Weltwirtschaftsforum Davos Wie die Wirtschaftselite sich nützlich machen könnte

Im Schweizer Davos trifft sich die so genannte Führungselite der Wirtschaftswelt. Es kommen so viele Teilnehmer wie nie - doch sie haben so wenig Macht wie selten. Warum das Globalisierer-Klassentreffen dennoch wichtig ist. Eine Polemik in drei Punkten.

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World Economic Forum in Davos 2017. Quelle: World Economic Forum - swissimage

Die Welt im Schweizer Davos vor einem Jahr war nicht nur wunderschön verschneit, sie war auch ein einziges Idyll: Quasi zum Grundwissen der beim Weltwirtschaftsforum 2016 versammelten Anführer aus Politik und Wirtschaft gehörte, dass ein Irrer wie Donald Trump niemals Präsident der Vereinigten Staaten werden würde, die Briten auf gar keinen Fall für einen Brexit stimmen könnten und der weltweite Freihandel nie mehr zurückgeworfen werden könne.

So gesehen könnte man nun, da heute das Weltwirtschaftsforum 2017 in dem Graubündner Bergort beginnt, dieses Klassentreffen von 3000 so genannten Angehörigen der Weltwirtschaftselite womöglich ignorieren. Angesichts seines einmaligen Scheiterns bei der Beurteilung anstehender Entwicklungen im vergangenen Jahr könnte dem Jahrestreffen des Forums das Schicksal seines eingeschneiten, nur über eine kleine Straße und die Räthische Eisenbahn zu erreichenden Gastgeberortes ereilen – und es etwas abseits des Geschehens landen.

Doch sollte man die Kraft dieses Ortes und dieser Veranstaltung nicht unterschätzen. Zwar fehlen mit Donald Trump und Angela Merkel zwei nicht ganz unwesentliche Führungskräfte der Weltinnenpolitik. Andererseits unterstreichen der Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping oder der britischen Premier Theresa May, dass Davos auch für, zumindest einige, Sorgenkinder der in Auflösung begriffenen Weltgemeinschaft eine Anlaufstelle bietet.

Die illustre Gästeliste von Davos
Chinas Staatschef Xi JinpingEr ist der „Star“ des diesjährigen Wirtschaftstreffens: Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping reist an der Spitze einer großen Delegation erstmals nach Davos. Peking hat nach Expertenmeinung seit dem Wahlsieg Trumps und dem Brexit-Votum seine Bemühungen forciert, mithilfe regionaler Freihandelsabkommen und der Bereitschaft zum Kampf gegen den Klimawandel eine gewichtigere weltpolitische Rolle zu spielen. Quelle: AP
US-Außenminister John KerryKerry ist der am meisten gereiste Außenminister in der Geschichte der USA. Zum Abschluss seiner letzten Reise als Chefdiplomat wird er am Weltwirtschaftsforum in Davos teilnehmen. Zwei Tage später wird Donald Trump zum US-Präsidenten vereidigt. Der ehemalige Ölunternehmer Rex Tillerson soll Kerrys Amtsnachfolger werden. Quelle: REUTERS
Trump-Berater Anthony ScaramucciProminente Namen aus dem Umfeld des künftigen US-Präsidenten sucht man vergebens. Lediglich der Name Anthony Scaramucci taucht auf der Teilnehmerliste auf. Der New Yorker Financier soll Trump künftig als Berater im Weißen Haus zur Seite stehen. Quelle: AP
US-Vizepräsident Joe BidenDie Delegation der abtretenden Regierung Obama ist hingegen ziemlich hochkarätig besetzt. Neben Außenminister John Kerry reist auch Vizepräsident Joe Biden nach Davos. Quelle: AP
IWF-Chefin Christine LagardeAuch Christine Lagarde kann man in Davos antreffen. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) wurde erst kürzlich von einem Gericht für schuldig erklärt, in ihrer Zeit als französische Finanzministerin fahrlässig gehandelt zu haben. Quelle: AP
Saudischer Energieminister Khalid al-FalihNachdem sich die Opec-Mitglieder und Nichtmitglieder auf eine Ölförderquote geeinigt haben, wird mit Spannung erwartet, ob sich alle Förderstaaten an das Abkommen halten. Saudi-Arabien hat laut Energieminister Khalid Al-Falih seine Ölförderung erst kürzlich auf weniger als 10 Millionen Barrel pro Tag reduziert. Die Förderung liegt damit unter dem mit dem Ölkartell Opec und anderen Ölförderländern vereinbarten Niveau. Quelle: REUTERS
Facebook-Managerin Sheryl SandbergEin zentrales Thema in Davos: Was bedeutet die fortschreitende Digitalisierung für die Menschheit? Unter den IT-Vertretern sticht vor allem der Name von Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg heraus. Quelle: AP

Und die Veranstalter selbst tun einiges, um inhaltlich nicht ähnlich im Abseits zu landen wie im vergangenen Jahr.

