Zukunft bislang ungewiss Die Mächtigen haben genug vom Ukraine-Chaos

Die mächtigen Oligarchen des Landes haben vom Chaos genug und lassen die alte Herrschaft fallen. Ihre neue Zukunft sehen sie in einer Wirtschaftsordnung nach europäischem Vorbild.

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Welche Oligarchen die Regierung bekämpfen – und wer sie stützt
Rinat AchmetowEr finanzierte Janukowitsch den Wahlkampf, nun distanziert er sich vom Präsidenten Quelle: dpa
Viktor PintschukDer Stahlunternehmer macht keinen Hehl daraus, dass er die Opposition finanziert Quelle: AP
Dmytro FirtaschDer Gashändler sponsert Oppositionelle und warnt vor der Eskalation Quelle: dpa Picture-Alliance
Serhij KurtschenkoAls Günstling des Präsidenten ist er reich geworden – er dankt es ihm Quelle: Metalist Charkhiv PR
Petro Poroschenko (2.v.l.)Der oppositionelle Schokoladenzar leidet unter dem Kreml-Embargo Quelle: REUTERS

Wie damals in seiner Kindheit blasen die Schlote der Stahlfabriken schädlichen Qualm in die grauen Wolken von Donezk. Das Kubyschew-Viertel, wo Rinat Achmetow aufwuchs, ist heute Teil des Zentrums. Jenseits der Wohnsilos dreht sich immer noch der Förderturm der alten Kohlegrube. Sein Vater holte sich dort eine Staublunge, sie brachte ihn ins Grab. Irgendwo hier muss auch der versiffte Boxkeller gewesen sein, in dem sich der schmale Rinat einst verprügeln ließ. Der Gegner hieß Viktor, stammte aus der Nachbarschaft und wirkte unheimlich mächtig.

Heute sind die Rollen umgekehrt. Viktor Janukowitsch ist zwar Präsident des Landes – aber er tanzt nach der Pfeife von Achmetow, seinem heute mehr als 15 Milliarden Dollar schweren Boxkumpel von damals. Die Ukraine ist vergleichbar mit dem Russland der Neunzigerjahre, als mächtige Oligarchen eine schwache Politikelite dominierten, derweil das ganze Land unter Korruption apokalyptischen Ausmaßes leidet.  Anders als Putin hat es Janukowitsch nie vermocht, sich von den Wirtschafts­kapitänen zu emanzipieren.

Staatskrise schadet den Geschäften

In der Region Donbass, wo auch Donezk liegt, schlägt das industrielle Herz der Ukraine und entscheidet sich ihr Schicksal. Dort sitzen die Wirtschaftsmächtigen, die mit dem Zugriff auf Parteien und Fernsehkanäle enormes politisches Kapital besitzen. Die meisten sind für baldige Neuwahlen, damit das Chaos der Staatskrise ein Ende hat – allein schon, weil es ihren Geschäften schadet. Und sie wähnen die Zukunft ihres Landes eher in Europa denn in Russland, schlichtweg, weil der Westen einen verlässlicheren Rahmen für ihre Geschäfte bietet als Russland. Steffen Halling von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) ist sicher: „Der Einfluss der Oligarchen wird entscheidend sein, ob sich die Ukraine künftig an Europa oder Russland orientiert.“

Schuldenstand und Leistungsbilanzsaldo der Ukraine

In den Medien ist oft von Spaltung die Rede: Der Osten strebe in den Schoß der Russen, einzig der Westen sei europäisch. In Wahrheit hat sich weithin unbemerkt ­eine eigentümliche Allianz gebildet. Die Oligarchen rücken ab von ihrem Präsidenten, den sie gepäppelt und durchgefüttert haben, und finanzieren die Opposition. Die Ukrainer harren seit Ende November auf den Straßen aus und frieren bei Temperaturen unter minus 20 Grad auf ihren Barrikaden fest – einzig, um Präsident Viktor Janukowitsch zu stürzen. Ihm nehmen sie den Abbruch der ausgemachten EU-Assoziierung fast so krumm wie die Ignoranz seiner käuflichen Regierung, die das Land offenbar an Russland verscherbelt. Die Fernsehsender der Oligarchen greifen die Kritik daran mitunter wohlwollend auf.

