Wirtschaftskrise China in der Krise: Tausende verlieren ihren Job

Tausende verlieren ihre Jobs, der Immobilienmarkt bricht ein, es drohen soziale Unruhen. Chinas Entwicklungsmodell steht auf der Kippe.

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Zerstörtes Polizeifahrzeug im Quelle: REUTERS

Auf der Baustelle des Audi-Geländes in Changchun herrscht an diesem grauen Oktobermorgen hektisches Treiben. Ein paar Männer haben am Ende der halbfertigen Montagehalle eine weiße Holzbühne aufgebaut. Daneben stehen große Schautafeln. Sie zeigen, wie das fertige Werk einmal aussehen soll. Während in luftiger Höhe Arbeiter auf Strahlträgern balancieren und an Verstrebungen schweißen, führen Hostessen die Gäste in Richtung Bühne – Audi feiert das Richtfest seiner neuen Fabrik.

Konzernchef Rupert Stadler ist aus Deutschland gekommen, dazu die Führungsmannschaft von Audi in China. „Wir nehmen den chinesischen Markt ernst, sehr ernst“, verkündet Stadler. Applaus und zustimmendes Nicken bei den Zuhörern.

Gut 100.000 Pkws bauen die Deutschen im Nordosten Chinas pro Jahr. Das neue Werk soll im Sommer 2009 fertig sein und die Kapazitäten verdoppeln. „2015 wollen wir in China 200 000 Autos verkaufen“, sagt Stadler. Bislang hat Audi davon profitiert, dass Chinas Pkw-Markt jedes Jahr um mehr als 15 Prozent wuchs. Doch in den vergangenen Monaten wurde das Klima rau. „Wir spüren die Finanzkrise vor allem im Südosten“, räumt Johannes Thammer, Verkaufschef bei Audi in China, ein.

Dort, im Südosten des Landes, produzieren Hunderttausende kleine und große Firmen Waren für den amerikanischen und europäischen Markt – Spielzeuge, Geschenkartikel und Glas oder Fliesen. In fast allen diesen Branchen brechen jetzt Produktion und Absatz dramatisch ein. Hofften viele Experten und auch die Regierung in Peking bis vor Kurzem noch, China komme mit seinem stolzen Rekordwachstum von fast zwölf Prozent im vergangenen Jahr und seinen gigantischen Devisenreserven in Höhe von 1,9 Billionen Dollar halbwegs glimpflich durch die Krise, ist inzwischen Ernüchterung eingekehrt: Das weltweite Wirtschafts- und Finanzbeben hat das Reich der Mitte voll erwischt – mit möglicherweise tief greifenden Folgen für das soziale und politische Gefüge im Land.

Die goldenen Zeiten sind in China vorerst vorbei

Die goldenen Zeiten mit zweistelligen Wachstumsraten sind vorerst vorbei. Zwar seien „die direkten Auswirkungen der Krise auf unser Finanzsystem nicht sehr groß“, sagt Wei Benhua, Berater der chinesischen Zentralbank, aber umso mehr sorge sich die Regierung um die Realwirtschaft. Noch verkündet die Parteipropaganda, Chinas Wirtschaft könne im kommenden Jahr um acht bis neun Prozent wachsen. Doch intern spielen die Politiker längst Szenarien durch, die für einen längeren Zeitraum von einem deutlich schwächeren Wachstum ausgehen.

Fast im Wochentakt revidieren Analysten und internationale Organisationen ihre Prognosen nach unten. Inzwischen geht die Weltbank für 2009 von einem Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 7,5 Prozent aus. Ma Jun, China-Chefökonom der Deutschen Bank in Hongkong, erwartet für 2009 ein Plus von sieben Prozent.

Im rezessionsgeplagten Westen mögen solche Zuwachsraten beachtlich erscheinen. In China kommen sie der lange befürchteten harten Landung gleich. Nach einer Faustregel muss das Reich der Mitte seiner jungen Bevölkerung wegen jedes Jahr um mindestens acht Prozent wachsen, um Jobs für die neu auf den Markt drängenden Arbeitskräfte zu schaffen.