Zum einen haben sie das Leitmotto: „Verantwortliches Führen“ über den ursprünglichen Klima-Nachhaltigkeitsgedanken erweitert und wollen nun, schnellschnell, auch die Zukunft der Globalisierung, den Reformbedarf des Kapitalismus und die Teilhabe aller am wirtschaftlichen Fortschritt erörtern. Zum anderen arbeiten sie weiter daran, wenn auch mit überschaubarem Erfolg, die Hegemonie weißer, mittelalter Herren aus der nördlichen Hemisphäre zu brechen: Ein Drittel der 3000 Teilnehmer kommt immerhin aus Weltgegenden jenseits von Europa und Nordamerika. Sogar Frauen sollen darunter sein.

Die Länder mit den meisten Teilnehmern beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos

“Die Welt um uns herum ändert sich so schnell wie nie. Die alten Konzepte von Gesellschaft, Beschäftigung und Nation sind herausgefordert, viele fühlen sich unverstanden und bedroht“, sagt Klaus Schwab, der Chef des Weltwirtschaftsforums. „Wir brauchen ein neues Verständnis verantwortungsvoller Führung.“ Das klingt erstmal ein wenig wolkig, ist angesichts der Adressaten in Davos aber ungewöhnlich deutlich: Schließlich treffen sich dort jene, die an nicht ganz unentscheidenden Stellen in den vergangenen Jahren saßen. Sie müssen sich entsprechend nach ihrer Verantwortung für die von Schwab geschilderten Missstände fragen lassen.

Nun sind Abgesänge auf das Eliten-Stelldichein so alt wie die Veranstaltung selbst. „Abgehoben“, „abseitig“, „überkommen“ sind seit Jahre Adjektive, die sich zum Forum gesellt haben. Und vermutlich lässt sich wirklich diskutieren, ob es noch zeitgemäß ist, dass sich 3000 eher besser gestellte Herren für vier Tage in ein schlecht erschlossenes Städtchen in den Schweizer Alpen zurückziehen, um über dies und das zu reden.

Andererseits: Was wäre die Alternative? Und ist die Veranstaltung nicht bei genauerem Hinsehen doch besser als ihr Ruf? Drei Gründe sprechen jedenfalls dafür:

Drei Gründe für das Weltwirtschaftsforum

1. Es trifft, wer sich sonst eher nicht trifft

Der am meisten umgarnte Mann in Davos wird in diesem Jahr vermutlich Anthony Scaramucci. Der Amerikaner mit dem italienischen Namen gehört als Gründer und Gesellschafter von SkyBridge-Capital schon länger zum Inventar der Davos-Teilnehmer. Er sitzt auf Podien, pflegt sein Netzwerk, gibt Auskunft zum Zustand des Kapitalismus.

In diesem Jahr aber wird er nicht nur von geschäftstüchtigen Davos-Gästen umschwärmt werden, sondern wohl auch von den politischen Gästen. Denn Scaramucci gilt als inoffizieller Botschafter des gewählten US-Präsidenten Donald Trump, der am letzten Tag von Davos in Washington auch offiziell sein Amt antreten wird. Die beiden verbindet nicht nur Scaramuccis Einsatz als Spendensammler im Trump-Wahlkampf, der President-Elect berief Scaramucci auch als Wirtschaftsberater für sein White-House-Team. In Davos soll er nun vor allem den weithin verschreckten Europäern die Distanz zu Trump etwas nehmen.

Und nicht nur die Europäer sollen etwas beruhigt werden. Scaramucci soll, heißt es im Vorfeld, ebenfalls an einem Treffen Trump nahe stehender Amerikaner mit der chinesischen Delegation, die in Davos von Präsident Xi Jinping angeführt wird, teilnehmen. Zwischen beiden Großmächten kriselt es, seitdem Trump China wegen der deutlichen Exportorientierung seiner Wirtschaftspolitik attackiert hat. Für Gespräch dieser Art, auf halboffizieller Ebene, jenseits des Protokolls, ist das Treffen in den Schweizer Bergen noch immer unübertroffen.

2. Wer den Herausforderungen begegnen will, sollte seinen Standpunkt überarbeiten

Es kann nicht im Interesse der Liberalen auf dieser Welt sein, die sich andeutenden Mehrheitsverhältnisse gegen wirtschaftliche Freiheit und politischen Liberalismus einfach hinzunehmen. Wer den Trumps, Petrys und Le Pens dieser Welt aber etwas entgegensetzen will, sollte sich nicht auf Ursachenanalyse für deren Erfolg konzentrieren, sondern auch an einem gemeinsamen Standpunkt, der wieder mehrheitsfähig werden könnte, arbeiten. Hausaufgaben gäbe es da genug.