Auf ausländische Kredite angewiesen

„Alle zehn Jahre eine Revolution – das ist zu viel für ein Land“, klagt Gennadi Chyzhykow. Der Präsident des Unternehmerverbands der Ukraine stammt aus Donezk. Er kennt all die Mächtigen und weiß: Die permanente Instabilität schadet der Wirtschaft – etwa, weil die Zinsen steigen. So sieht das auch einer von Achmetows Managern: „Die Krise führt zu einem Vertrauensverlust in die Ukraine und uns als Stahllieferanten.“ Dies sei das Schlimmste, was einem Unternehmen passieren könne. Und so drängen die Oligarchen auf Veränderungen – in Richtung Europa.

Zunächst aber muss sich die Ukraine aus einer jahrelangen Selbstblockade befreien, die das Land permanent am Rande des Staatsbankrotts taumeln lässt. Der Berliner Ökonom Robert Kirchner beschreibt den Teufelskreis: Während die Wirtschaft stagniert, sind die Defizite in Leistungsbilanz und Haushalt massiv gestiegen – auch weil die Regierung die Verbraucherpreise für die teuer aus Russland importierte Energie subventioniert. Um das Zwillingsdefizit zu finanzieren, ist das Land auf ausländische Kredite angewiesen. Dies könne man mittelfristig nur durchbrechen, indem man die Wirtschaft auf solide Grundlagen stelle – also ein wettbewerbsfähiges Wirtschaftssystem schaffe, meint Kirchner, der die ukrainische Regierung in Wirtschaftsfragen berät.

Von der Hand in den Mund

Klitschko: "Ich werde kandidieren"
Auch Schneefall und eisige Kälte lassen die Protestler in Kiew nicht weichen. Seit drei Wochen dauert der Machtkampf inzwischen an. Quelle: dpa
Oppositionspolitiker Vitali Klitschko bezweifelt, dass die Kiewer Regierung wieder auf einen prowestlichen Kurs einschwenkt. Den Erklärungen, das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union könne vielleicht doch noch bald unterzeichnet werden, traue er nicht, machte Klitschko am Abend des 12. Dezembers in der ARD-Sendung „Beckmann“ deutlich. „Unser Präsident hat schon zigmal seit drei Jahren versprochen, das Abkommen zu unterschreiben“, stattdessen fliege er nach Moskau. Quelle: dpa
Klitschko kündigte in der ARD-Sendung auch an, bei der kommenden Präsidentenwahl in dem Land anzutreten. „Ich werde kandidieren“, sagte der Box-Weltmeister. Quelle: dpa
Als seine Visionen nannte er Reformen, die Schaffung von Arbeitsplätzen und sozialen Garantien sowie die Bekämpfung der grassierenden Korruption. Quelle: dpa
Sondereinsatzkräfte bewachen das Regierungsgebäude in Kiew. Die Demonstranten weiten ihr Protestlager aus und stellten erneut auch außerhalb des zentralen Unabhängigkeitsplatzes Protestzelte auf. Dies hatten die Behörden zuletzt verboten. Quelle: dpa
Ein Blick auf eine Barrikade in der Altstadt von Kiew. Dort demonstrierten am Donnerstag (12. Dezember) erneut 20.000 Menschen für einen Westkurs der früheren Sowjetrepublik. Mehr als 5000 Demonstranten hatten trotz eisiger Temperaturen die Nacht auf dem Unabhängigkeitsplatz - dem Maidan - in Kiew verbracht. Nach dem vorläufigen Rückzug der Sicherheitskräfte verstärkten die Demonstranten ihre Barrikaden. Quelle: dpa
Protestgruppen kündigten an, dass aus dem Westen des Landes 70.000 Unterstützer anreisen wollen, um am Wochenende gegen die Regierung zu demonstrieren. Quelle: dpa

