Der monströse mediale Zirkus des Weltwirtschaftsforums in Davos geht zu Ende. Die Partyzelte werden abgebaut, ein paar Tage lang fliegen aus dem Hochtal noch die Lastenhubschrauber die großen Zusammensteck-Elemente hinaus, die nicht über die kurvige Bergstraße abtransportiert werden. Die Präsidenten und Wirtschaftsführer, die zahlreichen Vertreter der globalen Weltverbesserungsgruppen und -Stiftungen, die klugen Köpfe der Universitäten und Thinktanks, die Journalisten, Lobbyisten, die Vorzeige-Buddhisten und Bestsellerautoren, Nobelpreisträger, Visionäre, Spinner, Kapitalisten und Antikapitalisten, Feministinnen, Visagisten, Garderobefrauen und Kellner fahren nach Hause. Ist jetzt die Welt irgendwie besser geworden? Klaus Engel, der Vorstandschef des Chemiekonzerns Evonik hat daran so seine Zweifel, jedes Jahr aus Neue und für sich nachgerechnet: 15 Mal allein am Mittwoch musste er durch eine Sicherheitsschleuse in einem zugigen Zelt; 15 Mal die Taschen leeren, das Handy auspacken, sich befingern lassen, dann 15 Mal die Schlange durchstehen an der ebenso zugigen und immer überfüllten Garderobe mit schwerer Wintergarderobe: Da stellt sich schon die Sinnfrage.
Darüber diskutiert Davos
Das besonders stark gesicherte Treffen unter dem Motto „Vertrauen schaffen“ war überschattet von Kriegsangst und Terrorbedrohung. 2004: Unter dem Motto „Zusammenschließen für Sicherheit und Wachstum“ stand die Kooperation der USA mit Europa in Wirtschafts- und Sicherheitsfragen im Mittelpunkt.
Themen wie internationale Krisenherde, Fragen des Welthandels und Umweltschutz wurden unter dem Motto „Verantwortung für schwierige Entscheidungen übernehmen“ zusammengefasst.
Die Teilnehmer sprachen unter dem Motto „Der kreative Imperativ“ vor allem über die aufstrebenden Volkswirtschaften von China und Indien, die Arbeitslosigkeit und Energiefragen.
Ein Hauptthema waren die Folgen des Klimawandels für die Umwelt und damit auch für die Wirtschaft. Das Motto: „Veränderungen im globalen Machtgefüge mitgestalten“.
Die Finanzkrise mit Turbulenzen an den internationalen Börsen war ein beherrschendes Thema des Treffens mit dem Motto „Die Kraft gemeinschaftlicher Innovationen“.
Das Forum mit dem Motto „Die Welt für die Zeit nach der Krise gestalten“ endete ohne konkrete Lösungsvorschläge für die globale Wirtschafts- und Finanzkrise.
Unter dem Motto „Den Zustand der Welt verbessern: überdenken, umgestalten, erneuern“ sahen mehrere Redner die Verantwortung für die Finanzkrise bei den Banken.
Hohe Schuldenberge, teure Rohstoffe, die Euro-Krise und Risiken beim Boom in China und Indien waren Themen unter dem Motto: „Gemeinsame Normen für eine neue Realität“.
Unter dem Motto „Die große Transformation - neue Modelle gestalten“ ging es unter anderem um die Euro-Krise, die Demokratiebewegungen in der Arabischen Welt und explodierende Nahrungsmittelpreise. 2013: Wege aus der Krise und der aktuelle Streit um ein vom britischen Premierminister David Cameron angekündigtes Referendum über den Austritt seines Landes aus der EU bestimmen die Diskussionen.
Der 2013-Gipfel stand einmal mehr im Zeichen der Euro-Krise. Die Regierungschefs von Italien und den Niederlanden, Mario Monti und Mark Rutte, EZB-Präsident Mario Draghi und IWF-Chefin Christine Lagarde – aber auch Deutschland-Kritiker wie Ökonom Joseph Stiglitz und Börsen-Guru George Soros (am Samstag) streiteten neben der Bundeskanzlerin über Ursachen und Auswege aus der Schuldenkrise.
Darüber hinaus wurde vor allem über Russland, die Globalisierung und Protektionismus gesprochen. Das offizielle Motto des 43. Weltwirtschaftsforums heißt sehr offen formuliert "Resilient Dynamism" (Widerstandsfähige Dynamik).
Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt nimmt in der kommenden Woche wieder ein Präsident des Iran am Treffen der politischen und wirtschaftlichen Weltelite in Davos teil. Von Präsident Hassan Ruhani werden beim Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums Aussagen zum Atomprogramm sowie Werbung für Investitionen im Iran erwartet.
Die Beratungen stehen unter dem Motto „Die Neugestaltung der Welt: Konsequenzen für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft“. Insgesamt werden rund 2500 Teilnehmer aus fast 100 Ländern erwartet.
Nicht immer hat man das Glück, das vor einem ausgerechnet Marissa Mayer von Yahoo die Bergstiefel in High Heels wechselt und eine männliche Stützschulter gern in
Anspruch nimmt, was eine temporäre Nähe zu dem kühlen blonden Star ermöglicht und mich zum Wissenden am Abend bei der Bar-Abhängfrage: Fällt der Yahoo-Kurs, weil
MM schwanger ist? Wenn alle mächtig und wichtig und viele davon gleichzeitig da sind, stehen auch alle Mächtigen und Wichtigen in der Warteschlange und sind gleich wie im
Schlafsaal der Jugendherberge, Klatsch und Essen sind auch nicht besser, nur teurer: ein Sandwich und ein Wasser für 41 Euro, und das bei sechsstelliger Teilnehmergebühr. Mal ist es viel zu kalt, mal andersherum, weswegen Wolfgang Schäuble sich vielmals entschuldigt für sein langanhaltendes und häufiges Gähnen.
Nur wenige Frauen unter den »worldLeadern«
Seit Stunden empfängt er im 30-Minutentakt Journalisten und Finanzmanager, und in dem engen fensterlosen Kabuff herrscht seit zwei Tage Mangel genau an dem, wofür der Lungen-Kurort berühmt wurde: Sauerstoff. Davos, seine gedrängte Enge und notorische Überfüllung, das WEF von innen ist weit weniger glamourös als von außen. Klar gibt es am Abend rauschende Partys, bei denen sich nüchterne Unternehmensberater für ein paar Stunden psychedelisch geben mit blinkenden Anhängern und Neonbrillen. Und klar, tags wird in Interviews beklagt, dass nur 15 Prozent Frauen unter den »worldLeadern« sind, was die indische Feministin Kavita Ramdas die Frage nach der Definition von Leadership
Fragen stellen lässt: Wie definiert und selektiert den WEF-Organisator Klaus Schwab die Mächtigen und die Klugen? Wenn lädt der moderne König Arthur an seine Tafelrunde, wie viel Männer und Frauen? Am Abend jedenfalls ist das Geschlechterverhältnis ausgeglichen zugunsten ungewöhnlich schöner, junger und kluger Frauen die von irgendwoher auftauchen; irgendwie funktioniert das mit Frauen und Macht weiterhin nach einem uralten Muster. Was natürlich Moira Forbes, die junge Erbin des alten Verlagsimperiums auf ihrem jährlichen Davos-Treffen mit den mächtigsten 100 Frauen zurückweist. Frauen müssten sich eben klare Ziele setzen, fordert sie. Aber bessert sich so die Welt?
Vermutlich am wenigsten da, wo die Weltverbesserer sitzen. Matt Damon möchte über für den Zugang zu sauberem Wasser in der Dritten Welt sprechen. Der Andrang zu seinen Veranstaltungen ist groß – doch den meisten geht es nicht darum, über Hygiene, Brunnen und Klärwerke zu sprechen, sondern ein Schnappschuss mit dem iPad oder iPhone von dem Hollywoodstar zu machen. Die vermeintliche Elite wird zu Groupies. Auch Bill Gates ist da, der seine Microsoft-Milliarden jetzt für Entwicklungshilfe ausgibt; es sind viele und die Wirkung vor Ort ist messbar, seine Projekte effizienter als die staatlicher Entwicklungshelfer. Aber neben ihm sitzt der Spekulant George Soros, und an ihm wird die Fragwürdigkeit deutlich: An vielen Runden von Davos nehmen Abgesandte der vielen von Soros finanzierten Thinktanks Teil.
