Wie in der Sowjetunion? Chinas Kommunisten warnen vor Untergang

Das Wachstum geht zurück. Spannungen nehmen zu. Chinas Kommunisten werden nervös. Kann hartes Durchgreifen noch Stabilität sichern? In der Wissenschaftsakademie gibt es Zweifel – und bessere Ideen.

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Hilft China eine „Stabilität um jeden Preis“? Quelle: ap

Peking Droht China ein Kollaps wie einst in der Sowjetunion? Wer die chinesische Propaganda in diesen Tagen verfolgt, könnte fast den Eindruck gewinnen. Auf Anweisung höchster Stellen haben Chinas Staatsmedien schweres Geschütz gegen Kritiker aufgefahren.

Ein weit verbreiteter Kommentar wirft Intellektuellen in China vor, über soziale Medien „Gerüchte und schlechte Nachrichten zu verbreiten, um das Bild eines bevorstehenden Zusammenbruchs zu zeichnen“. Die Kritiker wollten das Volk zum Aufruhr aufwiegeln. Der Kommentar gipfelt in der düsteren Warnung: „Wenn es in China zu Unruhen kommt, wird es schlimmer ausgehen als in der Sowjetunion.“

Der Vergleich schlägt hohe Wellen. „Alarmistisch und lügnerisch“, findet der frühere Spitzenfunktionär Bao Tong die Argumente. Der einstige Sekretär des 1989 bei der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung gestürzten reformerischen Parteichefs Zhao Ziyang identifiziert ganz andere Ursachen für die Spannungen in China: „Institutionalisierte Umweltverschmutzung, weit verbreitete Korruption, systemische Ungerechtigkeiten“ und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, hebt Bao Tong im US-Sender Radio Free Asia (RFA) als „ernste Krankheiten“ hervor, unter denen sein Land leide.

Aber kein Zweifel, das Ende der Sowjetunion 1991 und der KPdSU bereitet Chinas Kommunisten bis heute Kopfschmerzen. Der neue Staats- und Parteichef Xi Jinping mahnte seine Partei schon kurz vor seiner Ernennung zum Präsidenten, „profunde Lehren“ aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu ziehen: „Ein wichtiger Grund war, dass sie in ihren Überzeugungen und Idealen schwankten.“ Ein „leises Wort“ von Michail Gorbatschow habe gereicht, um die Partei aufzulösen. „Am Ende fehlte ein echter Mann. Niemand kam, um sich zu widersetzen“, zitierten Hongkonger Zeitungen aus einer Rede des neuen Führers.

Das jetzt in China ein solches Schreckensbild an die Wand gemalt wird, erscheint Beobachtern eher als Symptom für Nervosität - und als ein Versuch, Kritiker zum Schweigen zu bringen. Denn die Zeiten sind alles andere als rosig: Das wirtschaftliche Wachstum dürfte in diesem Jahr auf den niedrigsten Stand seit mehr als zwei Jahrzehnten fallen. Die Arbeitslosigkeit ist nach unabhängigen Berechnungen mit mehr als neun Prozent doppelt so hoch wie offiziell angegeben. Unter jungen Männern zwischen 16 und 19 Jahren dürfte sie in Wirklichkeit sogar bei 15 Prozent liegen, ermittelte die Peking Universität.


Hohe Einkommenskluft schürt Spannungen

Auch die Einkommenskluft ist enorm: Das untere Viertel der Haushalte verdiene nur 3,9 Prozent aller Einkommen, während das obere Viertel der Einkommensgruppen satte 59 Prozent einstecke, ergab eine Erhebung der renommierten Universität in rund 15.000 Haushalten. So wächst die Unzufriedenheit. „Ich erwarte auf jeden Fall mehr soziale Spannungen in den nächsten Jahren“, sagt Nicholas Bequelin von Human Rights Watch. Wie andere Experten stellt der China-Forscher eine Verschlechterung der Menschenrechtslage fest.

In einer neuen Verfolgungswelle geht die Staatssicherheit massiv gegen Dissidenten und Aktivisten wie in der „Bewegung der neuen Bürger“ vor. Vage Anklagen wegen „Untergrabung der Staatsgewalt“ oder „Störung der öffentlichen Ordnung“ reichen für Haftstrafen. „Der Staat bereitet sich auf einen Anstieg sozialer Unruhen vor“, stellt Bequelin fest. Statt politische Reformen und Rechtsstaatlichkeit voranzutreiben, regiere die Partei mit harter Hand.

Doch ob eine solche „Stabilität um jeden Preis“ erfolgreich sein kann, wird selbst in Chinas Akademie der Sozialwissenschaften angezweifelt. In einer modernen Gesellschaft mit sozialen Medien und rechtsbewussten Bürgern sei wahre Stabilität nicht mehr „durch zwangsweise und unterdrückende Maßnahmen wie aus der Mao-Zeit erreichbar“, warnt der bekannte Professor Yu Jianrong. Statt einer „rigiden Stabilität“ durch Druck und ein autoritäres Regime brauche China heute vielmehr eine „elastische“ und „belastbare“ Stabilität, schreibt der Professor in einem viel beachteten Aufsatz.

Dafür müsse es Mechanismen zum Schutz der Bürgerrechte geben. Offene Kanäle müssten geschaffen werden, damit Bürger ihre Interessen und ihre Klagen artikulieren könnten, so dass Probleme gelöst werden könnten. Soziale Reformen seien nötig, gerechte Verteilung und eine Reform des parteihörigen Justizwesens, mahnt der Wissenschaftler. „Die Verfassung muss Stützpfeiler der sozialen Stabilität sein.“

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