Wolfgang Ischinger "Wir wollen kein darbendes Russland, sondern ein stabiles"

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Warum Europa Russland nicht zu sehr schwächen sollte

Europa steht auch durch russische Aggressionen unter Druck. Wladimir Putin lässt in Syrien neben dem „IS“ auch die syrische Opposition bombardieren – und seine Militärs­ provozieren die Türken, indem sie regelmäßig deren Luftraum verletzen.

In Syrien will Moskau seinen Anspruch durchsetzen, in der Region dauerhaft geopolitisch mitzureden. Im Ukrainekonflikt haben sie zudem einen Warnschuss an den Westen gegen weitere Nato-Erweiterungsschritte abgegeben. Mittlerweile stellt man in Moskau aber durchaus Überlegungen an, wie sich der für die russische Wirtschaft entstandene Schaden begrenzen lässt.

Die Wirtschaft des Landes ist viel zu schwach, um sich die Weltmachtallüren seines Präsidenten dauerhaft leisten zu können. Doch Putin schert sich nicht um Sinn oder Kosten.
von Florian Willershausen

Also sollte der Westen seine Russlandsanktionen lockern, auf die sich etwa die EU-Mitglieder nach der Ukrainekrise mühsam geeinigt haben?

In Moskau ernten wir keinen Respekt, wenn wir plötzlich einknicken. Aber Russland hat es in der Hand, in den kommenden Monaten die Bedingungen des Minsk-Abkommens zu erfüllen, um so ein Ende der Sanktionen zu erreichen. Putin hat gerade einen hochrangigen Vertrauten in die Minsk-Kontaktgruppe entsandt. Der wird dort sicher nicht nur herumsitzen.

Die Akteure im Syrien-Konflikt

Kann Russland wieder Partner der Europäer werden?

Wir wollen kein darbendes Russland, sondern ein stabiles. Amerikanischen Stimmen, nur ein schwaches Russland führe zu einer sicheren Welt, sollten wir widersprechen. So eine Sichtweise ist gefährlich. Wir sollten also auch wieder da einsetzen, wo Russland nicht bloß provoziert, sondern auch kooperativ ist. Iran war ein positives Beispiel. Putin wird zwar in Sachen Krim so bald nicht einlenken. Aber er ist grundsätzlich zur Zusammenarbeit mit der Nato und dem Westen bereit.

Weil er die Schwäche seines Landes spürt?

Das Land braucht angesichts seiner eigenen Krise wirtschaftliche Hilfe, auch wenn Putin das nie zugeben würde. Zugleich wissen kluge Russen, dass wir Europäer der russischen Wirtschaft ganz andere Impulse verleihen können, als etwa die Chinesen dies zu leisten vermögen.

Peking baut eine chinesisch dominierte Investitionsbank auf, die unter anderem in Afrika und in eine neue Seidenstraße investieren soll. Entsteht so eine bedrohliche Parallelstruktur zu originär westlichen Institutionen wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds?

Solche Projekte sind eine Reaktion auf die Unfähigkeit des Westens, die bestehenden internationalen Institutionen so umzubauen, dass China angemessen beteiligt wird. Über eine Reform des IWF reden wir seit 15 Jahren, ohne Erfolg. Noch immer steht an dessen Spitze automatisch ein Europäer, daran wird sich auch in den nächsten Jahren wohl nichts ändern. Der Westen müsste endlich bereit sein, auf berechtigte chinesische Interessen mehr einzugehen. Wie wäre es etwa, wenn der nächste Präsident der Weltbank ein Chinese wäre?

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