Wirtschaftskrise Japan: Versagen in der Krise

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Nikkei-Börsen-Index: Quelle: AP

Ein besonderer Flop ist die Idee des Regierungschefs, allen Japanern ohne Ansehen ihres Einkommens oder ihrer Vermögensverhältnisse einen Konsumscheck in Höhe von umgerechnet 100 Euro auszugeben. Gut 15 Milliarden Euro würde diese Finanzspritze dem Staat kosten. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung hält dies für Unfug und würde das Geld lieber sozialen Zwecken zugeführt wissen. Aber der Premier hält trotz massiver Kritik in Fraktion und Kabinett eisern daran fest. Er selbst werde das Geld annehmen, ver-kündete der viele Millionen schwere Regierungschef trotzig, und 15 Minister mussten auf sein Geheiß dem makabren Beispiel folgen.

Darüber hinaus verprellt der 68-jährige Premier ganze Wählergruppen. Pensionäre nannte er nutzlose Esser und Trinker, Ärzten warf er mangelnde soziale Verantwortung vor. „Leider hat die LDP unter Aso die Verbindung zu den Menschen vollkommen verloren“, klagt der ehemalige Minister für administrative Reformen, Yoshimi Watanabe, der aus Protest vor wenigen Tagen aus der Regierungspartei austrat. Politische Beobachter rechnen damit, dass dem prominenten Abgeordneten weitere LDP-Parlamentarier folgen werden. Dann wäre nicht einmal mehr sicher, ob die Regierungskoalition im Unterhaus noch mehrheitsfähig ist – das Oberhaus wird ohnehin von der Opposition beherrscht.

Die Aufbruchstimmung ist in Japan verflogen

Immer mehr Reichstagsabgeordnete sehnen sich nach den Reformen von Ex-Premier Junichiro Koizumi zurück, der das Land von 2001 bis 2006 regiert hat. Die Aufbruchstimmung aus diesen Jahren ist verflogen. „Es geht rückwärts“, klagt Parteirebell Watanabe. „Würde die Politik funktionieren, ginge es auch der Wirtschaft besser“, sagt Miyata. In den vergangenen 30 Monaten haben schon zwei Ministerpräsidenten der LDP wegen Erfolglosigkeit das Handtuch geworfen. Taro Aso, so vermuten Insider, ist spätestens nach einer Niederlage bei den regulären Neuwahlen im Herbst an der Reihe. Alle drei Gescheiterten sind Söhne oder Enkel einer früheren Generation von Regierungschefs, die Japans Ökonomie in die Weltspitze geführt hatten. „Die Erben erweisen sich als politisch impotent“, sagt Jesper Koll.

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung wünscht sich dringend eine neue Regierung. „Japan sehnt sich nach einer Dynamik des politischen Wandels, wie sie der neue US-Präsident Barack Obama in Amerika verheißt“, sagt Norihiko Narita. Aber Aso lässt nicht wählen, „um in der Rezession politische Stabilität zu wahren“, wiederholt er wie eine Gebetsmühle. Wahrscheinlich aber auch aus einem anderen Grund. „Die Administration steht politisch und wirtschaftlich am Rande des Abgrunds“, räumt LDP-Generalsekretär Nobuteru Ishihara ein. „Gut 70 bis 80 Prozent unserer Abgeordneten sind skeptisch, ob sie unter Aso Regierungspartei bleiben.“

Japans Medien rechnen damit, dass die seit mehr als fünf Dekaden quasi ununterbrochen regierenden Liberal-Demokraten mindestens 30 Sitze und damit ihre Mehrheit im Unterhaus verlieren. Im Extremfall könnte der politische Erdrutsch der alten Machtelite sage und schreibe 120 Mandate entziehen. „Der Druck kommt von allen Seiten – dem Kapital geht es schlecht, der Arbeit geht es schlecht“, sagt Jesper Koll. Und: „Japan ist reif für eine Revolution.“

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