Wo ist Snowden? In Russland abgetaucht, in Deutschland umstritten

Das „Phantom“ Edward Snowden sorgt in Russland für Rätsel. Angeblich reist der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter viel im Land herum - nur Belege dafür gibt es nicht. Jetzt hat er angeblich einen neuen Job.

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Edward Snowden Quelle: AP

Gestutzter Bart, helle Schiebermütze, rotes T-Shirt: Der Schnappschuss zeigt angeblich Edward Snowden bei einer Schifffahrt auf dem Moskwa-Fluss. Das Foto soll bereits im September aufgenommen worden sein. Darauf sieht der 30-Jährige aus wie ein Tourist. „Er reist unauffällig herum“, erzählt sein russischer Anwalt Anatoli Kutscherena. Alle wichtigen Informationen über den Mann, den die USA wegen Geheimnisverrats suchen, sind in seinem Asylland Russland geheime Verschlusssache.
Trotz landesweiter Kameraüberwachung und vieler korrupter Beamter, die für schnell verdientes Geld fast alles tun würden: Lebenszeichen des wohl bekanntesten Flüchtlings der Welt aus dem größten Land der Erde sind äußerst selten. Selbst gewöhnlich gut informierte Blätter tappen im Dunkeln - oder sind zum Schweigen verdonnert.
Daher spielt vor allem Kutscherena eine Schlüsselrolle. Seine Berühmtheit ist gewachsen, seit der Anwalt mit engen Beziehungen zum Kreml als Sprachrohr des Whistleblowers auftritt. In unregelmäßigen Abständen verkündet er Neuigkeiten. Vieles bleibt im Ungefähren. „Edward Snowden fängt am 1. November bei einem der größten russischen Unternehmen an“, gibt Kutscherena nun bekannt. Als neuer Arbeitgeber ist das sozialen Netzwerk Vkontakte im Gespräch, eine Art russisches Facebook mit angeblich mehr als 100 Millionen Nutzern.

FAQs: So werden die Deutschen überwacht

Kutscherena ist es auch, der Snowdens Vater eingeladen hatte. Brav dankte Lon Snowden damals in Moskau Kremlchef Wladimir Putin für die Hilfe. Ein Treffen mit Snowden selbst gab es - außer für den Vater - nur für vier andere US-Whistleblower, die ihm Mitte Oktober einen Preis überreichten. Von der Begegnung an unbekanntem Ort zeugt ein kurzes Video. „Er sah großartig aus“, erzählte die Geheimdienstkritikerin Jesselyn Raddack hinterher dem russischen Staatsfernsehen.
Für ein Jahr hat Snowden zunächst vorläufiges Asyl in Russland erhalten. Dass er auf Dauer im Riesenreich bleibt, will der undurchsichtige Kutscherena nicht ausschließen. „Sein Besuch der Kreml-Museen sowie anderer Städte zeugt davon, dass er Russland liebt und mehr über das Land wissen will“, erzählt der Anwalt. Besonders viele Möglichkeiten, anderswo unterzukommen hat der Flüchtige auch nicht.
Zu den Ländern, die sich mit Snowden arg schwertun, gehört Deutschland. Von Kanzlerin Angela Merkel gab es seit Beginn der NSA-Affäre bislang kein einziges Wort des Dankes oder auch nur der Anerkennung - dabei wüsste die CDU-Chefin ansonsten bis heute nicht, dass ihr Handy vermutlich über ein Jahrzehnt lang abgehört wurde. Auf die Frage, ob es mittlerweile nicht doch an der Zeit sei, das Gespräch mit Snowden zu suchen, antwortet ihr Sprecher Steffen Seibert lapidar: „Diese Frage stellt sich die Bundesregierung im Moment nicht.“

Inzwischen gibt es aber auch in den Reihen der Union Leute, die den als Geheimnisverräter gesuchten Amerikaner positiv beurteilen. Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) lobte am Rande der Koalitionsverhandlungen, Snowden habe einen „wichtigen Beitrag“ zur Emanzipation der Europäer von den USA geleistet. Und möglicherweise bald schon könnte die Bundesregierung gezwungen sein, mit Snowden in Kontakt zu treten.
Falls der Bundestag zur Handy-Affäre einen Untersuchungsausschuss einsetzt, wäre der Amerikaner der Kronzeuge, an dem eigentlich niemand vorbeikommt. Problem allerdings: Bei einem Termin in Berlin würde er die Abschiebung in die Vereinigten Staaten riskieren - zwischen der EU und den USA gibt es ein Auslieferungsabkommen.
Zwei Möglichkeiten kommen als Ausweg in Betracht: Entweder bekommt Snowden für die Aussage sicheres Geleit - nach deutschem Recht ist das möglich. Oder aber der Ausschuss reist selbst nach Moskau. Anwalt Kutscherena wiegelt allerdings ab: Snowden habe versprochen, niemandem vertrauliche Informationen preiszugeben.

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