Wie ein Deutscher in China sein Land sieht Deutschland - das Land der Freizeitoptimierer

Arbeit ist entweder Vehikel zur Selbstverwirklichung oder lästige Notwendigkeit geworden. Unser China-Korrespondent Philipp Matheis beschreibt seine veränderte Sicht auf den deutschen Wohlstand.

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Deutsche sehen China als Bedrohung
Wirtschaftsmacht37 Prozent der befragten Deutschen assoziieren mit China vor allem eine starke Wirtschaftsmacht. Faszination und Angst polarisieren hierzulande die Bevölkerung im Bezug auf Chinas ökonomische Stärke. Das Land wird als Schlüsselrolle für die eigene und internationale Entwicklung gesehen und 57 Prozent der Befragten beurteilen die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen sogar als wichtiger als die zu den USA. Gleichzeitig geht mit dem Wirtschaftsboom Chinas aber auch die Angst einher, chinesische Unternehmen könnten deutsche Firmen von den internationalen Märkten verdrängen. 59 Prozent der Deutschen empfinden Chinas starke Wirtschaft daher als Bedrohung. Quelle: dpa/dpaweb
BevölkerungswachstumBabyboom und Bevölkerungswachstum, daran denken 20 Prozent der Deutschen, wenn sie das Stichwort China hören. Derzeit leben 1,35 Milliarden Menschen in China, die Bevölkerungsdichte beträgt 143 Einwohner pro Quadratkilometer. Doch die Bevölkerung wird noch weiter wachsen, um 0,6 Prozent pro Jahr. Für 2032 rechnen Statistiken mit 1,467 Milliarden Menschen in China, bei einer gleichbleibenden Fertilitätsrate von 1,7 Kindern pro Frau. Viele Deutsche sehen das auch als Bedrohung an. Quelle: REUTERS
Kommunismus15 Prozent fällt spontan der Kommunismus ein, wenn sie an China denken. Während China im ökonomischen Bereich erfolgreich in den internationalen Handel eingebettet wurde und sich für ausländische Investoren geöffnet hat, ist das Land politisch in den Augen der Deutschen weiterhin ein diktatorisches Ein-Parteien-System unter Führung der Kommunistischen Partei. Die ist mit etwa 78 Millionen Mitglieder nicht nur die größte kommunistische Partei der Welt, sondern auch die mitgliederstärkste Partei allgemein. Deutsche verbinden mit ihr ein vornehmlich negatives Bild. Quelle: REUTERS
Chinesische MauerMan kennt sie aus Reiseprospekten und gefühlt jedes zweite China-Restaurant ist nach ihr benannt. Nicht weiter verwunderlich also, dass 15 Prozent der Befragten mit China die Chinesische Mauer assoziieren. Sie gilt als Weltkulturerbe und erstreckt sich über 21.196 Kilometer. Früher sollte die Mauer vor allem zum Schutz vor Völkern aus dem Norden dienen, heute ist sie eine der meistbesuchten Touristenattraktionen Chinas und lockt Reisende aus aller Welt an. 36 Prozent der Befragten haben daher sehr großes oder großes Interesse an China als Reiseland. Quelle: dpa
Chinesisches EssenPeking-Ente, Reis süß-sauer - und das alles mit Stäbchen: 14 Prozent der befragten Deutschen denken beim Stichwort China an chinesisches Essen. Was Viele aber nicht wissen: Chinesisches Essen ist nicht gleich chinesisches Essen. Die meisten der 23 Provinzen Chinas haben ihre eigene Regionalküche. Zu den populärsten gehört die würzige Küche aus Sichuan, die gerne Sojasauce, Ingwer und Frühlingszwiebeln verwendet, die scharfe Xiang-Küche aus Hunan und die kantonesische Yue-Küche, die vor allem durch die Verwendung ungewöhnlicher Zutaten wie Hundefleisch bekannt geworden ist. Übrigens: Die Peking-Ente ist das berühmteste Gericht der chinesischen Küche. Quelle: REUTERS
MenschenrechtsmissachtungEbenfalls 14 Prozent fallen zu China Menschenrechtsverletzungen ein. Auf die Frage, wo sie das Land gegenwärtig und in 15 Jahren beim Schutz der Menschenrechte sehen, ordneten 60 Prozent der Befragten die Volksrepublik in die Schlussgruppe ein, nur 1 Prozent sieht China als Spitzengruppe in Bezug auf Menschenrechte. Auch das Bild Chinas als ein Rechtsstaat stößt auf wenig Zustimmung bei den Deutschen. 49 Prozent stimmten der Aussagen gar nicht zur, nur 1 Prozent sieht China als Rechtsstaat an. 80 Prozent der befragten Bevölkerung geht außerdem davon aus, dass in China kaum oder keine Debatten über politische Themen geführt werden. Quelle: dpa
Diebstahl von Ideen12 Prozent denken, China spioniere deutsche Unternehmen aus und verkaufe die Ideen aus dem Westen als eigene. Nachgebaute Ware aus China, oft zum Spottpreis, macht deutschen Unternehmen das Leben schwer. Auch das Markenimage chinesischer Produkte ist bei den befragten Deutschen schlecht. So assoziieren viele Konsumenten in Deutschland chinesische Produkte mit einfache, technisch wenig anspruchsvolle Billigware. Quelle: dpa