Davos als Ort der Einflüsterer
Nicht immer geht es dabei um Fortschritt, zu häufig drängt sich das Gefühl auf, dass hier Argumente vorgetragen werden, die nur Munition für Soros und seine milliardenschweren Spekulationsgeschäfte sind, mit denen er Länder und Währungen in die Knie zwingt und so Menschen ausplündert, denen er anschließend mittels Stipendien großmütig zu Hilfe eilt. Soros ist einer der Schattenmänner, der Financier vieler Strippenzieher. Davos ist auch der Ort der Einflüsterer und Spin-Doktoren, und das Gesamte Weltwirtschaftsforum eine Art globaler Bazar: Ideen, Sichtweisen, Konzepte werden ausgetauscht, be- und zerredet, präsentiert und diskutiert. Es ist ein Ort der Inszenierung und Selbstdarstellung vor einer Weltöffentlichkeit, die von hunderten Journalisten, TV-Stationen, Agenturen, elektronischer Streams und auf allen flackernden Kanälen der Social Media global transportiert wird. So entsteht ein globales Paradigma der Wahrnehmung aus der ständig redenden, plappernden, diskutierenden, Papiere produzierenden Menge überdurchschnittlich schlauer und meinungsstarker Menschen in den Sälen, Hotels und Vorräumen des verwinkelten Kongresszentrums. Sie sind Redner, Rezipienten und Multiplikatoren sowie Lautsprecher und Verstärker in einem. So entstehen Themen und Sichtweisen.
In diesem Jahr etwa staunte die Weltöffentlichkeit im Plenarsaal und dann an den Fernsehern über die Charmeoffensive der iranischen Mullahs, die lächelten statt so finster zu blicken wie noch vor einem Jahr. Dass sie inhaltlich wenig Neues verkündeten, registrierten fast nur die Israelis um Benjamin Netanyahu und Shimon Peres. Auch EZB-Präsident Mario Draghi („Die Euro-Zone ist stabil, die Zentralbank hält sich an die Gesetze“) und Japan gelang es eindrucksvoll, die Eindrücke zu vermitteln, die genehm sind. Nicht über die sich immer weiter auftürmenden Schulden Japans wird gesprochen, sondern über das Reformprogramm: Eine 30-Prozentquote für Frauen und mehr erneuerbare Energien, verspricht Präsident Shinzo Abe, und so etwas verschafft in der aktuellen Währungskrise erst mal Luft.
Denn längst präsentieren sich Länder wie man es sonst nur von Unternehmen vor Investoren kennt. Sie stellen ihre Vorzüge heraus, locken mit bunten Pavillons wie Indien Geldgeber, Versprechen über Aufkleber auf den Stadtbussen von Davos hohe Renditen wie Aserbeidschan oder demonstrieren ihren ungebrochen wachsenden Machtanspruch wie China, das seine Funktionäre mit erhobenem Zeigefinger durch die Hörsäle von Davos schickt und nach Jahrzehnten kolonialer Demütigung durch den Westen nun seinerseits Ratschläge erteilt: Also, solange Deutschland nicht endlich seine Gewerkschaften bändige werde das nichts mehr mit Wachstum.
Wer hier nicht isst, ist nicht
Für Henkel-Chef Kaspar Rorsted ist daher Davos „der beste Ausbildungsplatz weltweit“. Nirgendwo könne man in so kurzer Zeit so viele Entscheidungsträger treffen und sich nebenbei über die jeweiligen kontinentalen Machtverschiebungen schlau machen. Denn die Iranischen Machthaber reden ja nicht nur auf der Bühne. Dahinter und davor und danach finden die vielen Gespräche in immer neuen Zirkeln und Runden statt, in denen letztlich die Grundlage für die nächsten globalen Investitionsrunden gelegt werden. „Besuchen Sie unser Land, überzeugen Sie sich von den Chancen, die sich Ihnen hier bieten“, wirbt Rohani – als einer von Vielen.
Und so taktet nicht nur Rorsted seine Davoser Tage durch wie die Agenda einer Vorstandssitzung: Jeden Tag 20 Gespräche und am Abend ist ein Dinner oder eine Party für jeweils einen Halb-Kontinent dran: Freitag mit Gesprächspartnern aus den USA, Donnerstag Naher Osten, und am Mittwoch war es zu Beginn ein Treffen mit allen deutschen Bossen. Dazu lädt der Stahlindustrielle und frühere RWE-Chef Jürgen Grossmann ein, auch einer der legendären Davosianer. Seine Meeresfrüchtetafel in den Bergen ist berühmt, der Ingwerschnaps bringt Veronika Ferres zum Erstickungsanfall und seine Herzlichkeit die zerbrochene Deutschland AG wenigstens für einen Abend wieder ins Leben zurück. Soviel Dax wie Grossmann bringt sonst nicht einmal die Bundesregierung an einen Tisch. Wer hier nicht isst, ist nicht.
