„Die Einheit unter den EU-Staaten ist extrem zerbrechlich“, urteilt Jan Techau vom Thinktank Carnegie Europe in Brüssel. Nicht nur zwischen den Staaten gibt es große Unterschiede, sondern auch innerhalb der verschiedenen Regierungen. Das gilt auch für Berlin: Außenminister Frank-Walter Steinmeier würde einen weicheren Kurs gegenüber Russland fahren, wenn es nur nach ihm ginge. Ob Angela Merkel bei ihrem harten Kurs gegenüber Russland bleibt, wenn deutsche Unternehmer immer lauter über die wirtschaftlichen Folgen klagen und der Kreml keineswegs klein beigibt? Eckhard Cordes, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, warnt bereits vor dem „Beginn einer gefährlichen Sanktionsspirale“.
Die Sanktionen der EU und USA gegen Russland
Die EU erschwert den Zugang zu den EU-Finanzmärkten für russische Banken. Gilt für alle Banken mit einem staatlichen Anteil von mindestens 50 Prozent. Sie können auf den EU-Kapitalmärkten keine neuen Wertpapiere oder Aktien von russischen Unternehmen mehr verkaufen.
In den USA fallen drei weitere Banken im russischen Staatsbesitz unter die Strafmaßnahmen, damit sind es nun fünf von sechs: Die Bank von Moskau, die Russische Landwirtschaftsbank und die VTB Bank kamen hinzu. Ihnen wird der Zugang zu mittel- und langfristiger Dollarfinanzierung für Russland erschwert. Sie dürfen aber weiter in den USA operieren.
Die EU verbietet künftige Rüstungslieferungen. Betroffen sind alle Güter, die auf einer entsprechenden Liste der EU stehen. Gilt nicht für bereits unterzeichnete Verträge, also auch nicht für die Lieferung von zwei französischen Hubschrauberträgern im Wert von 1,2 Milliarden Euro an Russland.
In den USA wurde die United Shipbuilding Corporation (größtes russisches Schiffsbau-Unternehmen) zu den bislang acht auf der Sanktionsliste stehenden Firmen im Verteidigungssektor ergänzt. Die Unternehmen dürfen nicht mehr das US-Finanzsystem nutzen oder mit amerikanischen Bürgern Geschäfte machen.
Die EU verbietet den Export von bestimmten Hochtechnologiegütern an das Militär. Gilt beispielsweise für Verschlüsselungssysteme sowie für Hochleistungscomputer.
Die EU untersagt die Ausfuhr für Spezialtechnik zur Ölförderung. Zielt auf Geräte, die für Ölbohrung und -förderung beispielsweise in der Arktis gebraucht werden.
Auch in den USA gelten für Unternehmen aus der Ölbranche eingeschränkte Importmöglichkeiten für Technik zur Erschließung von Ölquellen in tiefen Gewässern, vor der arktischen Küste oder in Schiefergestein. Die aktuelle Energieproduktion werde damit aber nicht beeinträchtigt.
Experten wie Jörg Forbrig vom Thinktank German Marshall Fund of the United States halten entsprechende Befürchtungen für übertrieben: Russland sei für Deutschland doch nur „ein drittklassiger Handelspartner“, dessen Anteil am deutschen Export seit einem Jahrzehnt bei 3,3 Prozent verharrt: „Russland ist kein Markt von Zukunftsinteresse.“
Das sehen Unternehmer, die bisher gute Geschäfte in Russland treiben, natürlich anders. Etwa jener Pumpenhersteller, der Hydraulikpumpen für Lenksysteme ins Volkswagen-Werk in Kaluga liefert. Weil die Pumpen auch in der Rohölförderung eingesetzt werden, leidet der Automobilzulieferer nun unter den Sanktionen. Der liberale Europaabgeordnete Lambsdorff hört immer häufiger Klagen von Mittelständlern, die keine neuen Aufträge mehr aus Russland bekommen. Er plädiert darum dafür, einen europäischen Fonds einzurichten, der betroffene Unternehmen entschädigt: „Die EU-Regierungen müssen einen Kompensationsmechanismus schaffen.“ Unternehmen würden dabei nach strengen Kriterien und nicht in voller Höhe des Verlusts entschädigt.
Der Ökonom Daniel Gros vom Centre for European Policy Studies in Brüssel schlägt vor, hierbei nur Unternehmen zu berücksichtigen, deren Umsatz in Russland in den vorangegangenen drei Jahren mehr als ein Viertel des Gesamtumsatzes betrug und die nachweislich Einbußen verzeichnen. Ein gemeinsam von den EU-Mitgliedstaaten finanzierter Fonds würde den Politikern mehr Spielraum geben, weil bei weiteren Sanktionen nicht jedes Mal die Frage nach der Last für die Wirtschaft neu diskutiert werden muss. „Solange wir einen solchen Mechanismus nicht haben, wird die Debatte jedes Mal neu aufbrechen“, befürchtet Lambsdorff.
So ein Fonds würde unter der Voraussetzung arbeiten, dass Umsatzeinbrüche europäischer Unternehmen in Russland unmittelbare Folge der westlichen Sanktionen wären. Das ist aber nur zum Teil der Fall: Die Schwäche der russischen Wirtschaft erklärt sich ganz wesentlich aus der Bevorzugung des ertragreichen Gas- und Ölgeschäfts durch Putins Regierung auf Kosten von Diversifikation und Modernisierung anderer ökonomischer Sektoren.
Einen Tag nach den spektakulären Sitzungen der Parlamente in Straßburg und in Kiew wurde das wieder einmal deutlich. Bei einer hochrangigen Konferenz von Private-Equity-Managern in Moskau wurde bekannt, dass die gesamten Private-Equity-Investitionen in Russland schon von 2011 bis 2013 von jährlich 1,6 Milliarden auf 295 Millionen Dollar geschrumpft waren – und das, obwohl von Sanktionen in dieser Zeit noch keine Rede war. In den ersten acht Monaten waren es dann ganze 35 Millionen Dollar. „2014 ist ein verlorenes Jahr und 2015 eigentlich auch schon“, sagt Andrej Jakunin, Partner der Moskauer Private-Equity-Gesellschaft VIYM. Jakunins Vater ist der russische Bahnchef Wladimir Jakunin, einer der engsten Vertrauten Putins. Die Sanktionen tun offenbar auch der Moskauer Führungsclique weh – aber wird das auch ihre Politik ändern?