Eine Ursache der Wachstumsschwäche ist der Nachfrageschwund im Westen. Um annualisiert rund 3,5 Prozent dürften die privaten Konsumausgaben in den USA in der zweiten Hälfte dieses Jahres schrumpfen, rechnen Analysten vor – und das drückt kräftig auf Chinas Exportbilanz. Im November sind die Ausfuhren erstmals seit 2001 gesunken. Für 2009 sind die Aussichten noch schlechter. Deutsche-Bank-Ökonom Ma schätzt den erneuten Exportrückgang auf dann vier Prozent – ein Debakel für das Land, in dem die Exporte 40 Prozent zur Wirtschaftsleistung beisteuern.

Betroffen ist vor allem das Perlflussdelta in der Provinz Guangdong, auch als Fabrik der Welt bekannt. Handelsketten wie Metro oder Wal-Mart machten das Perlflussdelta zur Supermacht für Billigproduktion. Fast alle Feuerzeuge, Krawatten, Schuhe und T-Shirts, aber auch Fernsehgeräte, Laptops oder Digitalkameras stammen von dort.

Doch wo bis vor Kurzem noch rund um die Uhr die Fließbänder liefen, breiten sich nun Trostlosigkeit und Einöde aus. In Dongguan, Shenzhen oder Guangzhou sind viele Fabriktore verrammelt. Schilder mit der Aufschrift „Fabrik günstig zu verkaufen“ hängen allerorten. Allein im ersten Halbjahr haben im Perlflussdelta 67.000 Billighersteller den Betrieb eingestellt. In Foshan, wo 60 Prozent der weltweiten Keramikproduktion beheimatet ist, gab mehr als die Hälfte der Hersteller auf. Der Einbruch trifft auch Hongkong, von wo aus ein Großteil der Güter „made in China“ in alle Welt verschifft wird.

Chinas Premierminister Wen Quelle: REUTERS

Zum Teil hat China die Entwicklung sogar forciert. Es wollte die Billigproduzenten ins noch unentwickelte Landesinnere verlagern. Im Osten und Südosten sollten sich stattdessen Unternehmen der High-Tech-Branche ansiedeln – Chinas Unternehmen sollten die Wertschöpfungskette hochklettern, wie es Peking formulierte. Darum strich sie den Billigherstellern Steuervorteile, erließ ein neues Arbeitsgesetz und verschärfte den Umweltschutz.

Doch jetzt geht der Regierung die Entwicklung viel zu schnell. Fast im Wochentakt reisen höchste Parteikader in den Süden, um sich ein Bild von der dramatischen Lage zu machen. Hunderttausende Arbeiter haben bereits ihre Jobs verloren.

Doch nicht nur die Entwicklungen in Chinas Exportindustrie alarmiert die Politik. Beunruhigende Signale kommen auch vom Immobilienmarkt. Wer etwa im Osten Pekings stadtauswärts fährt, kommt vorbei an den zahllosen Neubausiedlungen, die Chinas Immobilienentwickler in den letzten Jahren aus dem Boden gestampft haben. Kilometer für Kilometer prägen luxuriöse Apartmentblocks die Landschaft. Doch viele der Wohnungen stehen leer.

Eine dieser gesichtslosen Hochhaussiedlungen ist Guomei Nummer eins. 18 graue Blocks, keiner mit weniger als 20 Etagen, hat die Firma Guomei Property vor zwei Jahren fertiggestellt. Damals kostete der Quadratmeter zwischen 500 und 600 Euro. Viele Pekinger griffen auch noch zu, als der Quadratmeterpreis im vergangenen Jahr auf mehr als 1400 Euro stieg. Die meisten Käufer ließen ihre Wohnungen leer stehen, in der Absicht, sie ein paar Jahre später mit ordentlichem Profit zu verkaufen.

