Yildirim verspricht Investitionssicherheit Die Türkei umwirbt deutsche Firmen

In Ankara geht die Angst um: Nach dem Streit um den Terrorverdacht bei deutschen Unternehmen will die türkische Regierung die Wogen glätten und deutsche Investoren beruhigen. Aber es bleiben Sorgen und Irritationen.

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Während des Streits der Bundesregierung mit Erdogans Führung will der Ministerpräsident die Investoren beruhigen – das gelingt nur bedingt. Quelle: AP

Athen Deutsche Firmen in der Türkei sollen nicht unter den politischen Spannungen zwischen Ankara und Berlin leiden. Dieses Versprechen gab Ministerpräsident Binali Yildirim am Donnerstag in Ankara bei einem Treffen mit Repräsentanten deutscher Unternehmen. An dem Gespräch im Amtssitz des Premiers in Cankaya nahmen unter anderem Vertreter der Firmen Bosch, Siemens, Allianz, Daimler, Metro Group, Frankfurt Messe und Thyssen Krupp teil. Yildirim bezeichnete die Spannungen zwischen der Türkei und Deutschland als „vorübergehend“.

Angesichts von „3,5 Millionen türkischen Bürgern in Deutschland“ seien dauerhaft negative Beziehungen der beiden Länder undenkbar. „Die türkische Regierung will den Konflikt nicht eskalieren“, versicherte Yildirim. Den Firmenvertretern sagte der Premier: „Es ist uns sehr wichtig, dass Sie nicht Teil dieser Spannungen sind und keinen Schaden davontragen.“ Yildirim verwies auf die lange Tradition deutscher Unternehmen, die teils seit mehr als 50 Jahren in der Türkei tätig seien. „Ich möchte ganz klar sagen: Wir sehen Sie nicht als deutsche Firmen, wir sehen Sie als Firmen dieses Landes“, sagte der Premier bei dem Treffen, an dem auch Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci und Europaminister Ömer Celik teilnahmen.

Dass sich der Premier und zwei maßgebliche Minister nun persönlich um gute Stimmung bei deutschen Investoren bemühen, zeigt: Man macht sich in Ankara ernsthafte Sorgen um die Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland, dem größten Handelspartner und einem der wichtigsten Investoren. Das politische Verhältnis zwischen Berlin und Ankara hatte vor zehn Tagen mit der Inhaftierung des deutschen Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner einen neuen Tiefpunkt erreicht.

Außenminister Sigmar Gabriel kündigte daraufhin eine Neuausrichtung der Türkeipolitik an und warnte indirekt vor Investitionen in dem Land. Das Auswärtige Amt verschärfte seine Sicherheitshinweise für Türkei-Reisende. Dann wurde bekannt, dass die türkische Regierung den deutschen Behörden eine Liste mit den Namen von 700 terrorverdächtigen deutschen Unternehmen übergeben hatte, darunter Daimler und BASF. Staatschef Recep Tayyip Erdogan dementierte umgehend, dass es eine solche Liste gebe und sprach von „Lügen“. Wenig später zog die türkische Regierung die Liste, die es nach Erdogans Darstellung gar nicht gibt, zurück. Vizepremier Bekir Bozdag sprach von einem „Kommunikationsproblem“.

Türkische Regierungsvertreter versicherten während der vergangenen Tage mehrfach, es gebe keine Terror-Ermittlungen gegen deutsche Firmen. Deutschen Investoren stünden „die Türen unseres Landes und die Herzen unseres Volkes offen“, versicherte Erdogan. Direkt darauf verschärfte der Staatschef den Ton gegenüber Berlin aber wieder und beschuldigte die Bundesregierung, sie lasse „ihre Spione in der Türkei ausschwärmen“. Eine regierungsnahe Zeitung bildete Angela Merkel auf der Titelseite mit einem Hakenkreuz ab und schrieb, die Bundeskanzlerin sei „schlimmer als Hitler“.

Nicht nur die Atmosphäre ist vergiftet. Auch die Fakten sind alarmierend. Erdogan hat in den vergangenen Monaten bereits fast 900 Firmen wegen angeblicher Verbindungen zu seinem Erzfeind Fethullah Gülen, den er hinter dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 vermutet, enteignen lassen. Viele der früheren Inhaber sitzen im Gefängnis. Vor diesem Hintergrund haben die Berichte über die „Schwarze Liste“ terrorverdächtiger Firmen bei deutschen Unternehmen große Unruhe ausgelöst.


Deutschland spielt große Rolle in der Türkei

In dem Land gibt es rund 6800 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung. Der Vorstandschef des Chemiekonzerns BASF, Kurt Bock, sprach das Thema am Donnerstag bei einer Telefonkonferenz zu den Quartalszahlen an: Dass deutsche Unternehmen in der Türkei der Terrorunterstützung bezichtigt würden, trage „natürlich nicht dazu bei, Vertrauen aufzubauen oder Vertrauen zu stärken“, sagte Bock. „Jeder weiß, dass man für Investitionen eine stabile Grundlage braucht, und dazu gehört natürlich auch, dass man Recht und Gesetz anerkennt“, so der BASF-Vorstandschef.

Offenbar kam die Liste auch bei dem Treffen Yildirims mit den deutschen Firmenvertretern zur Sprache. Yildirim habe noch einmal versichert, es gebe keine Ermittlungen gegen deutsche Firmen in der Türkei, berichtete die Zeitung „Hürriyet Daily News“, Teilnehmer wollten sich nicht zu Details des Treffens äußern. Das Gespräch sei „positiv“ gewesen, sagte ein Firmenvertreter, der namentlich nicht genannt werden möchte.

Der Premier habe bei dem Treffen „positive Entwicklungen im Herbst“ angekündigt, ohne allerdings Einzelheiten zu nennen, sagte ein anderer Teilnehmer der Runde. Möglicherweise denkt Yildirim an eine Aufhebung des Ausnahmezustandes, der eben erst bis zum 19. Oktober verlängert wurde.

In der Türkei gibt es die wachsende Sorge, dass die Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland unter den politischen Spannungen leiden könnten. So fürchtet die Textilindustrie, dass sie ihre Exportziele auf dem deutschen Markt in diesem Jahr nicht erreichen wird. Mehrere deutsche Einkäufer hätten geplante Besuche in der Türkei bereits abgesagt, berichtet Seref Fayat, der Vorsitzende des Verbandes der türkischen Bekleidungsindustrie.

Deutschland ist der wichtigste Exportmarkt der türkischen Textilindustrie. Auch andere türkische Branchen sind in hohem Maß vom Deutschlandgeschäft abhängig. Das jährliche Handelsvolumen zwischen beiden Ländern beträgt 37 Milliarden Euro. Die Bundesrepublik ist der größte Abnehmer türkischer Produkte und nach China der zweitgrößte Lieferant der Türkei.

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