Zehn Tage im 'Islamischen Staat' "Wenn der IS Islam ist, ist der Ku-Klux-Klan das Christentum"

Der „Islamische Staat“ ist das größte Terror-Phänomen unserer Zeit. Er scheint wie aus dem Nichts gekommen. Doch ist dem wirklich so? Und wie gefährlich ist der ‘IS’? Diese Fragen beantwortet Jürgen Todenhöfer.

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Jürgen Todenhöfer war als erster Journalist aus dem Westen im

Jürgen Todenhöfer, heute ist Ihr neues Buch „Inside IS - 10 Tage im 'Islamischen Staat'“ erschienen. Darin beschreiben Sie Ihre Erlebnisse vom Dezember 2014, als Sie als bisher einziger westlicher Journalist in das Zentrum des IS-Staats reisten und dort zehn Tage Interviews führten. Was ist neu in Ihrem Buch? War nicht schon alles bekannt?

Jürgen Todenhöfer: Recht wenig war bisher bekannt: Der nicht abreißende tägliche Nachschub an jungen Ausländern, die unglaubliche Begeisterung der Kämpfer, die Tatsache, dass die Rückkehrer in den Augen des IS 'Fahnenflüchtige' sind, der bescheidene Alltag der Kämpfer, dass die vom Westen finanzierte Freie Syrische Armee Hauptmunitions-Lieferant des IS ist – all das wusste man nicht wirklich. Statt Fakten gab es Vermutungen, Gerüchte und fast täglich Falschmeldungen.

Im Grunde steht in dem Buch fast alles, was man über den IS wissen muss. Warum gehen so viele junge Leute aus aller Welt dort hin? Wie denken sie? Was machen sie dort den ganzen Tag? Was denken die Einheimischen über sie? Wie sieht das tägliche Leben als Mitglied der weltgrößten Terrororganisation unserer Zeit aus? Die meisten Antworten zu diesen Fragen sind schockierend. Ich habe in meinem Leben schon einiges erlebt. Aber beim IS klappte mir mehrfach die Kinnlade runter.

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Was war denn Ihre Motivation für diese lebensgefährliche Reise?

Ich wollte das Phänomen IS verstehen. Als ehemaliger Richter ist es für mich normal, mit allen Seiten zu sprechen. Außerdem muss man seine Feinde kennen, um sie besiegen zu können. Ich hatte in Syrien mehrfach mit Assad gesprochen, mit Vertretern der Opposition, mit Führern und Kämpfern verschiedener Rebellengruppen, einschließlich der Freien Syrischen Armee und der al-Nusra-Front. Der IS hatte sich neben Assad zunehmend als stärkste Kraft in diesem grauenvollen Konflikt etabliert. Das hatte ich übrigens schon vor 15 Monaten vorausgesagt. Damals war ich dafür noch heftig kritisiert worden. Da Ferndiagnosen einen selten weiterbringen, habe ich letztes Jahr dann Kontakt mit deutschen Jihadisten verschiedener Organisationen in Syrien aufgenommen. Einige von ihnen waren beim IS. Mit denen habe ich intensiv geskypt. Aber auch via Skype konnte ich mir kein abschließendes Urteil bilden, also bin ich letztendlich hin.

Zur Person:

Wie haben Sie die deutschen Jihadisten gefunden?

Gemeinsam mit meinem Sohn habe ich im Internet recherchiert. Wir haben ganz einfach die Möglichkeiten der sozialen Netzwerke genutzt, um sie zu finden. Da viele junge Leute - auch Jihadisten - heutzutage auf Facebook fast alles preisgeben, Wohnort, Freundeskreis, Interessen, Aufenthaltsort, ist das nicht wirklich schwer. Wenn man weiß, wie man die einzelnen Punkte verbinden muss.

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Sie hatten ein bei Überdosierung tödlich wirkendes Spezialmedikament bei sich. Notfalls auch für Ihren Sohn Frederic und dessen Freund. Ist das verantwortbar?

Es war kein Spezialmedikament. Es waren auch keine Giftpillen, wie einige Zeitungen schrieben. Sondern ein normales Medikament, das nur in Überdosis tödlich wirkt. Die Fahrt zum IS war trotz aller Garantien des sogenannten Kalifats ein Rendezvous mit dem Tod. Ich musste mich mit der nicht hundertprozentig auszuschließenden Möglichkeit auseinandersetzen, dass ich wie andere Geiseln vor laufender Kamera enthauptet werde. Und für diesen Notfall wollte ich gewappnet sein. So wie manche Spezialkräfte bei lebensgefährlichen Einsätzen.
Warum sollte ich dem IS die Möglichkeit geben, den Zeitpunkt meines Todes zu bestimmen? Mein Sohn akzeptierte, dass es im Notfall diese Alternative gab. Außerdem habe ich wie vor jeder Reise mein Testament neu geschrieben. Beides, das Medikament und die Aktualisierung meines Testaments, gehörten für mich zur professionellen Vorbereitung einer solchen Reise. Neben gezielten politischen Kontakten mit einflussreichen Freunden im Mittleren Osten, die ich über die Reise informierte. Um im Notfall die Unterstützung ihrer Regierungen zu bekommen. Sie haben mir natürlich als erstes dringend von der Reise abgeraten.

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