Wolfgang Ischinger "Wir wollen kein darbendes Russland, sondern ein stabiles"

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz berät die internationale Gemeinschaft über Syrien, die Ukraine und andere Krisen. Im Interview erklärt Konferenz-Chef Wolfgang Ischinger, wie die Lähmung von USA und Europa der Welt schaden.

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Wolfgang Ischinger Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Herr Ischinger, der Nahe Osten droht zu verfallen­, der Ukrainekonflikt ist ungeklärt, Populisten gewinnen quer durch Europa an Zuspruch. Kann die EU diese Krisen über­stehen, oder droht ihr ein Kollaps?

Wolfgang Ischinger: Die großen Projekte dieser Europäischen Union sind alle in Schönwetterzeiten entstanden, vom Schengen-System bis zum Euro. Jetzt regnet es plötzlich so stark, dass Europa in den Grundfesten erschüttert wird. Europa muss jetzt sturmfest gemacht werden. Nach der griechischen Finanzkrise, die Wirtschafts- und Finanzfachleute beschäftigt hat, geht die Flüchtlingskrise noch tiefer: Sie führt zur enormen Verunsicherung in der Bevölkerung.

Zur Person

Erleben wir auch eine Krise des Westens?

Schlimmer noch: Wir erleben eine weltweite Führungskrise. Die USA wollen nur noch punktuell führen, weshalb in der Weltpolitik ein Machtvakuum entstanden ist – und in dieses Vakuum stoßen etwa in Syrien die Russen, nachdem der Westen dort vier Jahre lang weggesehen hat.

Wie kann die EU, die seit Langem selber kriselt, dieses Vakuum füllen?

Wir Europäer müssen entscheidungs- und handlungsfähig werden, auch im militärischen Bereich. Der Westen braucht wieder mehr Schwung. Frankreich hat nach den Terroranschlägen von Paris die Beistandsklausel des Lissabon-Vertrags bemüht, an deren Existenz die meisten Regierungen sich kaum erinnerten. Nun müssen wir uns ehrlich zugestehen, dass wir gar nicht beistandsfähig sind …

… Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will das jetzt ändern, indem sie 130 Milliarden Euro für die Modernisierung des deutschen Militärs fordert. So soll bis zum Jahr 2030 dessen Einsatzfähigkeit wachsen.

Das ist ein wichtiger und notwendiger Schritt. Ich finde es ermutigend, dass auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mehr Geld für Außen- und Sicherheitspolitik ausgeben will. Wir müssen aber noch grundsätzlicher denken und endlich im Verteidigungsbereich die Kleinstaaterei abschaffen. Manches kleinere EU-Mitgliedsland bestellt einige wenige Eurofighter für wahnsinnig viel Geld, statt dass alle Mitgliedstaaten gemeinsam größere Stückzahlen bestellen und so Beschaffungskosten drastisch senken.

Berater von McKinsey haben ausgerechnet, dass solches „Pooling & Sharing“ im Verteidigungsbereich einen zweistelligen Milliardenbetrag allein in Deutschland einsparen könnte. Warum klappt das nicht?

Weil es kurzfristig erst etwas mehr kosten würde: Schaffen wir gemeinsame Einkaufsstrukturen, verliert womöglich die Industrie einzelner Staaten zunächst Aufträge. Das macht so einen Schritt politisch schwierig. Eine europäische Verteidigungspolitik wäre also eine Vision, die wie einst die Währungsunion von den wichtigsten EU-Ländern durchgesetzt werden muss, und zwar von ganz oben.

Die zehn gefährlichsten Konflikte der Welt

Wer soll das tun? Deutschland steht seit der Euro-Krise ohnehin unter Generalverdacht, anderen Mitgliedstaaten seinen Willen aufzuzwingen.

Gerade deswegen sollten wir Deutschen das Projekt vorantreiben. Geht Berlin bei der Stärkung europäischer Institutionen voran und baut eine europäische Armee auf, beweist das: Deutschland ist bereit, seine Größe und seine Stärke in den Dienst Europas zu stellen.

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