Stattdessen lebt die Ukraine seit Jahren von der Hand in den Mund. Da überrascht es nicht, dass die Ratingagentur Moody’s am vergangenen Mittwoch wie zuvor Standard & Poor’s die Staatsanleihen des Landes auf Ramschniveau abstufte. Dieses Regieren auf Sicht erklärt zudem, wieso Kiew nach sechs Jahren der Verhandlungen das EU-Assoziierungsabkommen plötzlich abgelehnt hat: Russland hatte Anleihenkäufe in Höhe von 15 Milliarden Dollar zugesagt – gerade genug, um mal wieder ein paar Monate den Kopf über Wasser zu halten. Vom Westen gab es kein Angebot, auch von der EU nicht. Nur die Wucht der Straße hatte in den Höhen der Politik keiner auf der Rechnung. Und so kommt es, dass der alte Ost-West-Konflikt wieder ausbrechen konnte in einem Land, das während der Fußball-EM noch geeint schien. Der Westen aber fühlt sich nun vom Osten verraten. Aber ist es so, dass die Ostukrainer nach Russland schauen?

Zurück in Donezk. Klein und stickig ist das Büro von Roman Bystrjakow. An der Garderobe hängt eine blaue Mütze, Wahlwerbung für Janukowitsch. Der Kaufmann lacht, als man ihn darauf anspricht. „Die schenke ich Ihnen, ist noch vom Wahlkampf übrig geblieben.“ Viel ist nicht übrig geblieben von seiner Begeisterung für Janukowitschs Partei der Regionen. „Hier hat die Regierung alle enttäuscht“, erzählt der Unternehmer. Sie habe Stabilität versprochen – und verwalte nun dasselbe Chaos, wie die Regierungen vor ihr: ­schwaches Wachstum, ausufernde Korruption, Inflation. Dennoch fragt er: „Wer weiß, ob es der Klitschko besser kann?“

Europa gewährleistet Stabilität

Natürlich ist der Osten kein Satellit des Kremls. Bystrjakow wirkt verärgert, wenn er diese Frage kontert: „Ich bin absolut für die EU-Annäherung und glaube, die meisten Menschen hier sehen das auch so.“ Der Vorteil des EU-Wirtschaftsmodells liege in Stabilität und guter Regierungsführung. Das gewährleiste Europa, nicht Russland.

Die Nachricht vom Vormittag schien das zu bestätigen: Da begann Russlands Zoll an der Grenze mit scharfen Kontrollen. Die Zöllner ließen alle Lkws abladen, um die Waren zu wiegen, zu testen, Bescheinigungen zu prüfen. Das kostet nicht nur der Zeit wegen Geld – die Russen lassen sich den Kontrollaufwand über Gebühren von 5 bis 40 Prozent des Warenwerts bezahlen. So erdrosseln die Russen den Handel mit dem Bruderstaat – und auch die Geschäfte von Roman Bystrjakow leiden. Der Industriegroßhändler verkauft Trennscheiben und Bohrer an Metallverarbeiter in der Region. Wenn die keine Aufträge haben, hat er auch keine. Einer seiner größten Kunden liefert Schienen für die russische Eisenbahn RZD. Die habe mit Ausbruch der Proteste die Aufträge storniert, sagt Bystrjakow. „Die Fabrik steht still.“ So verprellen sich die Russen selbst beste Freunde.

Eine Drohkulisse

Freilich haben die Zollschikanen einen Grund: Der Kreml versucht, den Rücktritt des willfährigen Präsidenten Janukowitsch zu verhindern. Neuwahlen könnten Kontrollverlust über die Ukraine zur Folge haben – also hält man eine Drohkulisse aufrecht. Der Kreml hält Kiew unter Druck, indem er den für Ende Januar angekündigten Anleihekauf verzögert. Die Zollpolitik ist ein Warnsignal an die Oligarchen, deren Unternehmen im Osten enorm vom Russland-Export abhängen. Sicher ist es auch kein Zufall, dass über die Zollschikanen hinaus ausgerechnet der Schokoladenhersteller Roshen unter einem russischen Totalembargo leidet: Es gehört dem ­Schokoladenzar Petro Poroschenko, einem der größten Verfechter der EU-Annäherung.

