Wort reden. Nur: Davos-Besucher verhandeln oder taktieren nicht nur miteinander, sie sprechen miteinander.
Diese 36 Deutschen besitzen zusammen so viel wie die Hälfte der Deutschen
Der aktuelle Bericht der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam-Bericht zeigt: Im Jahr 2016 besaßen die acht reichsten Männer der Welt zusammengenommen 426 Milliarden Dollar und damit mehr als die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung (3,6 Milliarden Menschen mit insgesamt 409 Milliarden Dollar). Es gibt jedoch auch eine Liste reicher Deutscher, deren Vermögen dem der ärmeren Hälfte der deutschen Bevölkerung entspricht.
Platz 36 der reichsten Deutschen belegt Traudl Engelhorn mit einem Vermögen von insgesamt 3,8 Milliarden Dollar. Demgegenüber steht die Summe von 299,2 Milliarden Dollar: So viel besitzt die ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung zusammen an Immobilien, Bargeld, Kunst, Autos, Aktien und sonstigen Wertgegenständen.
Ebenfalls je 3,8 Milliarden Dollar beträgt das Vermögen der Brüder Herz, deren Familie mit Tchibo verbunden ist. Michael Herz und Wolfgang Herz sind Anteilseigner an Maxingvest.
Auch das Vermögen des im Mai 2016 verstorbenen Heinz-Georg Baus beläuft sich auf insgesamt 3,8 Milliarden Dollar. Der gelernte Schreiner und Glaser gründete 1960 das Unternehmen Bauhaus.
Ralph Dommermuth, Gründer, Vorstandsvorsitzender und größter Aktionär der United Internet AG, kommt auf ein Vermögen von 4,2 Milliarden Dollar.
Bernard Broermann , Gründer der Asklepios Kliniken, besitzt ein Gesamtvermögen von 4,3 Milliarden Dollar.
Die Unternehmerfamilie Reimann ist eine der wohlhabendsten Familien Deutschlands. Den Kern der Gesellschafterfamilie bilden Renate Reimann-Haas, Holdingsprecher Wolfgang Reimann sowie die Cousins Matthias Reimann-Andersen und Stefan Reimann-Andersen. Jeder der vier besitzt ein Vermögen von 4,4 Milliarden Dollar.
Die Gesellschafterin der Schaeffler AG, Maria-Elisabeth Schaeffler, kommt auf ein Vermögen von 4,5 Milliarden Dollar.
Milchmagnat Theo Müller besitzt ebenfalls 4,5 Milliarden Dollar.
Der in Heidelberg geborene Unternehmer Hans Peter Wild, zu dessen Unternehmen die Marke Capri-Sonne gehört, besitzt ein Vermögen von 4,7 Milliarden Dollar. Mittlerweile lebt Wild in der Schweiz.
Auf exakt fünf Milliarden Dollar beläuft sich das Vermögen des ehemaligen Eigentümers der Massa-Märkte, Karl-Heinz Kipp.
Ludwig Merckle, Sohn von Ruth und Adolf Merckle, ist Geschäftsführer der Merckle Unternehmensgruppe und sitzt bei diversen Unternehmen im Aufsichtsrat. Merckles Vermögen beläuft sich auf 5,1 Milliarden Dollar.
Günther Fielmann, Mehrheitsaktionär der Fielmann AG, besitzt 5,3 Milliarden Dollar. Damit belegt er Platz 20 unter den reichsten Deutschen.
Bernhard Aloys Wobben gilt als Pionier im Bereich Windenergie. Der Gründer des Windenergieanlagenherstellers Enercon kommt auf ein Gesamtvermögen von 5,4 Milliarden Dollar.
Heinrich Otto Deichmann, Leiter des Schuheinzelhändlers Deichmann, besitzt ein Vermögen von 5,6 Milliarden Dollar.
Wolfgang Marguerre ist Gründer, Eigentümer und CEO der Octapharma AG. Er besitzt ein Vermögen von 6,1 Milliarden Dollar.
