"Bist Du glücklich?" Li scheint die Frage nicht zu verstehen. Ich frage anders. "Was sind Probleme in deinem Leben?"
Sie scheint lange nachzudenken. Die 34-Jährige sitzt mit einem schmuddeligen, pinken Anorak in einem kalten Zimmer in einer Wanderarbeitersiedlung in der Nähe einer Stadtautobahn in Shanghai. In dem Raum hängen Plastiktüten, manche davon mit Essen, andere mit Gebrauchsgegenständen wie einer Zahnbürste. In der Ecke steht ein Fernseher und ein ausrangierter Computer. Eine Glühbirne ohne Lampenschirm hängt von der Decke. Draußen zeigt die Messstation des amerikanischen Konsulats an, dass der Smog von Shanghai "very unhealthy" ist.
"Ich könnte noch ein bisschen mehr Geld verdienen", sagt Li nach einiger Zeit. "Und ich würde gerne meine Tochter öfter sehen."
Glück ist nur schwer messbar. Nur einen todunglücklichen Eindruck macht die Frau nicht. Trotz des Smogs, trotz ihrer 70-Stunden-Woche, trotz ihres Verdienstes von umgerechnet 600 Euro und trotz der Tatsache, dass sie ihre Tochter nur ein paar Mal im Jahr sieht. Schließlich sagt sie den Satz, den fast alle 250 Millionen Wanderarbeiter in China äußern, wenn man sie auf ihr Schicksal anspricht. Es ist ein ebenso trauriger, wie kraftvoller Satz. Li sagt: "Es geht mir gut. Denn früher hatten wir nur Reis zu essen. Jetzt haben wir jeden Tag Fleisch und Gemüse."
China
2013: 7,7 Prozent
2014: 8,1 Prozent
2013: 2,7 Prozent
2014: 2,7 Prozent
2013: 4,1 Prozent
2014: 4,0 Prozent
IHS Global Insight
Seit über zwei Jahren lebe ich jetzt in China. Ich hasse das Leben dort manchmal, weil es oft zu laut, zu achtlos, zu kalt, zu heiß, zu reich oder zu arm ist. An schlechten Tagen spuckt mir eine ältere Dame geräuschvoll vor die Füße, steigt ein Wanderarbeiter mit Zigarette in den Lift ein und ein Taxifahrer bringt mich aus der Altstadt nach Pudong, ohne auch nur ein einziges Wort von sich zu geben - von einem Grunzen abgesehen. An solchen Tagen sind die Smog-Werte so hoch, dass ein gelber Schleier über der Stadt liegt und eine feuchte Kälte mich meine Knochen spüren lässt. Es ist kaum möglich, ein Stück schöne Natur zu sehen, ohne die Stadt mit dem Flugzeug zu verlassen. Ich sehne mich nach Deutschland an diesen Tagen - ein Land, das mir zunehmend fremder wird.
Die meisten meiner Freunde, die ich über Weihnachten besuchte, haben vor kurzem Kinder bekommen. Sie alle sind Anfang 30. Das erste Paar hat einen sechs Monate alten Sohn. Beide arbeiten zur Zeit nicht. Er ist Freiberufler, sie in Elternzeit. Anfang Januar fliegen sie für mehrere Wochen in den Urlaub.
Das zweite Paar, zwei Juristen, arbeitet ebenfalls nicht. Für die Stadtwohnung in München an der Isar müssen sie keine Miete zahlen. Er hat vor drei Monaten seine gut bezahlte Stellung gekündigt, weil beide keinen Lust hatten, in eine andere Stadt zu ziehen, wie es der Arbeitgeber verlangt hätte (das ist zugegeben stark vereinfacht, doch trifft den Kern).