Die Strategie des Kremls ist durchschaubar. Sie könnte aber auch nach hinten losgehen. Geläutert von den frühkapitalistischen Wirren der vergangenen Jahre, ­fahren die Unternehmer ihren direkten Einfluss auf die Politik zurück. Im Januar ließ Oligarch Achmetow durchsickern, seine Abgeordneten im Parlament könnten fortan frei entscheiden. Und die Fernsehsender der meisten Oligarchen berichteten offen über die Polizeigewalt während der Unruhen in Kiew.

Oligarchen gehen auf Distanz

Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch Quelle: dpa

Unverhohlen gehen die Oligarchen auf Distanz zu Janukowitsch. Zumal der sich seit den Präsidentschaftswahlen 2010 nicht mehr um das finanzielle Wohlergehen
 von einstigen Gönnern wie Achmetow schert, im Gegenteil: Günstlinge des Präsidenten ergatterten Staatsaufträge, die sie
 in Windeseile reich werden ließen. Das Bauunternehmen des Präsidentensohns ­Olexandr Janukowitsch – ein gelernter Zahnarzt – zählt zu den Profiteuren. Und der erst 28-jährige Sergei Kurtschenko verdoppelte sein Vermögen von April bis Oktober auf mehr als 800 Millionen Dollar. Im Umfeld des Präsidenten hat sich ein neuer Klan gebildet, den sie in der Ukraine nur „die Familie“ nennen.

Alteingesessene Oligarchen gehen leer aus. Der Undankbarkeit nicht genug, bläst die Familie inzwischen zum Halali auf die Großkapitalisten: Dmytro Firtasch hatte es plötzlich mit Kurtschenko als Konkurrenten im lukrativen Gashandel mit Russland zu tun – und auch ins Raffineriegeschäft will der Neureiche einsteigen ein.

Lange Leine

Was es heißt, die Gunst der Regierung zu verlieren, erfuhr auch Rinat Achmetow: Die Regierung plante die Streichung von Steuervorteilen für seine Düngemittelsparte, die Steuerpolizei nahm Offshore-Konstrukte des Donbass-Königs ins Visier. All dies scheint mit dazu beigetragen zu haben, dass sich Achmetow von dem alten System verabschiedet. „In der Ukraine wähnt Achmetow sein Kapital nicht sicher, sofern er die politischen Verhältnisse nicht kontrollieren kann“, sagt ein Insider. Dann besser den Weg nach Europa einschlagen, wo die Regeln für Investitionen und den Kapitalverkehr transparent sind.

Inzwischen stehen sämtliche Oligarchen mit der Opposition in Dauerkontakt. Von Viktor Pintschuk ist bekannt, dass er die Klitschko-Partei Udar unterstützt. Auch Firtasch soll die pro-europäischen Herausforderer Janukowitschs sponsern, Schokozar Poroschenko steht treu zur Partei der inhaftierten Ex-Premierministerin Julia Timoschenko, die Fraktionschef Arseni Jazenjuk führt. Die Bühne auf dem Unabhängigkeitsplatz geht auf die Rechnung der Oligarchen, sicher auch die Zutaten für die Bohnensuppe, die Babuschki den ­frierenden Protestlern kochen.

In Wahrheit ist die Spaltung zwischen Ost und West ein Mythos, herbeigeredet vom Westen selbst. Dem Volk in der Ukraine geht es um zuverlässige politische Verhältnisse – und auch die Oligarchen haben ihre Lektionen aus den Chaos-Jahren gelernt. Die nächste Regierung, gleich welcher Farbe, muss nachhaltige Rezepte gegen die weiter brodelnde Wirtschafts­krise finden. Sonst marschieren sie in Ost und West gemeinsam gegen Kiew.

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