Zurückeroberte Stadt in Syrien Das Leben nach dem IS

Der IS ist endlich weg, aber viel blieb von Dscharablus nicht mehr übrig. Es gibt dennoch einige gute Gründe, warum geflüchtete Bewohner in den syrischen Ort an der Grenze zur Türkei zurückkehren.

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Die Menschen kehren in das vom IS befreite Dscharablus zurück. Quelle: dpa

Dscharablus Eine Gruppe junger Männer steht im türkischen Karkamis Schlange, um die Grenze nach Syrien zu überqueren. Sie kehren zurück in ihre Heimat: den Grenzort Dscharablus. Die türkische Armee und syrische Rebellen hatten ihn im August von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) befreit. Wie viele andere Bewohner der nordsyrischen Stadt, waren sie in die Türkei geflohen.

„Ich habe in Istanbul auf dem Bau gearbeitet, aber kein Geld verdient. Ich denke, zurück in Syrien wird das Leben einfacher sein“, sagt Firas, einer der jungen Männer am Grenzübergang. Der 22-Jährige studierte Mathematik, bevor ihn der Krieg zur Flucht zwang.

Viele syrische Flüchtlinge haben es schwer, im Nachbarland über die Runden zu kommen. Trotzdem ist die Rückkehr riskant, denn einmal über die Grenze, dürfen sie nicht wieder zurück in die Türkei. Zudem sind die IS-Kämpfer zwar weg, Dscharablus muss nun aber wiederaufgebaut werden. Und es herrscht immer noch Krieg.

Drei Jahre IS-Herrschaft haben die arme, staubige Ortschaft so gut wie zerstört. Bewohner erzählen, es gebe kaum Arbeit. Die Menschen seien auf Hilfsleistungen angewiesen, um zu überleben. Nach der Befreiung vor zwei Monaten übernahm die Türkei die Kontrolle über Dscharablus - und auch die Versorgung mit Essen, Wasser und Strom. Schulen öffnen langsam, aber die Kinder sitzen an leeren Schreibtischen, denn es fehlt noch an Büchern und anderen Unterlagen.

Bei manchen Kindern, unter ihnen nun auch Mädchen, sind die psychischen Folgen von Krieg und Vertreibung deutlich. Ein Sechsjähriger reagiert verwirrt auf eine einfache Frage: „Wo ich herkomme? Ich weiß nicht, wo ich herkomme.“

Tausende Menschen sind seit August nach Dscharablus gezogen. Vor dem Krieg wohnten hier wenig mehr als 10.000 Einwohner, Araber, Turkmenen und Kurden. Die meisten kommen aus anderen Teilen Syriens. Manche sagen, sie seien wegen der Hilfsleistungen gekommen.


Uneinige Rebellen

Fatma Firas und ihre sechs Kinder stammen aus einer südlicheren Stadt und sind seit einem Monat hier. Ihr Mann sei von IS-Mitgliedern zu Hause abgeholt worden, weil er sich gegen deren Brutalität gewehrt habe, erzählt sie. „Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört.“ In Dscharablus lebt sie nun in einer heruntergekommenen Ruine ohne Möbel. Zudem sei unklar, was passiere, sollte der Besitzer des Hauses zurückkehren, sagt sie. „Wenigstens bekomme ich Essen und Wasser.“

IS-Kämpfer hätten die wichtigste Bäckerei zum Teil niedergerissen, bevor sie vor der herannahenden türkischen Armee geflohen seien, erzählt der Vorsitzende des von arabischen Stämmen ernannten Lokalrats, Mohammed Habasch. Er warte seit Wochen auf Ersatzteile. „Wir brauchen Brot, es ist dringend.“

Dscharablus werde nie wieder so sein wie früher, meint Habasch. Da die Türken vertriebene Syrer aus anderen Teilen des Landes hier ansiedelten, machten die angestammten Bewohner nur noch einen Bruchteil der Bevölkerung aus. „Wir begrüßen das, wir müssen unseren Brüdern helfen“, sagt er. „Aber wir brauchen mehr Unterstützung. Wir kommen schließlich aus dem Krieg.“

Der ist noch allgegenwärtig in Form der vielen Kämpfer, die in Dscharablus geblieben sind. Die türkischen Soldaten halten sich eher im Hintergrund, sichtbarer sind die syrischen Rebellen. Viele von ihnen gehören der Volksgruppe der Turkmenen an. Sie wollen gerne als nächstes die größte syrische Kurdenmiliz bekämpfen. Manche säkulare arabische Kämpfer wollen lieber weiter gegen den IS vorgehen. Andere meinen, Machthaber Baschar al-Assad und sein Regime sollten das Ziel sein. Sie wollen die Belagerung des nur 60 Kilometer entfernten Aleppo durchbrechen.

Außer der Tatsache, dass sie nicht aus Dscharablus kommen, haben viele Rebellen gemein, an die Front zurückzukehren. Hier die Verkehrspolizisten zu spielen, das ist nichts für sie.

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