Zwischen 10 und 20 Prozent sind Immobilienpreise in China gefallen

Doch mit ihrem Engagement in Guomei Nummer eins wurden viele Käufer bitter enttäuscht. Seit Anfang des Jahres fallen die Preise. „Derzeit“, sagt der örtliche Immobilienmakler Chong Heng von der Agentur Wanya, „verlangen die Eigentümer etwa 1000 Euro für einen Quadratmeter.“ „Aber es finden sich keine Käufer“, so Chong, „die Preise dürften weiter fallen. Viele Eigentümer sind nervös.“

Zwischen 10 und 20 Prozent sind die Immobilienpreise in den großen Ballungszentren im Osten Chinas in den vergangenen Monaten gefallen. Deutsche-Bank-Ökonom Ma etwa rechnet für das kommende Jahr mit einem weiteren Absturz der Immobilienpreise um 20 bis 30 Prozent. Eine Ursache des rasanten Abschwungs: „Dass wir neben den Auswirkungen der Finanzkrise in China auch noch eine hausgemachte Immobilienkrise haben, sorgt für die starke Verlangsamung des Wachstums“, sagt Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer (EUCCC) in China.

Der Einbruch des Immobilienmarktes hat auch weitreichende Folgen für andere Branchen der chinesischen Wirtschaft. So verzeichnen etwa Zement-, Glas- und Stahlhersteller landesweit stark rückläufige Aufträge. Allein die Hälfte der chinesischen Stahlproduktion ging bislang in den Bau von Wohnungen, Häusern und Büros. Zu spüren bekommen die Krise Schwerindustrie-Regionen wie der Kreis Wenxi im Süden der Kohleprovinz Shanxi im Norden. Gut 370.000 Einwohner hat der Kreis. Die meisten leben von der Stahlhütte der Shanxi Haixin Iron Steel Group, einem der größten Stahlhersteller Chinas, und von den vielen Glas- und Magnesiumfabriken in der Region. Doch seit September hat Haixin die Stahlproduktion kontinuierlich heruntergefahren.

Ein Angestellter berichtet, jeder zehnte der rund 13.000 Arbeiter der Stahlhütte sei bereits vor die Tür gesetzt worden. Ein Teil der Beschäftigten, denen das Management noch nicht gekündigt hat, berichtet der Arbeiter, komme zwar noch jeden Tag in die Stahlhütte. Doch die meiste Zeit säßen sie herum, Arbeit gebe es nicht mehr. In Internetforen lassen die Arbeiter ihrer Wut freien Lauf: Haixin ist seit zwei Monaten mit den Löhnen im Rückstand. Ähnlich trostlos ist das Bild in der Glasindustrie des Kreises Wenxi. Arbeiter erzählen, von den rund 100 Fabriken produzierten nur noch zwei. „Die Zahl der Arbeitslosen steigt schnell, Überfälle und Diebstähle nehmen zu“, sagt ein Arbeiter.

Zunehmend unruhig wird es auch im Südosten Chinas, dort wo die Billigproduzenten des Landes sitzen. Als beispielsweise der von Hongkonger Investoren betriebene Spielzeughersteller Kaida Toys kürzlich mehrere Hundert Arbeiter entließ, verlangten diese eine Entschädigung. Als das Unternehmen zunächst nicht zahlen wollte, zertrümmerten die aufgebrachten Arbeiter in den Büros der Firma Computer und Fenster, dann kam es zu Zusammenstößen mit rund 1000 Polizisten. Am Ende knickte das Management ein und zahlte.

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Vorgänge wie diese bringen die Regierung in Peking in höchste Not. Denn bislang gründete sie ihre Legitimität darauf, die 1,3 Milliarden Chinesen mit kontinuierlich wachsendem Wohlstand zu versorgen. Die Menschen bekamen Kleidung, Kühlschränke und Autos. Im Gegenzug  ließen sie die Herrscher in Ruhe. Funktioniert dieser Deal nicht mehr, könnte die Partei schnell in Bedrängnis geraten.

„Faktoren, welche der sozialen Stabilität schaden, werden zunehmen“, warnte Premierminister Wen Jiabao darum kürzlich bereits im Parteiblatt „Qiushi“. Zhou Tian-yong, Wissenschaftler an der Zentralen Parteischule in Peking, fürchtet eine dramatische Zunahme von Diebstählen und Überfällen und sieht bereits die soziale Stabilität des Landes bedroht. Die Arbeitslosigkeit in den Städten, so Zhou, könnte im kommenden Jahr 14 Prozent erreichen und zu breitflächigen sozialen Unruhen führen. Damit steht China vor der wohl größten Herausforderung seit Deng Xiaoping vor 30 Jahren das von der Kulturrevolution verwüstete Riesenreich zur Außenwelt öffnete und mit seinen weitreichenden Wirtschaftsreformen dem späteren Wachstumswunder den Weg ebnete.

