Wirtschaft bangt um Wachstum Keine Regierung für Spanien

Der Sozialist Pedro Sánchez verliert bei der Wahl zum Premierminister auch die zweite Abstimmung. Neuwahlen werden immer wahrscheinlicher. Der Stillstand an Spitze bedroht schon die gesamte Wirtschaft des Landes.

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Der Sozialist Pedro Sánchez verliert bei der Wahl zum Premierminister auch die zweite Abstimmung. Quelle: Reuters

Madrid Der erste Versuch, eine neue Regierung zu bilden, ist endgültig gescheitert: Mit 131 zu 219 Stimmen gegen Sánchez verlor der sozialistische Regierungschef Pedro Sánchez am Freitagabend die zweite Abstimmung. Die spanische Verfassung sieht zwei Wahlgänge vor – beim zweiten reichen mehr Ja- als Nein-Stimmen.

Man muss Sánchez zugutehalten, dass er es zumindest versucht hat. Der amtierende Premier Mariano Rajoy hatte den Auftrag des Königs zur Regierungsbildung gleich abgelehnt, weil ihm klar war, dass er nicht die nötige Mehrheit zusammen bekommen würde. Rajoys konservative Partido Popular hat bei der Wahl kurz vor Weihnachten die meisten Stimmen erhalten.

An der verfahrenen Lage wird sich vermutlich auch in den kommenden Wochen nicht viel ändern. Die Parteien haben noch bis zum 2. Mai Zeit, eine Regierung zu bilden, sonst werden Neuwahlen angesetzt, vermutlich am 26. Juni.

In der Debatte zu Sánchez‘ Wahl wurde klar, dass sich die Parteien bereits im Vorwahlkampf wähnen anstatt eine gemeinsame Linie zu suchen. In aggressivem Ton teilte jeder gegen jeden aus – eine erneute Annäherung dürfte jetzt noch schwerer sein als bisher bereits.

Es ist ein trauriges Bild, das die Parteien in Europas viertgrößter Volkswirtschaft abgeben. Zugegeben, das Wahlergebnis hat es ihnen nicht leicht gemacht. Die Spanier haben zwar einen Wandel gewählt und zwei neue starke Parteien in das Parlament befördert – die liberalen Ciudadanos und die linksradikale Podemos. Doch keiner der beiden hat genug Stimmen, die eine rechte oder eine linke Mehrheit ermöglichen.

Die einzige Partei, die ernsthaft an einer Lösung des Patts interessiert ist, heißt Ciudadanos. Sozialisten und Konservative, haben sich jahrzehntelang mit absoluten Mehrheiten an der Regierung abgelöst und sind einander in inniger Feindschaft verbunden. Aus diesem Muster kamen sie bislang nicht heraus.

Der vierte große Spieler, Podemos, war mit 21 Prozent der Überraschungssieger der Wahl und hat nur gut ein Prozentpunkt weniger Stimmen erhalten als die Sozialisten. Der selbstbewusste Podemos-Chef Pablo Iglesias gibt im Parlament das Enfant Terrible – er keilt nach allen Seiten und macht es den Sozialisten nahezu unmöglich, mit ihm eine Regierung zu formen. Er hat vermutlich auch gar kein Interesse daran: Bei Neuwahlen könnte es schließlich sein, dass er die Sozialisten überholt.


Die Spanier sind genervt

Die Spanier sind genervt von den Machtspielen ohne Ergebnis. „Unsere Politiker sind schlimmer als kleine Kinder“, schimpft die Madrilenin Maria del Mar. Am 20. Dezember hat sie gewählt und noch immer fehlt eine Regierung.

Das Hickhack nervt nicht nur Spanier, sondern könnte auch den Aufschwung gefährden. Im vergangenen Jahr ist Spanien mit 3,2 Prozent stärker gewachsen als alle übrigen großen Euro-Mitglieder. Einige Banken haben aufgrund der politischen Unsicherheit bereits ihre Wachstumsprognose für dieses Jahr revidiert. Barclays etwa rechnet mit 2,6 Prozent. Die fehlende Regierung könnte dafür sorgen, dass Investitionen ausbleiben und die Verbraucher weniger Geld ausgeben, so die Experten der Bank. Tatsächlich ist das Verbrauchervertrauen in den ersten zwei Monaten dieses Jahres bereits gesunken.

Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass es Neuwahlen geben wird. Doch damit allein ist das Problem nicht gelöst. Stimmen die Umfragen, wird sich an der Patt-Situation auch bei einem wiederholten Urnengang nicht viel ändern. Beginnt danach erneut ein politisches Tauziehen, steigen die Gefahren, dass auch der Aufschwung leidet.

Einen möglichen Ausweg könnten neue Köpfe in den Volksparteien bieten. Mit frischen, jungen Gesichtern, die sich nicht wie Sánchez und Rajoy öffentliche Verbalschlachten geliefert haben, dürfte es leichter sein, eine Koalition zu vereinbaren.

Der Druck auf den amtierenden Premier Mariano Rajoy steigt bereits. Die linksgerichtete Zeitung El País titelte am Freitag „Gehen Sie, Señor Rajoy“, im Parlament hatte der Chef von Ciudadanos den Schritt gefordert. Rajoys Partido Popular wurde nach den Wahlen von mehreren neuen Korruptionsskandalen erschüttert – dem Premier selbst wird zwar kein konkreter Vorwurf gemacht, aber er trägt die Verantwortung für seine Partei und steht wie kein anderer für die alte Welt.

Sozialistenchef Pedro Sánchez muss sich Ende Mai ohnehin von seiner Partei neu wählen lassen. Das Datum des Parteitags ist extra so gewählt, dass es vor möglichen Neuwahlen liegt, um Sánchez womöglich austauschen zu können. Der gelernte Ökonom hat viele Kritiker in den eigenen Reihen.

Die kommenden Wochen bleiben spannend – nicht nur für die Spanier, sondern für ganz Europa. Brüssel war froh, dass Spanien die sieben Jahre währende Wirtschaftskrise endlich hinter sich gelassen hatte. Die Kommission fordert von der neuen Regierung in Madrid weitere Einsparungen, um das Defizit zu senken. Ohne neue Regierung bleibt aber auch Brüssel ungehört.

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