Wirtschaftsthesen Ist das Bevölkerungswachstum an der Nahrungmittelkrise schuld?

Thomas Robert Malthus führte Hungersnöte auf ungezügeltes Bevölkerungswachstum zurück. Seine Theorie galt als widerlegt. Nun stellt sich die Frage: Hatte er doch recht?

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Durch die derzeit Quelle: dpa-dpaweb

Das Welternährungsprogramm (WFP) der UN sieht einen „stillen Tsunami“ über den Globus rollen. Die derzeit explodierenden Nahrungsmittelpreise drohten „mehr als 100 Millionen Menschen auf allen Kontinenten in den Hunger zu treiben“, warnen die Experten. Die Frage, wie die Ernährung der Welt gewährleistet werden kann, ist mit brachialer Gewalt auf die politische Agenda zurückgekehrt, und das mit Recht: Die Weltbevölkerung hat sich seit 1960 verdoppelt. Derzeit leben 6,5 Milliarden Menschen auf dem Globus, 2025 werden es fast acht Milliarden sein. Die Ackerfläche pro Kopf sinkt in allen Erdteilen außer Europa. Müssen wir uns auf neue Hungerkatastrophen einstellen? 

Thomas Robert Malthus würde diese Frage mit einem klaren Ja beantworten. Der 1766 geborene Brite war der erste Ökonom, der sich mit dem Zusammenhang von Bevölkerungswachstum und Nahrungsmittelproduktion auseinandersetzte. In seinem Hauptwerk „An Essay on the Principle of Population“ und dem darin enthaltenen Bevölkerungsgesetz kommt Malthus zu einem geradezu apokalyptischen Schluss: Während die Bevölkerung langfristig in geometrischer Progression wächst (1-2-4-8-16) und sich etwa alle 25 Jahre verdoppelt, kann die Nahrungsmittelproduktion nur linear zulegen (1-2-3-4-5).

Dies liegt daran, dass die nutzbare Ackerfläche begrenzt ist und der Grenzertrag zusätzlicher Arbeitskräfte auf den Feldern abnimmt. Zudem hält Malthus die Amortisationszeit von Investitionen in die Landwirtschaft für zu lang, als dass auf Dauer ausreichend Kapital in diesen Sektor gelockt werden könnte. Die Folge dieser Schere sind Hungersnöte, Kriege und Epidemien, die die Bevölkerung so lange dezimieren, bis die Nahrung wieder für alle ausreicht. Malthus spricht von „positiven und präventiven Hemmungen“, die als eine Art natürlicher Korrekturmechanismus wirken. Die etwas zynisch positive checks genannten Faktoren wie Krieg, Mangelernährung, Armut und Krankheiten erhöhen die Sterberate, vor allem in den unteren Schichten. Die preventive checks, zu denen Malthus Maßnahmen zur Geburtenkontrolle und sexuelle Enthaltsamkeit zählt, reduzieren die Kinderzahl.

Malthus wurde in der Grafschaft Surrey als Sohn eines Juristen geboren und wuchs mit sechs Geschwistern auf. Er studierte in Cambridge mit Schwerpunkt Mathematik und schlug danach zunächst eine für Ökonomen ungewöhnliche Laufbahn ein – als Gemeindepfarrer. 1798 erschien sein erstes Buch, 1803 eine zweite erweiterte Auflage. 1805 erhielt Malthus am College der East India Company den weltweit ersten Lehrstuhl für Politische Ökonomie. Mit seinen Schriften hat er nicht nur bei befreundeten Ökonomen seiner Zeit wie David Ricardo für Aufsehen gesorgt. Er beeinflusste auch die Evolutionstheorie von Charles Darwin und die Nachfragetheorie von John Maynard Keynes. Gleichwohl bieten seine Thesen eine Reihe von Angriffspunkten: So entwickelte er sein Bevölkerungsgesetz zwar mit mathematischer Akribie, aber ohne empirischen Hintergrund. Erst später ackerte er sich durch Statistiken. Karl Marx spottete, Malthus’ Werk sei „nichts als ein schülerhaft oberflächliches und pfäffisch verdeklamiertes Plagiat“. Malthus selbst lebte auch nicht gerade nach seinen eigenen Regeln: Er heiratete seine Cousine Harriett – und zeugte drei Kinder.

Was Malthus bei seiner Methode der langfristigen Trendextrapolation vor allem vergaß (oder zumindest nicht vorhersah), war der technische Fortschritt. Produktivitätssprünge durch neue Maschinen, neue Ideen und eine verstärkte Arbeitsteilung fielen bei ihm unter den Tisch. Heute ist klar, dass sich durch Innovationen, neue Züchtungen und Anbaumethoden der Ertrag auch bei gegebener Fläche sehr wohl erhöhen lässt.

Gleichwohl ist seine ökonomische Grundidee heute aktueller denn je: dass die Nahrungsmittelproduktion zu den zentralen Problemen zählt, die Politik und Wissenschaft lösen müssen.

Durch die derzeit Quelle: dpa-dpaweb

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