Wolfgang Schäuble zur EU „Europa braucht keine Mythen“

Für Wolfgang Schäuble ist die EU trotz fehlendem Zugehörigkeitsgefühl auf einem guten Weg. Europa bräuchte einen gemeinsamen Mythos, sagen Experten – Schäuble allerdings blockt ab und bringt andere Vorschläge ein.

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Der Finanzminister bei einem Podiumsgespräch der Neuen Zürcher Zeitung zum Thema „Mythos Europa“: „Ein Gründungsnarrativ, das wir nicht haben, kann man nicht einfach nachschieben.“ Quelle: dpa

Berlin Er sagt es in seiner gewohnt ruhigen, fast schon stoischen Art. Europa braucht keine Mythen, sondern Führung durch Argumente und Überzeugungskraft.“ Wolfgang Schäuble (CDU) bestätigt einmal mehr seinem Ruf als Realist vom Dienst. Und als Optimist.

Der deutsche Finanzminister ist zwar müde, gähnt hin und wieder, doch an diesem Abend ist er gut gelaunt. Mit lauter, deutlicher Stimme erklärt er später: „Wir entwickeln uns über Krisen. Die Auffassung, dass die EU auf dem absteigenden Ast ist, teile ich überhaupt nicht.“

Doch wieso kommt das Zugehörigkeitsgefühl nicht auf? Brauchen wir doch einen solchen gemeinsamen Gründungsmythos, um uns wie Europäer zu fühlen? Es sind Fragen, die der Finanzminister an diesem Abend auf einer Podiumsdiskussion der Neuen Züricher Zeitung in Berlin beantworten soll. Neben ihm sind der Historiker Oliver Zimmer (University of Oxford), der profilierte Politologe Herfried Winkler (Humboldt-Universität Berlin) und Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) eingeladen.

Von einer Wertegemeinschaft ist die EU weit entfernt: Keine Verbindung, kein gemeinsamer Konsens, urteilen Experten. Genau darüber soll Schäuble an diesem Abend sprechen. Doch der deutsche Finanzminister umgeht die Frage geschickt. Er macht seine Haltung gleich in seinem Eingangsstatement deutlich: „Ein Gründungsnarrativ, das wir nicht haben, kann man nicht einfach nachschieben“, fügt er an. Viel wichtiger sei es in diesen Tagen, Ergebnisse und Erfolge zu liefern.

In Sachen Optimismus steht Hamburgs Bürgermeister Scholz dem Finanzminister in nichts nach. „Differenzen in der EU gehören dazu. Das ist die Art und Weise, in der wir zueinander finden“, sagt der SPD-Politiker. Manche der aktuellen Probleme, würden sich aber mit der Zeit von selbst lösen.

Die Flüchtlingsproblematik – das europaweit beherrschende Thema – wird allerdings an diesem Abend nur indirekt thematisiert wird, als eines der bestehenden Kernprobleme der Europäischen Union. Stattdessen hebt Schäuble heiter die Vorzüge internationaler Verhandlungen hervor. „Machen Sie mal bei Bund-Länder-Verhandlungen mit. Dagegen ist Europa Muster an Effizienz“, so der Finanzminister und lacht.

Wie also soll die europäische Gemeinschaft gestärkt werden? Schäubles Vorredner Charles Lewinsky appellierte – anders als Schäuble – eindringlich an eine Art Mythos für Europa. Nicht nur die vertragliche Einheit sei notwendig, so der Drehbuchautor und Schriftsteller fast schon philosophisch, sondern eine, mit der sich der gesamte Kontinent identifizieren könne. Europa fehle ein einigender Gründungsmythos, schloss der Vorredner, und solange der fehle, „wird es kein geeintes Europa geben können“.

Eben diese gemeinsame Identität könne noch entstehen, sagte der Politikwissenschaftler Münkler. Stirnrunzeln bei Schäuble. Denn der Finanzminister plädierte einmal mehr für eine Idee, die er bereits im vergangenen Jahr mehrfach hatte schmackhaft machen wollen: die Direktwahl eines EU-Präsidenten als repräsentatives Element seiner persönlichen Zukunftsvision.

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