Es darf keine einfachen Antworten auf die Probleme der Welt geben. Natürlich provoziert der Populismus mit seinen einfachen Antworten eben solche, um die gleichen Wähler abzufangen. Nur: Einfache Antworten werden an einer komplexen Welt scheitern. Die Enttäuschung wird danach noch größer sein. Die Reaktion auf schlechten Protest kann nicht schlechtes Gestalten sein – sondern gutes Gestalten. Davon sind die Eliten in Politik und Wirtschaft in den vergangenen Jahren abgekommen. Wo, wenn nicht im geschützten Davoser Raum unter ihresgleichen könnte ein kraftvoller Ansatz, sich aus der Falle zu befreien, diskutiert werden?

Um das zu verstehen, lohnt es sich, in der Zeit nochmal ein Jahr zurückzugehen. Da stand an beim Weltwirtschaftsforum 2016 ausgerechnet der amerikanische Vize-Präsident, Joe Biden, in Davos an einem Pult und redete sich so richtig in Rage. Biden, das muss man wissen, wird unter seinen demokratischen Parteifreunden in Washington gerne als „Mittelschichts-Joe“ verspottet, weil er zu sehr auf den „kleinen Mann“ achte. An diesem Abend aber lief Mittelschichts-Joe zu großer Form auf. Biden forderte von der versammelten Elite, die „Aushöhlung der Mittelschicht“ zu bekämpfen.

Problemcocktail der Weltwirtschaft

Irgendwie aber haben seine Zuhörer von damals, als sie Davos verließen, die Botschaft offenbar vergessen. Und so blieben die Krisenpunkte des Kapitalismus unbearbeitet:

- Die Globalisierung war keine Öffnung der Grenzen für fairen Handel, sondern ein Konjunkturprogramm für die Oberschicht.

- Die Digitalisierung ist keine Bewegung für eine bessere Welt, sondern für eine Abkopplung der Elite.

- Die Wachstumsgewinne der jüngeren Vergangenheit haben vor allem noch mehr Wohlstand für Vermögende geschaffen und sind nicht in die unteren Vermögensschichten durchgesickert.

- Die Aufnahme von Migranten ist nicht gelebte Nächstenliebe, sondern auch verschärfter Wettbewerb um Ressourcen am unteren Ende der Wohlstandsskala.

Der chinesische Präsident wird am Sonntag zu einem Staatsbesuch in die Schweiz reisen. Anschließend wird er den Weltwirtschaftsgipfel, die Vereinten Nationen in Genf und die Weltgesundheitsorganisation besuchen.

Schon Ralf Dahrendorf mahnte in seinem Essay „Acht Anmerkungen zum Populismus“ davor, die Bezichtigung für den Beweis zu halten: „Der Populismus-Vorwurf kann selbst populistisch sein“, schrieb er. Nämlich dann, wenn er Gründe mit Rhetorik zu überdecken versucht. Das ist der Auftrag an die Menschen von Davos in diesen Tagen: Gründe akzeptieren und dann Lösungen zu diskutieren. Die Szene mit Biden aus dem vergangenen Jahre zeigt: Nirgends ist so viel Platz für kluge Gedanken wie in Davos. Wenn alle zuhören.

3. Zwischenstaatliche Gremien sind delegitimiert

Wen all das nicht überzeugt, der muss sich fragen lassen: Was wäre die Alternative zu diesem informell-formellen-Zusammenkommen? Wer einmal vermeintlich demokratisch legitimierten offiziellen Gipfeln beigewohnt hat – den Klimakonferenzen, Euro-Ratssitzungen oder UN-Runden – weiß erst richtig zu schätzen, mit welch geschäftsmäßiger Effizienz Davos über die Bühne geht. Das soll gar nicht undemokratischen Heimlichtu-Zirkeln das Wort reden. Nur: Davos-Besucher verhandeln oder taktieren nicht nur miteinander, sie sprechen miteinander.

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Und welche alternativen Foren bieten diese Gelegenheit sonst noch? Die Vereinten Nationen? Von Trump verachtet, von Europa, ignoriert, von den Schwellenländern als nicht repräsentativ empfunden. Die Europäische Union? Ein Schatten ihrer selbst. Die G20? Ein Wanderzirkus für Staatenlenker, bei dem Rituale Inhalte ersetzen.

Ob Populismus, Protektionismus oder das Scheitern des real existierenden Kapitalismus: Die Weltwirtschaft steht vor einem derartigen Cocktail an Problemen, dass nicht drüber zu reden auch keine Lösung wäre.

Allerdings muss auch klar sein: Nach der Klassenfahrt nach Davos heißt es: rausgehen, die eigene Blase verlassen. Sonst kann man sich den Aufwand im nächsten Jahr wirklich sparen. Filterblasen, in denen Gleichdenkende sich Gleiches sagen, ohne etwas zu lernen, können andere schließlich besser organisieren.

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