Es spricht für die globale Relevanz der eigenen Industrie, wenn ein Staat als Partnerland der Hannover Messe geadelt wird. Vergangenes Jahr war China Premium-Gast auf der weltweit wichtigsten Industriegüter-Messe, im Jahr zuvor war es die Industrienation Frankreich. Dieses Jahr ist Russland an der Reihe: Mehr als 200 Unternehmen aus Russland nehmen teil – nie war Moskau bei einer Auslandsmesse derart präsent.
Tatsächlich wird Russland als Wirtschaftspartner oft unterschätzt. Dabei ist das Land dank üppiger Öl-, Gas- und Metalllieferungen schon seit vielen Jahren einer der Top-10-Handelspartner Deutschlands auf der Importseite; auch als Export-Destination wird das Riesenreich im Osten immer wichtiger: Im vergangenen Jahr stiegen die deutschen Ausfuhren nach Russland um 10,4 Prozent auf 38 Milliarden Euro. Damit ist Russland nach China und den USA der größte Abnehmer deutscher Waren außerhalb der EU.
Dabei arbeitet die russische Industrie weiterhin mit veralteten Anlagen aus Sowjetzeiten. Die müssen allmählich ersetzt werden, was über die kommenden Jahrzehnte Ersatz-Investitionen in Milliardenhöhe zur Folge hat. Schon jetzt profitieren die deutschen Ausrüster von Aufträgen einer Industrie, die sich auch ohne Hilfe vom Staat ein bisschen selbst modernisiert.
Hinter der Bauchpinselung steckt Kalkül
Insofern steckt Kalkül dahinter, dass die Messe-Veranstalter und Industrie-Lobbyisten die Russen mit dem Status „Gastland“ bauchpinseln: Viele Fleischtöpfe sind noch unberührt – und die deutsche Wirtschaft lässt nichts unversucht, sich den Russen als Lieblingspartner anzubiedern. Ein Manko dabei ist allerdings, dass die Eröffnung der Hannover Messe immer auch ein politisches Ereignis ist. An der Leine treffen am Sonntag und Montag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Russlands Präsident Wladimir Putin (parteilos) zwei Persönlichkeiten aufeinander, die diesem Leben keine Freunde mehr werden.
Selten waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland so frostig wie heute. Akut echauffiert sich die deutsche Politik darüber, dass Russland internationale Organisationen wie die deutschen Stiftungen als „ausländische Agenten“ brandmarkt, Ermittler deren Räume durchsuchen und Unterlagen beschlagnahmen. Allgemein schockiert die Deutschen, wie repressiv Putin auch mit der Hetzjagd auf außerparlamentarische Oppositionelle die Protestwelle des vergangenen Jahres kontert. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen waren zehntausende Russen – überwiegend die gebildete und wohl situierte Mittelschicht – auf die Straße gegangen, um mehr Freiheiten einzufordern. Der plötzliche Widerstand der Straße muss Putin ins Mark getroffen haben.
Niemand lockt den Autokraten aus der Reserve
In Hannover wird es Ärger geben. Denn in den deutsch-russischen Beziehungen stimmen zwar die Interessen (Handel), aber bei Werte-Fragen kommen beide Länder nicht überein. Im politischen Berlin reift allmählich die Einsicht, dass die so genannte Modernisierungspartnerschaft mit Russland ein Missverständnis war: Moskau verstand hierbei die Lieferung moderner Anlagen, die deutsche Politik interpretierte Modernisierung auch im gesellschaftlichen Sinne als Liberalisierung und Öffnung eines autoritären Regimes.
Umgekehrt sendet Wladimir Putin keinerlei Signale, die auf ein breites Verständnis westlicher Werte und ihrer Notwendigkeit schließen lassen. Im ARD-Interview mit einem sichtlich überforderten Jörg Schönenborn wiegelte er kritische Fragen zu repressiven Gesetzen immer wieder mit USA-Vergleichen ab und wich den Interviewer aus, indem er Gegenfragen stellte und überlegen in sich hinein lachte. Einen wie überzeugten Autokraten wie Putin mit Argumenten aus der Reserve zu locken, gelingt weder Journalisten noch Politikern.
Politisch ist von Russland also nicht viel zu erwarten. Natürlich muss der deutschen Politik daran gelegen sein, dass die russische Gesellschaft mehr Freiheiten und demokratische Rechte bekommt. Nur wenn sich Russland öffnet, kann es jenseits von Öl und Gas wettbewerbsfähig werden, nur wenn die Menschen frei sind, können sie echte Innovationen hervorbringen. Letzteres sollte auch im langfristigen Interesse der deutschen Wirtschaft liegen, so es denn in der Wirtschaft Langfrist-Interessen gibt.
Somit verbietet sich Kritik an der Putin-Kritik vonseiten der Bundesregierung – mit Samthandschuhen darf und will Moskau nicht angefasst werden. Umgekehrt gilt aber auch: Der Handel sollte nicht leiden, weil sich die Politiker nicht mögen. Die Entzerrung von politischen Werten und ökonomischen Interessen ist in dieser Eiszeit das Gebot der Stunde. Das klappt ja auch mit China.