„Diese Entwicklung wird China von Grund auf verändern“, sagt Edward Tse, China-Chef der Unternehmensberatung Booz. Zwar stünden ausländische Firmen nach wie vor hoch im Kurs, aber das sei längst kein Selbstläufer mehr. Auch Mary Bergstrom ist skeptisch, ob der Erfolg westlicher Konzerne in China von Dauer sein wird. Die Unternehmensberaterin ist Autorin des Buches „All Eyes East“, das sich mit dem Konsumverhalten chinesischer Jugendlicher beschäftigt, und sie hat darin festgestellt: Konzepte, die in Europa funktionieren, versagen in China. Wer einen Turnschuh mit Slogans wie „Be yourself“ oder gar „Be rebellious“ vermarktet, erreicht junge Chinesen, die ihr ganzes Leben auf Anpassung getrimmt werden, kaum. Auch Authentizität, vor allem in Deutschland ein wichtiges Gütesiegel, gilt in China wenig. Stattdessen definieren sich Menschen sehr stark mit ihrem Jahrgang. Es gibt Siebziger, Achtziger und Neunziger, die sich möglichst klar voneinander absetzen wollen. Konsum habe darüber hinaus eine eigenständige Bedeutung: „Da junge Chinesen keine Möglichkeit haben, sich politisch auszudrücken, weil sie in feste Rollen in der Familie gezwungen sind, ist Konsum für sie der einzige Kanal, frei zu wählen“, sagt Bergstrom. „Wenn sich chinesische Konsumenten von einer Firma enttäuscht fühlen, werden sie aktiv.“
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Niere gegen iPad
Welch unangenehme Folgen das haben kann, musste Anfang des Jahres der deutsche Konzern BSH Bosch Siemens Hausgeräte erfahren. Das Unternehmen ist seit den Neunzigerjahren auf dem Markt und hat früh die Mittelschicht als Konsumenten wahrgenommen. Zwölf Prozent Marktanteil hat die Firma heute im Bereich Kühlschränke. Als der Blogger Luo Yonghua aus Ärger über eine schlecht schließende Kühlschranktür vor die Konzernzentrale in Peking zog und dort einen Kühlschrank zertrümmerte, erntete BSH einen Shitstorm. Am Ende musste sich Roland Gerke, China-Chef des Unternehmens, per Videobotschaft entschuldigen. BSH ist damit nicht allein. Fast wöchentlich trifft es eine neue, meist westliche Firma. Im April riefen Weibo-User zum Boykott von Coca-Cola auf – angeblich habe ein Werk chlorhaltiges Wasser verwendet. Andere zerstörten öffentlich Autos von Lamborghini und BMW. Doch auch die Produktverehrung treibt Blüten: Im vergangenen Jahr verkaufte ein Teenager seine Niere – für ein iPad.
„Marken brauchen eine Geschichte und persönliche Verbindung zu den Konsumenten“, sagt Autorin Bergstrom. Nur wer sich auf die chinesische Mittelschicht einstelle, werde dort Erfolg haben. Der Lebensmittelkonzern Dr. Oetker bietet seit einiger Zeit Tiefkühlpizzen in China an, die in Mikrowellen in verzehrfertigen Zustand gebracht werden können. Chinesen haben nämlich im Allgemeinen keinen Backofen. Häagen-Dazs verkauft sein Eis neuerdings im Freien: Wenn Chinesen ein so teures Eis kaufen, dann wollen sie dabei gesehen werden. Pizza Hut bietet „Triumph-Mahlzeiten“ an, damit Eltern ihre fleißigen Kinder für Leistungen belohnen können.
Wer in der chinesischen Mittelschicht Erfolg haben will, muss vor allem die Unterschiede zum Westen kennen. Doch längst nicht alle Bedürfnisse sind so kulturspezifisch. Als Wentaos Mann mit den gebratenen Jiaozi aus der Küche kommt, schimpft er über den Verkehr in Chengdu. „Manchmal“, sagt er, „wünsche ich mir die Zeit zurück, in der alle Fahrrad fuhren. Damals war es wenigstens ruhig.“
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