Europa steht auch durch russische Aggressionen unter Druck. Wladimir Putin lässt in Syrien neben dem „IS“ auch die syrische Opposition bombardieren – und seine Militärs provozieren die Türken, indem sie regelmäßig deren Luftraum verletzen.
In Syrien will Moskau seinen Anspruch durchsetzen, in der Region dauerhaft geopolitisch mitzureden. Im Ukrainekonflikt haben sie zudem einen Warnschuss an den Westen gegen weitere Nato-Erweiterungsschritte abgegeben. Mittlerweile stellt man in Moskau aber durchaus Überlegungen an, wie sich der für die russische Wirtschaft entstandene Schaden begrenzen lässt.
Also sollte der Westen seine Russlandsanktionen lockern, auf die sich etwa die EU-Mitglieder nach der Ukrainekrise mühsam geeinigt haben?
In Moskau ernten wir keinen Respekt, wenn wir plötzlich einknicken. Aber Russland hat es in der Hand, in den kommenden Monaten die Bedingungen des Minsk-Abkommens zu erfüllen, um so ein Ende der Sanktionen zu erreichen. Putin hat gerade einen hochrangigen Vertrauten in die Minsk-Kontaktgruppe entsandt. Der wird dort sicher nicht nur herumsitzen.
Die Akteure im Syrien-Konflikt
Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte aber infolge der russischen Luftunterstützung seit September 2015 wieder Landgewinne verzeichnen. Machthaber Assad lehnt einen Rücktritt ab.
Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten riesige Gebiete, die allerdings meist nur spärlich besiedelt sind. Durch alliierte Luftschläge und kurdische Milizen mussten die Islamisten im Norden Syriens mehrere Niederlagen einstecken. Unter der Herrschaft der Miliz, die auch im Irak große Gebiete kontrolliert, verbleibt die inoffizielle Hauptstadt Raqqa, die bedeutende Versorgungsstrecke entlang des Euphrat und ein kleiner Grenzübergang zur Türkei. Offiziell lehnen alle lokalen und internationalen Akteure den IS ab.
Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten.
Die zu Beginn des Kriegs bedeutende Freie Syrische Armee (FSA) hat stark an Einfluss verloren. Sie kämpft vor allem gegen Diktator Assad.
In der „Islamischen Front“ haben sich islamistische Rebellengruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist der Sturz Assads und die Errichtung eines „Islamischen Staates“ – die gleichnamige Terrormiliz lehnen sie jedoch ab. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und sind ideologisch mit al-Qaida zu vergleichen. Militärisch untersteht ihr auch die „Dschaisch al-Fatah“, die von der Türkei unterstützt wird. Teilweise kooperieren sie mit der al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.
Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationalkoalition in Istanbul. Diese wird von zahlreichen Staaten als legitim anerkannt, von vielen lokalen Akteuren wie al-Nusra oder der kurdischen PYD jedoch abgelehnt.
In Damaskus sitzen zudem Oppositionsparteien, die vom Regime geduldet werden. Bei einer Konferenz in Riad einigten sich verschiedenen Gruppen auf die Bildung eines Hohen Komitees für Verhandlungen, dem aber einige prominente Vertreter der Opposition nicht angehören.
Kurdische Streitkräfte kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei: Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS.
Dabei kämpfen sie teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime. Führende Kraft sind die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der Kurden-Partei PYD, inoffizieller Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Diese streben einen eigenen kurdischen Staat an – die Türkei lehnt das vehement ab.
Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien, ein Flugzeug zur Luftbetankung sowie die Fregatte „Augsburg“, die im Persischen Golf einen Flugzeugträger schützt. Washington unterstützt moderate Regimegegner.
Die Türkei setzt sich für den Sturz Assads ein und unterstützt seit langem Rebellengruppen wie die islamistische Dschaisch al-Fatah. Neben der Sicherung ihrer 900 Kilometer langen Grenze ist die Türkei seit August 2016 auch mit Bodentruppen in Syrien vertreten. Ziel ist neben der Vergeltung für Terroranschläge des IS auch, ein geeintes Kurdengebiet im Norden Syriens zu verhindern.
Der Abschuss eines russischen Flugzeugs über türkischem Luftraum im November 2015 führte zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei.
Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Moskau ist einer der wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes: Rebellenorganisationen werden pauschal als „Terroristen“ bezeichnet und aus der Luft bekämpft. Der Kampf gegen islamistische Rebellen soll auch ein Zeichen an Separatisten im eigenen Land senden.
Geostrategisch möchte Russland seinen Zugriff auf den Mittelmeerhafen Tartus nicht verlieren.
Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes, auch aus konfessionellen Gründen. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Die von Teheran finanzierte Schiitenmiliz Hisbollah ist ebenfalls in Syrien im Einsatz. Sie fürchten die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Falle eines Sieges sunnitischer Rebellen, aber auch den Verlust von regionalem Einfluss.
Riad ist ein wichtiger Unterstützer vornehmlich islamistischer Rebellen. Sie fordern, dass Assad abtritt. Saudi-Arabien geht es auch darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten.
Trotz religiöser Ähnlichkeiten zwischen IS und dem saudischen Wahabismus engagiert sich Saudi-Arabien im Kampf gegen den IS.
Kann Russland wieder Partner der Europäer werden?
Wir wollen kein darbendes Russland, sondern ein stabiles. Amerikanischen Stimmen, nur ein schwaches Russland führe zu einer sicheren Welt, sollten wir widersprechen. So eine Sichtweise ist gefährlich. Wir sollten also auch wieder da einsetzen, wo Russland nicht bloß provoziert, sondern auch kooperativ ist. Iran war ein positives Beispiel. Putin wird zwar in Sachen Krim so bald nicht einlenken. Aber er ist grundsätzlich zur Zusammenarbeit mit der Nato und dem Westen bereit.
Weil er die Schwäche seines Landes spürt?
Das Land braucht angesichts seiner eigenen Krise wirtschaftliche Hilfe, auch wenn Putin das nie zugeben würde. Zugleich wissen kluge Russen, dass wir Europäer der russischen Wirtschaft ganz andere Impulse verleihen können, als etwa die Chinesen dies zu leisten vermögen.
Peking baut eine chinesisch dominierte Investitionsbank auf, die unter anderem in Afrika und in eine neue Seidenstraße investieren soll. Entsteht so eine bedrohliche Parallelstruktur zu originär westlichen Institutionen wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds?
Solche Projekte sind eine Reaktion auf die Unfähigkeit des Westens, die bestehenden internationalen Institutionen so umzubauen, dass China angemessen beteiligt wird. Über eine Reform des IWF reden wir seit 15 Jahren, ohne Erfolg. Noch immer steht an dessen Spitze automatisch ein Europäer, daran wird sich auch in den nächsten Jahren wohl nichts ändern. Der Westen müsste endlich bereit sein, auf berechtigte chinesische Interessen mehr einzugehen. Wie wäre es etwa, wenn der nächste Präsident der Weltbank ein Chinese wäre?