"Bist Du glücklich?" Li scheint die Frage nicht zu verstehen. Ich frage anders. "Was sind Probleme in deinem Leben?"

Sie scheint lange nachzudenken. Die 34-Jährige sitzt mit einem schmuddeligen, pinken Anorak in einem kalten Zimmer in einer Wanderarbeitersiedlung in der Nähe einer Stadtautobahn in Shanghai. In dem Raum hängen Plastiktüten, manche davon mit Essen, andere mit Gebrauchsgegenständen wie einer Zahnbürste. In der Ecke steht ein Fernseher und ein ausrangierter Computer. Eine Glühbirne ohne Lampenschirm hängt von der Decke. Draußen zeigt die Messstation des amerikanischen Konsulats an, dass der Smog von Shanghai "very unhealthy" ist.

"Ich könnte noch ein bisschen mehr Geld verdienen", sagt Li nach einiger Zeit. "Und ich würde gerne meine Tochter öfter sehen."

Glück ist nur schwer messbar. Nur einen todunglücklichen Eindruck macht die Frau nicht. Trotz des Smogs, trotz ihrer 70-Stunden-Woche, trotz ihres Verdienstes von umgerechnet 600 Euro und trotz der Tatsache, dass sie ihre Tochter nur ein paar Mal im Jahr sieht. Schließlich sagt sie den Satz, den fast alle 250 Millionen Wanderarbeiter in China äußern, wenn man sie auf ihr Schicksal anspricht. Es ist ein ebenso trauriger, wie kraftvoller Satz. Li sagt: "Es geht mir gut. Denn früher hatten wir nur Reis zu essen. Jetzt haben wir jeden Tag Fleisch und Gemüse."

China

Seit über zwei Jahren lebe ich jetzt in China. Ich hasse das Leben dort manchmal, weil es oft zu laut, zu achtlos, zu kalt, zu heiß, zu reich oder zu arm ist. An schlechten Tagen spuckt mir eine ältere Dame geräuschvoll vor die Füße, steigt ein Wanderarbeiter mit Zigarette in den Lift ein und ein Taxifahrer bringt mich aus der Altstadt nach Pudong, ohne auch nur ein einziges Wort von sich zu geben - von einem Grunzen abgesehen. An solchen Tagen sind die Smog-Werte so hoch, dass ein gelber Schleier über der Stadt liegt und eine feuchte Kälte mich meine Knochen spüren lässt. Es ist kaum möglich, ein Stück schöne Natur zu sehen, ohne die Stadt mit dem Flugzeug zu verlassen. Ich sehne mich nach Deutschland an diesen Tagen - ein Land, das mir zunehmend fremder wird.

Die meisten meiner Freunde, die ich über Weihnachten besuchte, haben vor kurzem Kinder bekommen. Sie alle sind Anfang 30. Das erste Paar hat einen sechs Monate alten Sohn. Beide arbeiten zur Zeit nicht. Er ist Freiberufler, sie in Elternzeit. Anfang Januar fliegen sie für mehrere Wochen in den Urlaub.

Das zweite Paar, zwei Juristen, arbeitet ebenfalls nicht. Für die Stadtwohnung in München an der Isar müssen sie keine Miete zahlen. Er hat vor drei Monaten seine gut bezahlte Stellung gekündigt, weil beide keinen Lust hatten, in eine andere Stadt zu ziehen, wie es der Arbeitgeber verlangt hätte (das ist zugegeben stark vereinfacht, doch trifft den Kern).

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