Aus Angst, die Wirtschaftskrise könnte das ganze System zum Einsturz bringen, greift in Peking die Panik um sich. Kaum eine Woche vergeht, in der die Regierung nicht neue Maßnahmen zur Ankurbelung der Konjunktur ankündigt. Für mehr als 450 Milliarden Euro will die Regierung in den kommenden Jahren neue Flughäfen, Eisenbahnlinien und Straßen bauen lassen.

Auch ausländische Unternehmen werden in China immer nervöser

Viermal hat die Zentralbank in den vergangenen zwei Monaten die Zinsen gesenkt, zuletzt um mehr als einen Prozentpunkt. Darüber hinaus haben die Behörden die Quoten für die Kreditvergabe gelockert. Käufer von Immobilien müssen außerdem seit Kurzem nicht mehr 30, sondern nur noch 20 Prozent der Kaufsumme bar anzahlen. Außerdem soll mit staatlichem Geld günstiger Wohnraum geschaffen werden und die Gesundheitsversorgung auf dem Land verbessert werden.

Doch ob die Maßnahmen den gewünschten Effekt bringen, ist fraglich. Nur etwa ein Viertel des Konjunkturprogramms will die Regierung aus dem Staatshaushalt finanzieren. Den Rest sollen Staatsbetriebe, Lokalregierungen und Banken über eine erhöhte Kreditvergabe beisteuern. Dazu kommt: Ein Teil der Infrastrukturvorhaben war ohnehin geplant und wird nun lediglich vorgezogen. Außerdem brauchen viele Projekte Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten. Auch haben Experten Zweifel, ob die lockere Geldpolitik der Zentralbank geeignet ist, die erschlaffende Konjunktur wieder in Schwung zu bringen. „Die Lockerung der Kreditbedingungen verpufft in Zeiten schwacher Aktienmärkte und fallender Immobilienpreise weitgehend wirkungslos“, urteilt Jan Amrit Poser, Chefökonom bei Sarasin in Zürich.

Fast alle Maßnahmen der Behörden zielen darauf ab, Chinas einseitige Abhängigkeit von der Exportwirtschaft zu verringern und den Binnenkonsum zu stärken. Doch eine wesentliche Stütze der Konjunktur dürfte der private Konsum auf mittlere Sicht nicht werden – auch weil trotz jahrelanger Planungen noch immer eine funktionierende Sozialversicherung fehlt. Unter anderem aus Angst, beispielsweise die Arztrechnung nicht zahlen zu können, wenn ihre Kinder etwa an Melamin-verseuchter Milch erkranken, sparen die Chinesen immer noch jeden zweiten Yuan. Chinas Wirtschaft bleibt extrem anfällig für externe Schocks.

Angesichts der zunehmenden Krisenzeichen werden auch die ausländischen Unternehmen im Reich der Mitte mit jedem Tag nervöser. „Bis auf die Firmen, die ihr Geld mit Infrastrukturprojekten verdienen, merken alle einen rapiden Einbruch des Geschäfts“, sagt EUCCC-Präsident Wuttke. Der Volkswagen-Konzern etwa, der sich bislang über jährliche Absatzzuwächse nahe 20 Prozent freuen konnte, rechnet für 2009 mit einer Stagnation des Pkw-Verkaufs. Auch bei der Konzerntochter Audi sind die Erwartungen gedämpft. So sollte in dem neuen 120 Millionen Euro teuren Werk in Changchun ursprünglich in erster Linie der neue Geländewagen Q5 gebaut werden. Doch jetzt wollen die Deutschen im kommenden Jahr erst mal den kleineren A4 produzieren. Die Zeiten für große Autos sind auch im erfolgsverwöhnten China erst mal vorbei.

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