Yanis Varoufakis in New York „Die sind fast mit den Fäusten aufeinander losgegangen“

Yanis Varoufakis rechnet mit seinen Gegnern in den Verhandlungen über die Rettung Griechenlands ab. Dabei spart er auch nicht mit deftigen Schilderungen, etwa eines Streits zwischen Wolfang Schäuble und Mario Draghi.

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Der ehemalige griechische Finanzminister, Yanis Varoufakis, rechnet beim Council on Foreign Relations in New York mit seinen Gegnern in den Verhandlungen über die Rettung Griechenlands ab. Quelle: Reuters

New York Es lief von Anfang an verkehrt, und dann wurde es immer schlimmer. Das ist die Grundlinie, die Yanis Varoufakis mit Blick auf die Griechenland-Krise seinen Zuhörern beim Council on Foreign Relations aufzeigt. Griechenland war 2010 nach seiner Darstellung insolvent. Die Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) behandelte das Land aber, als sei es nur illiquide. Sprich, statt Schulden zu streichen, wurden weitere Kredite verabreicht.

2012 gab es dann doch einen Schuldenschnitt. Dabei mussten auch die griechischen Banken bluten, die Staatspapiere gekauft hatten, sie wurden aber gleich wieder mit frischem Geld versorgt. „Aber zugleich haben die griechischen Pensionsfonds 20 Milliarden Euro verloren, das ist eine Menge für ein kleines Land. Als nächsten Schritt haben die Europäer verlangt, die Pensionen zu kürzen, damit deren Bilanzen wieder stimmen. Das hat maßgeblich zur Schrumpfung der griechischen Wirtschaft beigetragen.“

Seit seinem Rücktritt im Juli 2015 - nach nur knapp sechs Monaten als griechischer Finanzminister - präsentiert er immer wieder seine Sicht der Dinge. In New York stößt er dabei auf wohlwollendes Verständnis - wie fast jeder, der Probleme mit deutschen Politikern und Standpunkten hat.

„In den USA ist auch nicht alles in Ordnung“, sagt er. „Aber wenn hier eine Krise ausbricht wie im Jahr 2008, dann setzt man sich zusammen und fragt: ‚Wie kommen wir da raus, ohne dass die Krise uns auffrisst?‘ Die Europäer fragen dagegen: ‚Wie können wir den Anschein erwecken, als würden unsere Regeln weiterhin funktionieren?‘“

Varoufakis, der heute als Professor in Athen arbeitet, stellt seinen Gesprächspartnern ein schlechtes Zeugnis aus. Er hat nach eigener Darstellung zusammen mit namhaften Experten eine ganze Reihe von Reformvorschlägen erarbeitet. „Die Deutschen haben sich die Vorschläge nicht einmal angeschaut“, sagt er. Finanzminister Wolfgang Schäuble und Kanzlerin Angela Merkel hätten eine völlig andere Einstellung zur Euro-Krise und zu Europa insgesamt, sagt er, ohne in die Details zu gehen.

Ein Projekt, das Geld von Steuersündern gegen Freistellung von Strafe nach Griechenland zurückholt, sei kurz nach seinem Abgang auf gemeinsames Betreiben griechischer Oligarchen und europäischer Bürokraten eingestellt worden, fügt er hinzu. Und erzählt: „Der Leiter des Projekts hat mir das unter Tränen mitgeteilt.“

Als Höhepunkt hat er das „Ultimatum“ der Troika im Juni 2015 aufgefasst, mit dem die Troika Griechenland ihr Konzept aufzwingen wollte. Er fragte damals in der entscheidenden Verhandlungsrunde EZB-Chef Mario Draghi, wie er bestimmte in dem Konzept vorgesehene Positionen absichern wollte. Der habe auf den Europäischen Rettungsfonds verwiesen. Dann fragte Varoufakis Schäuble, ob er damit einverstanden sei. Darauf sei es zu einem heftigen Streit zwischen Draghi und Schäuble gekommen. „Die sind fast mit den Fäusten aufeinander losgegangen“, sagt Varoufakis.

IWF-Chefin Christine Lagarde habe erklärt, sie stehe auch hinter den Forderungen, ihre Leute müssten die Zahlen aber noch im Detail prüfen. Varoufakis habe dieses Hickhack „mit einer Mischung aus Amüsement und Abscheu“ beobachtet. Seine eigene Darstellung lässt freilich erahnen, dass sein Verhandlungsstil eher darauf hinauslief, die andere Seite dumm aussehen zu lassen, und nicht, sich dort Freunde zu schaffen. Das steht im Einklang mit Schilderungen europäischer Finanzminister, die sich beklagten, Varoufakis habe ihnen Vorlesungen gehalten, anstatt mit ihnen zu reden.


Von Mitgliedern der eigenen Regierung zurückgepfiffen

Varoufakis war nach eigener Darstellung nur bereit, der Regierung von Alexis Tsipras beizutreten, weil beide vereinbart hatten, keine weiteren Kredite ohne eine komplette Neustrukturierung der Staatsschulden zu akzeptieren. „Das hätte auch jeder Insolvenz-Anwalt an der Wall Street so gemacht“, sagt er.

Die Europäer hätten Griechenland gedroht, die Banken dichtzumachen. Er hätte dagegen gerne damit gedroht, Anleihen nach griechischem Recht, die im Besitz der EZB waren, auszusetzen, um so die Europäer unter Druck zu setzen. „Das hätte Draghi eine Menge Schwierigkeiten bereitet“, ist er noch heute überzeugt. Er wurde aber offenbar von den Mitgliedern der eigenen Regierung zurückgepfiffen. „Damit war die Schlacht verloren“, sagt er rückblickend.

Weil Tsipras letztlich gegenüber der Troika nachgegeben habe, sei er aus der Regierung ausgeschieden. Er wies aber die Vermutung zurück, er habe sich bei den Verhandlungen von Spieltheorie leiten lassen. „Ich lehre seit 20 Jahren Spieltheorie an der Uni“, sagt er. „Aber jeder meiner Studenten wird Ihnen bestätigen, dass ich davor warne, sie praktisch anzuwenden.“

Varoufakis macht deutlich, dass er wenig von dem Konzept des Euro hält, was ihm in den USA auch nur Zustimmung bringt. Aber er warnt: „Es ist etwas anderes zu sagen, man hätte gar nicht eintreten sollen, als zu sagen, man sollte jetzt wieder austreten.“ Seiner Meinung nach gibt es keinen Weg zurück.

Auf die Flüchtlingskrise und ihre Belastungen für Griechenland angesprochen sagt er: „Das sollten wir völlig von allen anderen Fragen trennen. Europa ist stark genug, damit klarzukommen.“ Nach seiner Darstellung hat Griechenland nach dem Zerfall des Ostblocks rund eine Million Flüchtlinge aufgenommen. „Das sind zehn Prozent unserer Bevölkerung“, sagt er. „Es ist buchstäblich halb Albanien zu uns herüber gekommen“, ergänzt er. „Und was ist passiert? Nichts. Die Leute leben heute noch bei uns, wir haben von ihnen profitiert. Manche aus diesen Familien sind heute meine besten Studenten.“

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