In früheren Jahren bat am Morgen nach dem Grossmann-Dinner der Bundeswirtschaftsminister zu Tisch. Unauffällig wurde da Wirtschaftspolitik koordiniert, erinnern sich Teilnehmer. Die neue Bundesregierung dagegen fremdelt noch mit Wirtschaft und Davos. Dabei war in den vergangenen Jahren Deutschland gefeiert worden als Wirtschaftsmotor und letzte verbliebene Gestaltungsmacht Europas. Heuer - Leerstelle. Die Bundeskanzlerin weilt lieber in Meseberg als in den Schweizer Bergen, sie schickt ihren Wirtschafts- und Entwicklungsminister. Die neue Bundesregierung wirkt, als ob sie sich selbst genügt und sich gleichzeitig peinlich ist und daher erst gar nicht mehr versucht, ihr Handeln zu erklären. Tatsächlich herrscht in der via Davos vermittelten Weltöffentlichkeit Kopfschütteln über die Rente mit 63 Jahren. Denn weltweit altert die Bevölkerung, und die deutsche Rente mit 67 galt als Beispiel für weitsichtige und nachhaltige Politik. Und jetzt zurück in die Vergangenheit?
Wirklichkeitsverweigerung ist kein Exportartikel
300 Millionen Jugendliche sind weltweit arbeitslos, und immer wieder wurde die Frage gestellt, wieso das denn ausgerechnet in Deutschland anders ist. Jetzt Erstaunen über die
neue deutsche Rückkehr zum blockierten Arbeitsmarkt, indem mit Mindestlöhnen Jugendlichen den Zugang verweht wird. Und angesichts weltweit sinkender Energiepreise und einer ungeheuren Attraktionskraft der USA als neu-alter industrieller Standort mit preiswerten Energien globale Verblüffung über die ebenso hilflose wie halbherzige, globale Trends ignorierende Energiepolitik in Deutschland. Die Groko duckt sich zu Recht weg, sagt Dennis J. Snower vom Institut für Weltwirtschaft Kiel, denn Nabelschau, gestrige Konzepte und Wirklichkeitsverweigerung sind kein globaler Exportartikel. Der britische Premier David Cameron wirbt energisch dafür, dass Europa seine Chancen nicht verspielen möge. Mehr Flexibilität bringe Wachstum und Jobs, nicht immer mehr Gesetze und Vorschriften aus Brüssel. Das gelte insbesondere auch in der Energiepolitik. „Wir dürften nicht vorschnell, Fracking verteufeln. Lasst uns analysieren, wie groß die Chancen und Risiken sind“, fordert er.
Eher unwillig verteidigt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble den Kurs der Bundesregierung. In vier Jahren, sagt er, seien die heutigen Partner wieder Hauptkonkurrenten und politische Aktionen wie die gewaltige Umverteilung ohnehin selten nachhaltig. Nehmt es nicht zu Ernst, ist seine Botschaft. Schäuble, der alte Fahrensmann der Politik, hat Geduld. Hoffentlich die Weltwirtschaft auch.
Aber verbessert sich der Zustand der Welt durch diese Mechanismen der Meinungsbildung mit sofortiger medialer Umsetzung? Wer die Frage so stellt wie nach einem religiösen Erlösungsversprechen erhält ein Nein. Wie auch anders? Den einen roten Knopf, der alle Sorgen beseitigt, die eine, und dann bitte auch noch einfache Weltformel gibt es nicht. Aber darüber reden und voneinander lernen hilft schon und verbessert die Lage der Welt. Und wahrscheinlich ist das das eigentliche Geheimnis von Davos und der ständig wachsenden Teilnehmerschaft aus der nur schnatternden oder tatsächlich entscheidenden Elite der Welt: Diesen verletzlichen blauen Planeten nicht mehr nur aus einer Perspektive zu sehen, sondern aus vielen, auch widersprechenden; die eigenen Argumente zu messen und zu testenden anderen und sich verblüffen zu lassen über noch nie gehörte Ansätze in Forschung und Wissenschaft: das verbessert die Welt. Vielleicht kriegt WEF-Gründer Klaus Schwab ja doch noch den Friedensnobelpreis; der ging jedenfalls schon an Menschen mit weit geringerer Wirkung.