Der im Oktober 2016 verstorbene Curt Engelhorn war bis 1997 Mitgesellschafter des Pharma-Unternehmens Boehringer Mannheim, das seine Familie an Hoffmann-La Roche verkaufte. Engelhorns Vermögen beläuft sich auf 6,2 Milliarden Dollar.
Walter Droege kommt auf ein Vermögen von 6,4 Milliarden Dollar. Er ist Gründer und Leiter des Beratungs- und Investmentunternehmens Droege International Group AG mit Sitz in Düsseldorf.
Der Investor und Bankier, August von Finck, kommt auf ein Gesamtvermögen von 7,6 Milliarden Dollar.
Der SAP-Mitgründer Dietmar Hopp besitzt ein Vermögen von 7,9 Milliarden Dollar.
Schraubenkönig Reinhold Würth besitzt 8,1 Milliarden Dollar.
Udo und Harald Tschira sind die Söhne von Klaus Tschira, einem der Mitgründer des Softwareunternehmens SAP. Ihr Vermögen beläuft sich auf 9,3 Milliarden Dollar.
Ebenfalls ein SAP-Mitgründer ist Hasso Plattner. Sein Vermögen beläuft sich auf 9,5 Milliarden Euro. Damit ist er der zehntreichste Deutsche.
Klaus-Michael Kühne ist Verwaltungsratsmitglied und größter Einzelaktionär des Logistikdienstleisters Kühne + Nagel. Außerdem ist er Anteilseigner des HSV. Kühne besitzt ein Vermögen von zehn Milliarden Dollar.
Heinz Hermann Thiele ist Eigentümer der Knorr-Bremse AG und steht bei Vossloh dem Aufsichtsrat vor. Er besitzt ein Vermögen in Höhe von 11,7 Milliarden Dollar.
Michael Otto, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Otto Gruppe, besitzt ein Vermögen von 15,4 Milliarden Dollar.
Stefan Quandt, BMW-Großaktionär, besitzt 15,6 Milliarden Dollar.
Dieter Schwarz, Gründer und Eigentümer der Schwarz-Gruppe, besitzt ein Vermögen von 16,4 Milliarden Dollar. Damit ist der Lidl- und Kaufland-Chef der fünftreichste Deutsche.
Auf Platz vier folgt der bereits verstorbene Unternehmer Georg Schaeffler. Sein Vermögen beläuft sich auf 18,1 Milliarde Dollar.
Susanne Klatten, Tochter von Herbert und Johanna Quandt, ist mit einem Vermögen von 18,5 Milliarden Dollar die reichste Frau Deutschlands
Theo Albrecht, Gründer von Aldi Nord, ist posthum der zweitreichste Deutsche. Sein Vermögen beläuft sich auf 20,3 Milliarden Dollar.
Der verstorbene Aldi-Gründer Karl Albrecht Jr. und seine Tochter Beate Heister, geborene Albrecht, sind die reichsten Deutschen. Zusammen besitzen sie ein Vermögen in Höhe von 25,9 Milliarden Dollar.
Und welche alternativen Foren bieten diese Gelegenheit sonst noch? Die Vereinten Nationen? Von Trump verachtet, von Europa, ignoriert, von den Schwellenländern als nicht repräsentativ empfunden. Die Europäische Union? Ein Schatten ihrer selbst. Die G20? Ein Wanderzirkus für Staatenlenker, bei dem Rituale Inhalte ersetzen.
Ob Populismus, Protektionismus oder das Scheitern des real existierenden Kapitalismus: Die Weltwirtschaft steht vor einem derartigen Cocktail an Problemen, dass nicht drüber zu reden auch keine Lösung wäre.
Allerdings muss auch klar sein: Nach der Klassenfahrt nach Davos heißt es: rausgehen, die eigene Blase verlassen. Sonst kann man sich den Aufwand im nächsten Jahr wirklich sparen. Filterblasen, in denen Gleichdenkende sich Gleiches sagen, ohne etwas zu lernen, können andere schließlich besser organisieren.